VG Hannover

Merkliste
Zitieren als:
VG Hannover, Urteil vom 09.04.2013 - 2 A 4072/12 - asyl.net: M20805
https://www.asyl.net/rsdb/M20805
Leitsatz:

Die Qualifikationsrichtlinie steht einer Wohnsitzauflage nicht entgegen, die Ausländern mit subsidiärem Schutzstatus bei Bezug von Sozialhilfe erteilt wird.

(Amtlicher Leitsatz)

Schlagwörter: Qualifikationsrichtlinie, Wohnsitzauflage, subsidiärer Schutz, subsidiär Geschützte, Bezug von Sozialhilfe, Sozialleistungen, Sozialleistungsbezug, subsidiärer Schutzstatus, SGB II, SGB XII,
Normen: RL 2004/83/EG Art. 32, RL 2004/83/EG Art. 28, AufenthG § 60 Abs. 2, AufenthG § 25 Abs. 3, AufenthG § § 12 Abs. 2 S. 2,
Auszüge:

[...]

Rechtsgrundlage für die angegriffene Nebenbestimmung ist § 12 Abs. 2 Satz 2 AufenthG. Nach dieser Vorschrift kann die der Klägerin erteilte Aufenthaltserlaubnis - auch nachträglich - mit Auflagen, insbesondere einer räumlichen Beschränkung verbunden werden. Ist eine räumliche Beschränkung als Auflage zu einer Aufenthaltserlaubnis grundsätzlich zulässig, so muss dies erst recht für eine Wohnsitzauflage gelten. Eine solche schränkt die Freizügigkeit der Klägerin im Bundesgebiet nicht generell ein, sondern ordnet nur eine Residenzpflicht an. Im Übrigen genießt die Klägerin unbegrenzte Freizügigkeit. Ob die Beklagte die erteilte Aufenthaltserlaubnis mit einer solchen Auflage verbindet, steht nach nationalem Recht in ihrem Ermessen. Danach ist eine Auflage auch in den Fällen möglich, in denen der Ausländer subsidiären Schutz zugesprochen bekommen hat und ihm auf dieser Grundlage eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 AufenthG erteilen worden ist. Als Ermessensentscheidung ist die Entscheidung der Beklagten nur daraufhin überprüfbar, ob sie die gesetzlichen Grenzen ihres Ermessens überschritten hat oder von ihrem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat (§ 114 Satz 1 VwGO). Die Beklagte hat sich hier - einer Weisung des M. folgend - von den Vorgaben in der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zu § 12 des Aufenthaltsgesetzes leiten lassen. Dort (GMBl. 2009, S. 959 f.) ist unter der Nr. 12.2.5.2.2 bestimmt, dass wohnsitzbeschränkende Auflagen erteilt und aufrechterhalten werden bei Inhabern von Aufenthaltserlaubnissen nach Kapitel 2 Abschnitt 5 des Aufenthaltsgesetzes, soweit und solange sie Leistungen nach SGB II oder XII oder dem AsylbLG beziehen. Hintergrund dieser ermessenslenkenden Verwaltungsvorschrift ist zum einen, dass die Auflage als geeignetes Mittel angesehen wird, um mittels einer regionalen Bindung die überproportionale fiskalische Belastung einzelner Länder, aber auch einzelner Kommunen, durch ausländische Empfänger sozialer Leistungen zu verhindern. Zum zweiten sollen diese Auflagen auch dazu beitragen, einer Konzentrierung sozialhilfeabhängiger Ausländer in bestimmten Gebieten und der damit einhergehenden Entstehung von sozialen Brennpunkten mit ihren negativen Auswirkungen auf die Integration von Ausländern vorzubeugen. Drittens schließlich wird eine solche Auflage auch deshalb als gerechtfertigt angesehen, um Ausländer mit einem besonderen Integrationsbedarf an einen bestimmten Wohnort zu binden, damit sie dort von den Integrationsangeboten Gebrauch machen können. Vor diesem Hintergrund hat die Beklagte die Klägerin zwar nicht verpflichtet, ihren Wohnsitz in einer bestimmten Kommune zu nehmen, ihre Residenzpflicht aber nicht nur auf den Bereich des Landes Niedersachsen beschränkt, sondern eine weitergehende Beschränkung, nämlich auf ihren eigenen Zuständigkeitsbereich verfügt. Liegen Besonderheiten des Einzelfalles nicht vor, sind solche ermessenslenkenden Vorschriften geeignet und ausreichend, um eine rechtmäßige Ermessenspraxis zu begründen.

