VG Stuttgart

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Zitieren als:
VG Stuttgart, Urteil vom 10.04.2014 - A 12 K 2210/13 - asyl.net: M21890
https://www.asyl.net/rsdb/M21890
Leitsatz:

In Pakistan droht allein wegen der Zugehörigkeit zu den Christen Verfolgung nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit.

(Amtlicher Leitsatz)

Schlagwörter: Pakistan, Christen, religiöse Verfolgung, Gruppenverfolgung, nichtstaatliche Verfolgung, Asylrelevanz,
Normen: AsylVfG § 3 Abs. 4, AsylVfG § 3 Abs. 1,
Auszüge:

[...]

Insgesamt liegen die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht vor.

Die notwendige Überzeugungsgewissheit setzt nicht nur eine glaubhafte Schilderung der Fluchtgründe und des Fluchtanlasses voraus, vielmehr hat für die allgemeine Glaubwürdigkeit die Schilderung in der Regel auch bei sonstigen, nicht unmittelbar fluchtrelevanten Vorgängen glaubhaft zu sein. Gerade bei den Umständen, die den eigenen Lebenskreis betreffen, muss die Schilderung im Wesentlichen hinreichend detailliert und substantiiert, lückenlos und in sich stimmig sowie frei von Unklarheiten und Widersprüchen sein. Denn dem persönlichen Vorbringen des Flüchtlings und dessen Würdigung kommt gesteigerte Bedeutung zu. [...]

Nach diesen Maßstäben hat der Kläger das Gericht nicht davon überzeugen können, dass er das von ihm geschilderte Schicksal tatsächlich erlitten hat. Denn der Vortrag enthält wesentliche Ungereimtheiten und widerspricht zum Teil erheblich der allgemeinen Lebenserfahrung. [...]

Es ist weiter nicht festzustellen, dass für den Kläger allein wegen seiner Zugehörigkeit zu den Christen in Pakistan eine Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht. Dabei setzt der Wahrscheinlichkeitsmaßstab voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechende Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine "qualifizierende" Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann. Dabei sind alle Akte zu berücksichtigen, denen der Ausländer ausgesetzt war oder ausgesetzt zu werden droht, um festzustellen, ob unter Berücksichtigung seiner persönlichen Umstände diese Handlungen als Verfolgung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 QRL gelten können. Dabei kann die Schwere von Eingriffshandlungen auf ihrer Art oder Wiederholung (Art. 9 Abs. 1 a) QRL) oder auf der Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen (Art. 9 Abs. 1 b) QRL) beruhen (vgl. insgesamt BVerwG, Urt. vom 20.02.2013, BVerwGE 146, 67; VGH Bad.-Württ., Urt. vom 12.06.2013 - A 11 S 757/13 - juris).

Trotz feststellbarer Verfolgungshandlungen gegen Christen und ungeachtet der Frage, ob der pakistanische Staat im Hinblick auf die Verfolgung von Christen durch nichtstaatliche Akteure tatsächlich gänzlich schutzwillig und schutzfähig ist, haben die Verfolgungsmaßnahmen nicht ein solches Ausmaß erreicht, dass die strengen Voraussetzungen einer Gruppenverfolgung angenommen werden könnten; es ist keine hinreichende Verfolgungsdichte feststellbar (vgl. zum Maßstab VGH Bad.-Württ., Urt. v. 13.12.2011 - 10 S 69/11 - juris).

Zur Lage der Christen wird im Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 02.11.2012 ausgeführt: Im Unter - schied zu den Ahmadis sind Christen in der Regel frei in der öffentlichen Ausübung ihres Glaubens, insoweit aber verwundbarer, als sie im Gegensatz zu den teilweise sehr wohlhabenden Ahmadis fast ausschließlich der wirtschaftlichen Unterschicht angehören. Auch infolge zunehmender radikalislamischer Strömungen besteht ein wachsender Druck auf christliche Gemeinden. Am 21.07.2011 wurde die politische Partei "All Pakistan Christian League (APC)" gegründet, die sich u. a. den Schutz der christlichen Minderheit und ihre angemessene politische Vertretung auf Provinz- und Bundesebene zum Ziel gesetzt hat. Diskriminierung im wirtschaftlichen Bereich, im Bildungssystem und auf dem Arbeitsmarkt ist verbreitet. Außerdem gab es sechzehn Anklagen gegen Christen mit dem Vorwurf der Blasphemie. Von einzelnen Bedrohungen und Diskriminierung wird im AMNESTY REPORT 2012 Pakistan berichtet, ohne dass dort auf Einzelheiten eingegangen wird. Im Bericht zur Fact Finding Mission Pakistan 2013 des Bundesasylamts der Republik Österreich wird über einen Vorfall berichtet, bei dem nach einem Streit am 05.03.2013 die Häuser von Christen vom Mob geplündert und verbrannt worden waren. Schmuck und andere Wertsachen wurden gestohlen. Die Polizei hatte insoweit nicht ausreichend Sicherheit geboten. Allerdings gab es daraufhin Protestdemonstrationen von Christen gegen die Regierung. Weitere ähnliche Vorfälle, alle in Punjab, fanden 1997 und 2009 statt. Ein weiterer ähnlicher Vorfall ereignete sich auch im Jahr 2012 in den urbanen Slums von Islamabad. Auch bei diesen Vorfällen versagte die Polizei. Daneben gibt es immer wieder kleinere Gewaltakte gegen Einrichtungen und Glaubensstätten der Minderheiten, auch der Christen. Christen waren dabei in Einzelfällen Ziele terroristischer Attacken durch extremistische religiöse Gruppen. Insgesamt besteht die Freiheit, die christlichen Symbole zu zeigen; es besteht dann aber auch die Gefahr, die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Auch sind viele Armeeoffiziere ebenso wie Staatsbedienstete Christen. Über Verfolgungen wird auch im Weltverfolgungsindex 2014 von Open Doors für den Zeitraum 01.11.2012 bis 31.10.2013 berichtet. Darin wird dargelegt, die Christen stünden weiterhin unter enormem Druck von Seiten der Regierung und gesellschaftlicher Gruppen. Die stärkste Triebkraft für die Verfolgung der Christen sei der "islamische Extremismus" und in geringerem Maße auch die "systematische Korruption". Daraus lässt sich insgesamt keine hinreichende Verfolgungsdichte für die Annahme einer Gruppenverfolgung der Christen in Pakistan herleiten.

Anhaltspunkte dafür, dass dem Kläger bei einer Rückkehr nach Pakistan deshalb darüber hinausgehend Gefahr droht, weil er die Religion gewechselt hat und sich dort als Christ betätigen will, sind nicht ersichtlich. Insbesondere schränkt die pakistanische Rechtsordnung nicht die Freiheit ein, die Religion zu wechseln. So gibt es in Pakistan keine strafrechtlichen Bestimmungen gegen die Apostasie (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 02.11.2012). Auch aus den anderen verwerteten Quellen lässt sich hierfür nichts entnehmen. Zwar besteht immer die Gefahr, dass eine Anzeige und dann eine Anklage wegen Blasphemie erfolgt. Dies ist aber unabhängig davon, welcher Religion jemand angehört. Von Januar 2011 bis Mai 2012 waren davon neben anderen Religionsangehörigen 16 Christen betroffen (Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 02.11.2012). Solche Anzeigen bzw. Anklagen können vielmehr aus jedem Grund erfolgen, z. B. wegen Verfolgung privater Interessen, und können so jeden Pakistani treffen. [...]