OVG Berlin-Brandenburg

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Zitieren als:
OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 12.02.2014 - 5 N 6.11 (ASYLMAGAZIN 12/2014, S. 438 f.) - asyl.net: M21931
https://www.asyl.net/rsdb/M21931
Leitsatz:

Ein bedingter Vorsatz im Einbürgerungsverfahren bezüglich § 10 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 StAG liegt vor, wenn der Antragsteller keine Kenntnis davon hat, ob und wie ein Strafverfahren gegen ihn beendet wurde, und daher seine unrichtige Angabe gegenüber der Einbürgerungsbehörde, unbestraft zu sein, ohne hinreichende Tatsachengrundlage macht.

Schlagwörter: Einbürgerung, falsche Angaben, unrichtige Angaben, vorsätzlich unrichtige Angaben, bedingter Vorsatz, Vorsatz, Strafverfahren, Rücknahme, Rücknahmegrund,
Normen: StAG § 10, StAG § 35 Abs. 1,
Auszüge:

[...]

Das Verwaltungsgericht hat die Klage gegen den Bescheid vom 1. Dezember 2009, mit dem die Einbürgerung des Klägers nach § 35 StAG zurückgenommen worden ist, abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, dass die Einbürgerung rechtswidrig gewesen sei und diese durch vorsätzlich unrichtige oder unvollständige Angaben, die wesentlich für ihren Erlass gewesen seien, erwirkt worden sei. Der Kläger sei am 31. März 2008 auf der Rechtsgrundlage des § 10 StAG eingebürgert worden, ohne dass dessen Voraussetzungen vorgelegen hätten. § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 StAG setze für eine Anspruchseinbürgerung u.a. voraus, dass der Ausländer weder wegen einer rechtswidrigen Tat zu einer Strafe verurteilt noch gegen ihn auf Grund seiner Schuldunfähigkeit eine Maßregel der Besserung und Sicherung angeordnet worden sei. Der Kläger sei jedoch, nachdem er in Belgien für 132 Tage in Untersuchungshaft genommen worden sei, im Jahr 2004 durch ein dortiges Strafgericht zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden. Dennoch habe er gegenüber der Einbürgerungsbehörde erklärt, dass er unbestraft sei. Diese unrichtige Angabe habe der Kläger mit bedingtem Vorsatz gemacht. Nach seinen eigenen Äußerungen im Verwaltungsverfahren und in der mündlichen Verhandlung habe er bei Stellung des Einbürgerungsantrags am 9. Oktober 2007 und Entgegennahme der Einbürgerungsurkunde am 31. März 2008 keine positive Kenntnis darüber gehabt, wie das gegen ihn geführte Strafverfahren in Belgien ausgegangen sei. Er habe sich dahin eingelassen, er könne "aufgrund fehlender Kenntnisse im belgischen Rechtssystem nichts Genaueres dazu angeben, auf welche Art und Weise das Verfahren beendet" worden sei. Vor diesem Hintergrund habe es dem Kläger für seine Angabe, unbestraft zu sein, an einer hinreichenden Tatsachengrundlage gefehlt. Dem Kläger sei dies bekannt gewesen. Er habe damit auch gewusst, dass seine Erklärung, unbestraft zu sein, möglicherweise unrichtig gewesen sei. Er habe dies in Kauf genommen und die Frage nach Straftaten gleichwohl "ins Blaue hinein" verneint.

