VG Stuttgart

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Zitieren als:
VG Stuttgart, Beschluss vom 24.01.2013 - 11 K 3106/12 - asyl.net: M20606
https://www.asyl.net/rsdb/M20606
Leitsatz:

1. Ein Einbürgerungsbewerber hat den Leistungsbezug im Sinne des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StAG regelmäßig nicht zu vertreten, wenn er vollzeitig beschäftigt ist, aber dennoch wegen nicht ausreichender Einkünfte ergänzend Sozialleistungen in Anspruch genommen werden.

2. Schulden des Einbürgerungsbewerbers bleiben bei der Frage, ob dieser den Lebensunterhalt für sich und seine unterhaltsberechtigten Familienangehörigen bestreiten kann, regelmäßig außer Betracht.

(Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: Einbürgerung, Einbürgerungsbewerber, Sicherung des Lebensunterhalts, Sozialleistungen, Einbürgerungszusicherung, Schulden, Unterhaltsbedarf,
Normen: StAG § 10 Abs. 1 S. 1 Nr. 3,
Auszüge:

[...]

Da die Klägerin bereits am 09.02.2000 den Antrag auf Einbürgerung in den deutschen Staatsverband gestellt hat, beurteilt sich das Einbürgerungsbegehren gemäß § 40c StAG nach §§ 8 bis 14 StAG in ihrer vor dem 28.08.2007 (BGBl. I S. 970) geltenden Fassung, soweit diese günstigere Bestimmungen enthalten. Der Günstigkeitsvergleich ist in Bezug auf jede einzelne Einbürgerungsvoraussetzung vorzunehmen; es ist die jeweils dem Einbürgerungsbewerber günstigere Regelung anzuwenden.

Die Klägerin erfüllt zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung die Einbürgerungsvoraussetzungen des § 10 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 StAG. Da die vor dem 28.08.2007 geltende Fassung mit der nunmehrigen Fassung des § 10 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 StAG sachlich übereinstimmt, und somit die bisherige Regelung für die Klägerin nicht günstiger ist, beurteilt sich ihr Einbürgerungsbegehren insoweit nach aktuellem Recht.

Die Klägerin befindet sich nach wie vor bei der Agentur für Kommunikations- und Mediendesign - ... - als Bürokraft in einem unbefristeten Beschäftigungsverhältnis. Trotz Vollzeitbeschäftigung beläuft sich ihr monatlicher Bruttoverdienst jedoch aktuell lediglich auf 600,-- EUR. Sie bezieht deshalb seit einiger Zeit ergänzende Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Diesen gegenwärtigen Leistungsbezug hat die Klägerin jedoch nicht zu vertreten.

Im Hinblick auf den im Bundesgebiet entstandenen Niedriglohnsektor dürfen an eine Vollzeitbeschäftigung mit ausreichenden Einkünften keine hohen Anforderungen gestellt werden, so dass ein Einbürgerungsbewerber den Leistungsbezug regelmäßig nicht zu vertreten hat, wenn er vollzeitig beschäftigt ist, aber dennoch wegen nicht ausreichender Einkünfte ergänzend Sozialleistungen in Anspruch genommen werden (vgl. HTK-StAR / § 10 StAG / zu Abs. 1 S. 1 Nr. 3 01/2013 Nr. 4.2). So liegt der Fall hier. Die Klägerin ist vollzeitig beschäftigt und trotzdem auf Grund der nur geringen Entlohnung auf ergänzende Sozialleistungen angewiesen. Der Klägerin kann gegenwärtig auch nicht vorgehalten werden, dass sie sich nicht hinreichend um die Aufnahme einer besser bezahlten Beschäftigung bemüht hat. Welche Anforderungen an Art und Umfang der Bemühungen um eine neue Arbeitsstelle zu stellen sind, ist nach den Umständen des Einzelfalles zu beurteilen. Von Bedeutung sind dabei insbesondere die die individuellen Chancen des inbürgerungsbewerbers auf dem Arbeitsmarkt bestimmenden Faktoren wie Ausbildungsstand, Qualifikation, Alter, Gesundheitszustand oder Dauer der Beschäftigungslosigkeit (vgl. HTK-StAR / § 10 StAG / zu Abs. 1 S. 1 Nr. 3 01/2013 Nr. 4.1 m.w.N.).

Zwar ist die im Mai 2011 bei der Klägerin festgestellte Tumorerkrankung mittlerweile erfolgreich therapiert worden. Nach der von der Klägerin vorgelegten ärztlichen Stellungnahme von Dr. K vom 22.01.2013 bestehen aber nach wie vor deutliche Einschränkungen in der Ausübung der Erwerbstätigkeit durch die Folgen der durchgeführten Therapiemaßnahmen, wozu insbesondere Schweißausbrüche, fehlende Dauerbelastung und Konzentrationsstörungen sowie eine polyarthritische Beschwerdesymptomatik zählen. Zudem ist die Klägerin als schwerbehinderte Person mit einem Grad der Behinderung von 100 anerkannt. Im Hinblick auf diesen aktuellen Gesundheitszustand und die dennoch bestehende vollzeitige Beschäftigung der Klägerin waren zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung Bemühungen um die Aufnahme einer höher dotierten Beschäftigung nicht zu erwarten und auch nicht zu verlangen.

Der Vorhalt der Beklagten gegenüber der Klägerin im Verwaltungsverfahren, sie habe eine Auflistung ihrer Schulden bislang nicht eingereicht, ist nicht nachvollziehbar. Bei erwerbsfähigen Einbürgerungsbewerbern richtet sich die Ermittlung des Unterhaltsbedarfs nach den Bestimmungen des SGB II. Danach setzt sich der Unterhaltsbedarf aus der Summe der auf den Einbürgerungsbewerber und seine berücksichtigungsfähigen Angehörigen entfallenden Regelsätze nach § 20 SGB II zuzüglich der notwendigen Mehrbedarfe und sonstigen Leistungen nach §§ 21 - 28 SGB II zusammen (vgl. HTK-StAR / § 10 StAG / zu Abs. 1 S. 1 Nr. 3 01/2013 Nr. 2.2). Die Höhe der Regelbedarfe, die für die folgenden 12 Monate maßgebend sind, kann der jeweiligen Bekanntmachung im Bundesgesetzblatt (spätestens zum 01. November eines Kalenderjahres) entnommen werden (§ 20 Abs. 5 S. 3 SGB II). Indes liegen die in § 850c ZPO normierten Pfändungsgrenzen für Arbeitseinkommen regelmäßig höher als der nach dem SGB II ermittelte Unterhaltsbedarf. (Eventuelle) Schulden des Einbürgerungsbewerbers bleiben deshalb regelmäßig außer Betracht bei der Frage, ob dieser den Lebensunterhalt für sich und seine unterhaltsberechtigten Familienangehörigen bestreiten kann. [...]