VG Hamburg

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Zitieren als:
VG Hamburg, Beschluss vom 04.09.2014 - 15 E 3574/14 - asyl.net: M22704
https://www.asyl.net/rsdb/M22704
Leitsatz:

Der für die deutsche Staatsangehörigkeit eines Kinder nach § 4 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 StAG erforderliche rechtmäßige Aufenthalt von 8 Jahren beginnt mit Erteilung des ersten Aufenthaltstitels an ein Elternteil, wenn sich dieses zuvor lediglich geduldet im Bundesgebiet aufhielt. Der Zeitraum zwischen Beantragung und Erteilung des Aufenthaltstitels kann nicht hinzugerechnet werden.

(Amtlicher Leitsatz)

Schlagwörter: deutsche Staatsangehörigkeit, geduldeter Aufenthalt, rechtmäßiger Aufenthalt, Duldung, Erwerb der Staatsangehörigkeit durch Geburt, Aufenthaltsdauer, Anrechnung, gewöhnlicher Aufenthalt,
Normen: StAG § 4 Abs. 3 S. 1 Nr. 1, AufenthG § 28 Abs. 1 S. 1 Nr. 3, AsylvfG § 55 Abs. 3, AufenthG § 81 Abs. 3, AufenthG § 81 Abs. 4,
Auszüge:

[...]

1. Der Antragstellerin ist voraussichtlich keine Aufenthaltserlaubnis aufgrund der Geburt eines deutschen Kindes zu erteilen, so dass es nicht geboten ist, ihren Aufenthalt zur Sicherung dieses Anspruchs vorübergehend bis zur Entscheidung darüber in der Hauptsache zu dulden.

Zwar ist nach § 28 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 AufenthG dem Elternteil eines minderjährigen ledigen Deutschen eine Aufenthaltserlaubnis zur Ausübung der Personensorge zu erteilen, wenn der Deutsche seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet hat. Die Antragstellerin ist voraussichtlich aber nicht Mutter eines deutschen Kindes, da ihre Tochter allein über die serbische Staatsangehörigkeit verfügen dürfte.

Unzweifelhaft ist kein Elternteil des Babys deutsch, so dass sich hier eine deutsche Staatsangehörigkeit nicht durch Abstammung von einem Deutschen nach § 4 Abs. 1 StAG, sondern nur aus § 4 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 StAG ergeben kann. Dies erfordert aber, dass zumindest ein Elternteil seit acht Jahren rechtmäßig seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat. Insoweit kommt allein der Aufenthalt des seit fast 15 Jahren in Deutschland lebenden Kindesvaters in Betracht. Dieser wies nach der in diesem Eilverfahren gebotenen summarischen Prüfung der Sach- um Rechtslage zum Zeitpunkt der Geburt seiner Tochter zwar einen jedenfalls 8 Jahre währenden gewöhnlichen Aufenthalt im Inland auf, nicht aber zugleich einen auch mindestens 8 Jahre währenden rechtmäßigen Aufenthalt.

Ein schon seit vielen Jahren bestehender gewöhnlicher Aufenthalt des Kindesvaters in Deutschland erscheint als nicht zweifelhaft, da nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (m.w.N. BVerwG Urteil vom 19.10.2011, 5 C 28.10, BVerwGE 141, 94 ff., juris Rn. 10) ein ausländischer Elternteil seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland im Sinne des § 4 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 StAG hat, wenn er sich hier unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er in der Bundesrepublik Deutschland nicht nur vorübergehend verweilt, sondern auf unabsehbare Zeit hier lebt, sodass die Beendigung des Aufenthalts ungewiss ist. Hierbei sind vor allem die Vorstellungen und Möglichkeiten des Ausländers von Bedeutung. Die Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts erfordert keine förmliche Zustimmung der Ausländerbehörde. Ebenso wenig ist erforderlich, dass der Aufenthalt mit Willen der Ausländerbehörde auf grundsätzlich unbeschränkte Zeit angelegt ist und sich zu einer voraussichtlich dauernden Niederlassung verfestigt hat. Ein zeitlich befristeter Aufenthaltstitel schließt daher die Begründung und Beibehaltung eines gewöhnlichen Aufenthalts nicht aus. Selbst wiederholt erteilte Duldungen hindern die Begründung und Beibehaltung eines gewöhnlichen Aufenthalts im Bundesgebiet nicht.

Dieser gewöhnliche Aufenthalt des Kindesvaters dürfte jedoch zum Zeitpunkt der Geburt der Tochter nur für einen Zeitraum von rund 7 1/2 Jahren zugleich rechtmäßig gewesen sein.