Der Vorhalt des Klägers, er habe bei seiner unrichtigen Angabe gegenüber der Einbürgerungsbehörde ohne Vorsatz gehandelt, weil seine Rechtsanwältin seinerzeit ihm nicht nur mitgeteilt habe, er könne "als freier Mann" nach Hause gehen, sondern auch zu ihm gesagt habe, "er könne sein normales Leben in Deutschland leben", und er diese Äußerungen damals so verstanden habe, dass er nicht verurteilt worden sei, erschüttert die Feststellungen des Verwaltungsgerichts nicht. Das Verwaltungsgericht hat das Vorliegen eines bedingten Vorsatzes darauf gestützt, dass der Kläger nach seiner eigenen Einlassung keine Kenntnis davon gehabt habe, ob und wie das Strafverfahren beendet worden sei, und seine unrichtige Angabe gegenüber der Einbürgerungsbehörde, unbestraft zu sein, ohne hinreichende Tatsachengrundlage erfolgt sei. Die Schlussfolgerung des Verwaltungsgerichts vermag der Kläger zulassungsrechtlich nicht mit seinem bloßen Hinweis in Frage zu stellen, dass er auf die Äußerungen seiner Rechtsanwältin vertraut habe. Denn er stellt nach wie vor nicht in Abrede, trotz dieser Auskünfte sowohl bei der Stellung des Einbürgerungsantrages als auch bei der Entgegennahme der Einbürgerungsurkunde keine positive Kenntnis vom Ausgang des gegen ihn in Belgien geführten Strafverfahrens gehabt zu haben. Darüber hinaus sind auch die von ihm zitierten Auskünfte selbst nicht geeignet, den Standpunkt des Verwaltungsgerichts ernsthaft in Zweifel zu ziehen. Diese konnte der Kläger angesichts der von ihm eingeräumten Unkenntnis vom Verfahrensausgang allenfalls dahingehend verstehen, dass er mit keinen weiteren strafrechtlichen Sanktionen rechnen musste. Das schloss jedoch eine - dem Einbürgerungsanspruch nach § 10 StAG entgegenstehende - strafrechtliche "Bescholtenheit" des Klägers, etwa durch eine Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe, die zur Bewährung ausgesetzt oder durch die Anrechnung der 132-tägigen Untersuchungshaft des Klägers abgegolten war, keinesfalls aus.

Anders als der Kläger meint, ist das Verwaltungsgericht beanstandungsfrei davon ausgegangen, dass die Tatsache, dass zwischen dem strafrechtlichen Verhandlungstermin im Jahr 2004 und der Stellung des Einbürgerungsantrages einige Jahre verstrichen seien, am bedingten Vorsatzes des Klägers nichts ändere. Soweit der Kläger dagegen einwendet, er habe im Hinblick darauf, dass er in "diesen 3 bzw. 4 Jahren" nichts von den belgischen Behörden gehört habe, erst recht darauf vertrauen dürfen, nicht verurteilt worden zu sein, übersieht er, dass dieser Umstand für die aus der Sicht des Verwaltungsgerichts insoweit allein entscheidende und vom Kläger eingeräumte Unkenntnis über den Ausgang des strafrechtlichen Verfahrens ohne Belang ist.

Ob die von dem Kläger in Zweifel gezogene Annahme des Verwaltungsgerichts, dass seine Angabe gegenüber der Einbürgerungsbehörde darüber hinaus auch unvollständig gewesen sei und der Kläger dies billigend in Kauf genommen habe, zutrifft, kann dahingestellt bleiben, weil bereits nach der selbständig tragenden Begründung des Verwaltungsgerichts, dass der Kläger die Einbürgerung durch eine vorsätzlich unrichtige Angabe erwirkt habe, ein ausreichender Rücknahmegrund für die im Ermessen des Beklagten stehende Rücknahme der Einbürgerung nach § 35 Abs. 1 StAG anzunehmen ist.

Schließlich geht die Rüge des Klägers, das Verwaltungsgericht habe bei seiner Ermessenskontrolle verkannt, dass der Beklagte die Rücknahme der Einbürgerung auf eine arglistige Täuschung gestützt habe, während es selbst die Klage mit der Begründung abgewiesen habe, der Kläger habe "lediglich" bedingt vorsätzlich unrichtige oder unvollständige Angaben gemacht, angesichts der Gleichrangigkeit der genannten, in § 35 Abs. 1 StAG normierten und jeweils gleichermaßen ein Ermessen eröffnenden Rücknahmegründe ins Leere (vgl. Hailbronner, in: Hailbronner/Renner/Maaßen, Staatsangehörigkeitsrecht, 5. Auflage 2010; § 35 Rn. 10 und 21). [...]