Ein individuelles Interesse an der Aufhebung der Wohnsitzauflage hat die Klägerin gegenüber der Beklagten nicht vorgebracht. Da die Auflage Dauerwirkung entfaltet - sie ist nicht nur für die befristete Zeit der Aufenthaltserlaubnis gültig, sondern gemäß § 51 Abs. 6 AufenthG bleibt sie auch nach Wegfall des Aufenthaltstitels in Kraft - ist für die Rechtmäßigkeit der zu überprüfenden Entscheidung die Sach- und Rechtslage in der mündlichen Verhandlung maßgeblich. Auch auf richterliches Befragen hin hat die Klägerin noch immer ein individuelles Interesse an der Aufhebung oder Lockerung der angefochtenen Auflage nicht vorbringen können. Sie verstößt deshalb nicht gegen § 12 Abs. 2 Satz 2 AufenthG.

Die verfügte Wohnsitzauflage steht auch in Übereinstimmung mit Europäischen Recht. Davon ist die Kammer auch in Kenntnis der entgegenstehenden Rechtsprechung (VG Regensburg, Urteil vom 13.12.2012 - RO 9 K 12.1670 - juris; VG Augsburg, Urteil vom 21.02.2013 - Au 6 K 12.1391 - juris ; VG Gelsenkirchen, Urteil vom 31.01.2013 - 8 K 3538/12 -; VG Meiningen, Urteil vom 20.11.2012 - 2 K 349/12 - juris ) überzeugt, und zwar aus folgenden Erwägungen:

Das Bundesamt hat für die Klägerin in seinem Bescheid vom R. nach nationalem Recht ein Abschiebungsverbot festgestellt (§ 60 Abs. 2 AufenthG), weil sie subsidiär Schutzberechtigte im Sinne der sog. Qualifikationsrichtlinie (Richtlinie 2004/ 83/EG des Rates vom 29.04.2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes - QRL -). Gemäß Artikel 20 Abs. 2 dieser noch geltenden Richtlinie (vgl. Art. 40 der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13.12.2011 - Amtsblatt der Europäischen Union L 337/9) gilt der Inhalt des internationalen Schutzes (Kapitel VII der QLR) sowohl für Flüchtlinge als auch für Personen mit Anspruch auf subsidiären Schutz, sofern nichts anderes bestimmt ist. Für Personen, bei denen die Flüchtlingseigenschaft anerkannt wurde, ist durch die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 15.01.2008 - 1 C 17.07 - BVerwGE 130, 148) geklärt, dass ihre Freizügigkeit nicht aus Gründen des Sozialhilfebezugs eingeschränkt werden darf. Dieses Ergebnis gewinnt das Bundesverwaltungsgericht aus dem Grundsatz der Inländergleichbehandlung, die der Genfer Flüchtlingskonvention innewohnt. Für Personen, die subsidiären Schutz genießen, hat die Qualifikationsrichtlinie indes in Bezug auf die hier in Streit stehende Wohnsitzauflage eine anderweitige Bestimmung im Sinne ihres Artikels 20 Abs. 2 getroffen.

Gemäß Artikel 32 QRL gestatten die Mitgliedsstaaten die Bewegungsfreiheit von Personen, denen die Flüchtlingseigenschaft oder der subsidiäre Schutzstatus zuerkannt worden ist, in ihrem Hoheitsgebiet unter den gleichen Bedingungen und Einschränkungen wie für andere Drittstaatsangehörige, die sich rechtmäßig in ihrem Hoheitsgebiet aufhalten. Diese Bewegungsfreiheit wird durch die verfügte Auflage nicht eingeschränkt. Für anerkannte Flüchtlinge findet sich in Art. 26 der Genfer Konvention eine weitergehende Gewährleistung. Danach erkennt der vertragschließende Staat den Flüchtlingen, die sich rechtmäßig in seinem Gebiet befinden, das Recht zu, dort ihren Aufenthalt zu wählen und sich frei zu bewegen (vorbehaltlich der Bestimmungen, die allgemein auf Ausländer unter den gleichen Umständen Anwendung finden). Dies ist eine deutlich weitergehende Gewährleistung, die sich über die Rechte der QRL hinaus auch auf die freie Wahl des Aufenthaltes erstreckt. Auch wenn nach der Erwägung Nr. 3 zur QRL die Genfer Konvention und das Protokoll einen wesentlichen Bestandteil des internationalen Rechtsrahmens für Schutz von Flüchtlingen darstellen, so sind die dort statuierten Gewährleistungen für die subsidiär Schutzberechtigten damit gerade nicht in Bezug genommen. Die QRL ändert nichts daran, dass die freie Wahl des Aufenthalts nur anerkannten Flüchtlingen zugutekommt. Gerade wegen der Bezugnahme auf die Konvention in der Erwägung zu Nr. 3 der QRL ist davon auszugehen, dass die von Art. 26 der Genfer Konvention abweichende Wortwahl mit ihrer Beschränkung der Gewährleistung auf die Bewegungsfreiheit in Art. 32 QRL eine bewusste Entscheidung ist, die gerade eine andere Bestimmung im Sinne von Art. 20 Abs. 2 QRL darstellt.

