VG Cottbus

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Zitieren als:
VG Cottbus, Beschluss vom 11.07.2014 - 5 L 190/14.A - asyl.net: M22123
https://www.asyl.net/rsdb/M22123
Leitsatz:

Antragsteller im Sinne der Dublin III-VO kann auch ein bereits anerkannter Flüchtling sein.

(Amtlicher Leitsatz)

Schlagwörter: Dublinverfahren, Dublin III-Verordnung, anerkannter Flüchtling, ausländische Flüchtlingsanerkennung, Abschiebungsanordnung, Asylantrag, Zweitantrag, im Bundesgebiet geborenes Kind, Italien, Zurückschiebung,
Normen: AsylVfG § 34a Abs. 1 S. 1, VO 604/2013 Art. 20 Abs. 3 S. 2, VO 604/2013 Art. 2 Bst. c, VO 604/2013 Art. 18 Abs. 1 Bst. d,
Auszüge:

[...]

Die auf § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG gestützte Abschiebungsanordnung nach Italien erweist sich als voraussichtlich rechtmäßig. Einschlägig ist allerdings nicht § 34a Abs. 1 Satz 1 erste Alt. AsylVfG sondern § 34a Abs. 1 Satz 1 zweite Alt. AsylVfG. Der Antragsteller ist nicht über einen sicheren Drittstaat eingereist, weil er im Bundesgebiet geboren ist. Für die Prüfung seines Asylantrages ist aber die Republik Italien zuständig (§ 27a AsylVfG). Die auf § 26a AsylVfG abstellende Begründung ist demnach unzutreffend, was sich jedoch im Ergebnis nicht auswirkt (vgl. § 46 VwVfG). Das noch in Art. 19 Abs. 2 Satz 1 Verordnung (EG) Nr. 343/2003 vorgesehene Begründungserfordernis greift Art. 26 Abs. 2 Verordnung (EU) Nr. 604/2013 nicht auf, womit sich die Frage erübrigt, ob eine unzutreffende Begründung unionsrechtlich andere als in § 46 VwVfG vorgesehene Folgen nach sich zieht.

Die Zuständigkeit Italiens folgt aus Art. 20 Abs. 3 Verordnung (EU) Nr. 604/2013. Darin heißt es wörtlich: Für die Zwecke dieser Verordnung ist die Situation eines mit dem Antragsteller einreisenden Minderjährigen, der der Definition des Familienangehörigen entspricht, untrennbar mit der Situation seines Familienangehörigen verbunden und fällt in die Zuständigkeit des Mitgliedstaats, der für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz dieses Familienangehörigen zuständig ist, auch wenn der Minderjährige selbst kein Antragsteller ist, sofern dies dem Wohl des Minderjährigen dient. Ebenso wird bei Kindern verfahren, die nach der Ankunft des Antragstellers im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten geboren werden, ohne dass ein neues Zuständigkeitsverfahren für diese eingeleitet werden muss.

Die Voraussetzungen dieser Vorschrift sind erfüllt, wobei vorliegend Art. 20 Abs. 3 Satz 2 Verordnung (EU) Nr. 604/2013 eingreift.

Beim Antragsteller des vorliegenden gerichtlichen Verfahrens handelt es sich um ein Kind, welches nach Ankunft seiner Mutter im Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland geboren wurde.

Seine Mutter, Frau A., die am 22. Juli 2013 beim Bundesamt Asyl beantragt hat, ist auch Antragsteller i.S.d. Art. 20 Abs. 3 Verordnung (EU) Nr. 604/2013.

Dem steht nicht entgegen, dass sie bereits in Italien einen Asylantrag gestellt hatte, über den auch unanfechtbar mit der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft entschieden wurde.

Freilich definiert Art. 2 lit.c) Verordnung (EU) Nr. 604/2013 als "Antragsteller" einen Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen, der einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, über den noch nicht endgültig entschieden wurde. Diese Definition stellt aber auf den jeweils gegenständlichen Asylantrag ab (so auch VG Bremen, Beschluss v. 11.03.2014 – 1 V 153/14, BeckRS 2014, 48760; VG Berlin, Beschluss vom 02. Juni 2014 – 33 L 156.14 A – Juris Rn. 14). Unerheblich ist also, ob ein innerhalb der EU anderweit gestellter Antrag bereits bestandskräftig beschieden wurde. Maßgeblich ist insoweit allein das formelle Factum der Stellung eines Asylantrages ungeachtet seiner Zulässigkeit oder seiner Begründetheit (a.A. VG Trier, Beschluss vom 16. April 2014 – 5 L 569/14.TR – Juris Rn. 14).

Ein anderes Begriffsverständnis hätte zur Folge, dass der Anwendungsbereich der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 für die Fallgruppen der Folge- bzw. Zweitanträge, die in dieser Verordnung aber ausdrücklich geregelt werden, verschlossen wäre.

Ihren Anwendungsbereich beschreibt die Verordnung in Art. 1. Danach legt die Verordnung die Kriterien und Verfahren fest, die bei der Bestimmung des Mitgliedsstaates, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedsstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist, zur Anwendung gelangen sollen. Bereits hier spricht die Vorschrift bezeichnenderweise nicht vom ersten innerhalb der EU gestellten Antrag, sondern allgemein von einem Antrag.

Folgerichtig regelt Art. 18 Abs. 1 d) Verordnung (EU) Nr. 604/2013, welcher Mitgliedstaat für jene Drittstaatsangehörige zuständig ist, deren erster Asylantrag in einem Mitgliedsstaat bereits bestandskräftig abgelehnt wurde. Erfasst wird hier jene Personengruppe, die ausdrücklich ein zweites Asylverfahren anhängig macht, nachdem innerhalb der EU über zumindest einen Asylantrag bereits befunden wurde.

Gerade auch die "Richtlinie zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes" des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 2013/32/EU belegt, dass auch derjenige, dem bereits internationaler Schutz zuerkannt wurde, Antragsteller sein kann. Indem nämlich Art. 33 Abs. 2 lit. a) der Richtlinie anordnet, dass Anträge dieser Personen als unzulässig zu behandeln sind, macht er zugleich deutlich, dass auch anerkannte Flüchtlinge Antragsteller sind und ein von ihnen abermals angebrachtes Asylgesuch formal als Asylantrag zu qualifizieren ist. Im Übrigen definiert Art. 2 lit. c) der Richtlinie 2013/32/EU den Begriff des "Antragsteller(s)" nahezu wortgleich wie in Art. 2 lit. c) Verordnung (EU) Nr. 604/2013, indem auch hier auf einen Antrag abgestellt wird, "über den noch keine bestandskräftige Entscheidung ergangen ist". Wäre nach dieser Definition nicht auch lediglich der jeweils gegenständliche Asylantrag maßgeblich, liefen die Bestimmungen des Art. 33 Abs. 2 lit. a) der Richtlinie 2013/32/EU, aber auch des Art. 33 Abs. 2 lit. d) der Richtlinie 2013/32/EU, der sich zu Folgeanträgen verhält, leer.

Vor diesem Hintergrund drängt es sich auf, dass die Verordnung (EU) Nr. 604/2013 auch für Folge- und Zweitanträge gelten soll und zwar auch dann, wenn der Erstantrag bereits bestandskräftig in einem anderen Mitgliedsstaat beschieden wurde.

Von der Anwendbarkeit schon der Verordnung (EG) Nr. 343/2003, der Vorgängerregelung der hier maßgeblichen Verordnung (EU) Nr. 604/2013, ging im Übrigen auch der nationale Gesetzgeber in derartigen Fällen ersichtlich aus (vgl. BT-Drs. 16/5065, S. 219), was seinen Niederschlag in der Regelung des § 71a AsylVfG gefunden hat (vgl. VG Berlin, Beschluss vom 02. Juni 2014 – 33 L 156.14 A – Juris Rn. 13).

Ist nach alledem vorliegend Art. 20 Abs. 3 Verordnung (EU) Nr. 604/2013 einschlägig, folgt daraus, dass die Republik Italien für das Asylverfahren des minderjährigen im Bundesgebiet geborenen Kindes zuständig und zur seiner Aufnahme verpflichtet ist.

Die Vorschrift ordnet für das minderjährige Kind eine zuständigkeits- und verfahrensrechtliche Akzessorietät zum Hauptverfahren des Familienangehörigen an.

Die Republik Italien ist dem Wiederaufnahmeersuchen des Bundesamtes nicht innerhalb der in Art. 20 Verordnung (EG) Nr. 343/2003 entgegengetreten, weshalb die Zustimmung als erteilt gilt. Das Bundesamt hat auch die Abschiebung der Mutter nach Italien angeordnet, wogegen keine Bedenken bestehen (vgl. Beschluss vom gleichen Tage zum Verfahren 5 L 85/14.A; dort auch zur Vereinbarkeit der Abschiebung mit Art. 4 EU-GR-Charta).

Ein gesondertes Ersuchen für das Kind ist entbehrlich (Art. 20 Abs. 3 Satz 2 Verordnung (EU) Nr. 604/2013), weil schon kein gesondertes Zuständigkeitsverfahren eingeleitet wird. [...]