Des Weiteren gestattet Art. 32 QRL die Bewegungsfreiheit auch nicht uneingeschränkt, sondern unter den gleichen Bedingungen und Einschränkungen wie für andere Drittstaatsangehörige, die sich rechtmäßig im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten aufhalten. Die nach fristgemäßem Ermessen gegebene Möglichkeit, einem Aufenthaltstitel eine Wohnsitzauflage nach § 12 Abs. 2 Satz 2 AufenthG beizufügen, gilt aber auch für alle anderen Drittstaatsangehörigen. Davon geht auch die Allgemeine Verwaltungsvorschrift in ihrer Nr. 12.2.5 aus, die alle Drittstaatsangehörigen, die sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten, in gleicher Weise behandelt und nur Asylberechtigte und Flüchtlinge, d.h. Inhaber von Aufenthaltstiteln nach § 25 Abs. 1 und 2 AufenthG privilegiert.

Die der Klägerin erteilte Wohnsitzauflage steht auch im Einklang mit Art. 28 QRL. Nach dieser Bestimmung tragen die Mitgliedstaaten dafür Sorge, dass Personen, denen die Flüchtlingseigenschaft oder der subsidiäre Schutzstatus zuerkannt worden ist, in dem Mitgliedsstaat, der die jeweilige Rechtsstellung gewährt hat, die notwendige Sozialhilfe wie Staatsangehörige dieses Mitgliedsstaates erhalten. Die Bestimmung differenziert nicht zwischen der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und der Gewährung subsidiären Schutzes. Sie garantiert aber beiden Gruppen (nur) die notwendige Sozialhilfe. Damit bleibt die Rechtsfolge des Art. 28 QRL hinter der Gewährleistung zurück, wie sie die Genfer Konvention in ihrem Art. 23 für Flüchtlinge bietet. Nach Konventionsrecht haben sich die vertragschließenden Staaten verpflichtet, den Flüchtlingen, die sich rechtmäßig in ihrem Staatsgebiet aufhalten, auf dem Gebiet der öffentlichen Fürsorge und sonstigen Hilfeleistungen die gleiche Behandlung wie ihren eigenen Staatsangehörigen zu gewähren. Die "gleiche Behandlung" ist ein weit gefasster Ausdruck, der nicht nur die gleichen Leistungen nach Art und Höhe einschließt, sondern auch voraussetzt, dass in vergleichbaren Situationen mit Flüchtlingen nicht anders umgegangen wird als mit den eigenen Staatsangehörigen (BVerwG, Urteil vom 18.05.2000 - 5 C 29.98 - BVerwGE 111, 200; Urteil vom 15.01.2008, aaO). Auch hinsichtlich der Gewährung von Sozialhilfeleistungen treffen also Genfer Konvention und Qualifikationsrichtlinien unterschiedliche Regelungen, wenn Art. 28 Abs. 1 QRL nur die notwendige Sozialhilfe gewährt. Für subsidiär chutzberechtigte ist ein Sozialleistungsbezug garantiert, der in Art und Höhe dem entspricht, was der Mitgliedsstaat seinen eigenen Staatsangehörigen gewährt. Wie bei der Freizügigkeit kann auch in diesem Zusammenhang nur von einem bewussten Abweichen von dem Wortlaut der Genfer Konvention ausgegangen werden. Zwar ist die Genfer Konvention durch die Nr. 3 der Erwägung zur Qualifikationsrichtlinie in die Richtlinie quasi inkorporiert, dies gilt nach dem genannten Erwägungsgrund ausdrücklich aber nur für den Rechtsrahmen, der für den Schutz von Flüchtlingen gilt, also gerade nicht für Personen mit subsidiärem Schutzstatus.

Die differenzierenden Regelungen der Genfer Konvention einerseits und der Qualifikationsrichtlinie andererseits mit ihrer unterschiedlichen Ausgestaltung der Ansprüche auf Sozialhilfeleistungen sowie auf Freizügigkeit zeigen zur Überzeugung des Gerichts, dass in beiden Bereichen für anerkannte Flüchtlinge und für Personen mit subsidiären Schutzstatus keine einheitlichen Gewährleistungen statuiert sind. Die Gewährleistungen für subsidiär Schutzberechtigte bleiben wie dargelegt in beiden Bereichen hinter denen des Flüchtlingsrechts zurück. In der hier für zutreffend erachtenden Auslegung verstößt die angefochtene Wohnsitzauflage daher weder gegen das nationale Recht in § 12 Abs. 2 Satz 2 AufenthG i.V.m. der dazu erlassenen Allgemeinen Verwaltungsvorschrift noch gegen Europäisches Recht. [...]