Ein ausländischer Elternteil hat nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts im Sinne des § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 StAG rechtmäßig seinen Aufenthalt im Inland, wenn sein Aufenthalt genehmigungsfrei ist oder im Fall der Genehmigungspflicht insbesondere auf einem erteilten Aufenthaltstitel oder einer gesetzlichen Erlaubnis beruht oder kraft Gesetzes fiktiv erlaubt ist (vgl. m.w.N. BVerwG Urteil vom 19.10.2011, 5 C 28.10, BVerwGE 141, 94 ff., juris Rn. 12). Nur für Asylsuchende gibt es insoweit eine asylverfahrensrechtliche Sonderregelung, weil dort gemäß § 55 Abs. 3 AsylVfG die Zeit ab der letztlich erfolgreichen Antragstellung bereits mitgezählt wird.

Diese Voraussetzungen erfüllt der Kindesvater, Herr ..., nicht:

Zu keiner Zeit war sein Aufenthalt in Deutschland genehmigungsfrei.

Einen Aufenthaltstitel besitzt er erst seit dem 6. November 2006, so dass er erst mit Ablauf des 5. November 2014 8 Jahre lang über einen Aufenthaltstitel verfügt haben wird.

Auch galt der Aufenthalt des Kindesvaters in den rund 11 Monaten, die zwischen der Beantragung des Aufenthaltstitels und dessen Erteilung vergingen, nicht nach § 81 Abs. 3 oder 4 AufenthG als erlaubt. Da es sich um die erstmalige Antragstellung handelte, scheidet die Anwendung von § 81 Abs. 4 AufenthG bereits aus. Die Fiktion eines erlaubten Aufenthaltes folgte auch nicht aus § 81 Abs. 3 AufenthG, da sich der Kindesvater bei Antragstellung nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hatte, weil sein Aufenthalt lediglich geduldet war. Dementsprechend hat er ausweislich der Sachakte während der Dauer der Bearbeitung seines Antrags auch keine Fiktionsbescheinigungen erhalten, sondern es wurde lediglich seine Duldung mehrfach verlängert.

Schließlich sprechen keine überzeugenden Gründe dafür, dass hier jener Zeitraum des geduldeten Aufenthalts des Kindesvaters, der zwischen der Beantragung des Aufenthaltstitels und dessen Erteilung lag, dem rechtmäßigen Aufenthalt hinzugerechnet werden kann. Das Bundesverwaltungsgericht rechnet Zeiten der Duldung nicht in die Zeiten des rechtmäßigen Aufenthaltes ein (BVerwG Urteil vom 19.10.2011, 5 C 28.10, BVerwGE 141, 94 ff., juris Rn. 12), wie auch die für die Gerichte nicht verbindlichen vorläufigen Anwendungshinweise des Bundesinnenministeriums zum StAG vom 17.4.2008, in Abschnitt 4.3.1.2, Satz 2 ausdrücklich regeln, dass Zeiten einer Duldung nicht angerechnet werden können. Allein dies kann auch nur dem Sinn des Gesetzes entsprechen, da andernfalls nicht ersichtlich wäre, weshalb § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 StAG ausdrücklich einen rechtmäßigen Aufenthalt verlangt und sich nicht auf den gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet beschränkt.

Zwar verkennt auch die Kammer nicht, dass sich für Herrn ... und seine Familie erhebliche rechtliche Nachteile daraus ergeben haben, dass seinem ersten Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels erst nach 11 Monaten entsprochen wurde, obwohl außer der von der Antragsgegnerin geltend gemachten schlechten Personalsituation keine Gründe dafür ersichtlich sind, weshalb die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis an einen damals 13jährigen Jungen so viel Zeit beanspruchte. Gleichwohl dürfte Herr... nicht die Möglichkeit haben, jenen Zeitraum nachträglich rechtlich aufzuwerten, um hierdurch die Voraussetzungen für die deutsche Staatsangehörigkeit seiner Tochter zu schaffen.

Im November 2006, als dem späteren Kindesvater mit Wirkung für die Zukunft eine Aufenthaltserlaubnis erteilt wurde, hätte ihm allerdings das Recht zugestanden, gegen die damit gleichzeitig inzidenter verfügte Ablehnung einer rückwirkenden Erteilung Widerspruch einzulegen und auf die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis bereits mit Wirkung ab Antragstellung zu bestehen (vgl. BVerwG, BVerwG, Urteil vom 29.9.1998, BVerwG 1 C 14.97, Buchholz 402.240 § 24 AuslG 1990 Nr. 3, juris Rn. 15, und m.w.N. Urteil vom 9.6.2009, 1 C 7.08, InfAuslR 2009, 378 ff., juris Rn.13). Ein schutzwürdiges Interesse hätte er hieran schon deshalb gehabt, weil er dann die Möglichkeit gehabt hätte, bereits ein knappes Jahr eher eine Niederlassungserlaubnis nach § 26 Abs. 4 AufenthG zu erhalten. An die Staatsangehörigkeit seiner späteren Kinder wird er allerdings damals angesichts seines geringen Lebensalters wohl kaum gedacht haben. Herr ..., damals vertreten durch seine Mutter und einen Rechtsanwalt, hat sich jedoch mit einer allein zukünftig wirksamen Aufenthaltserlaubnis zufriedengegeben und eine rückwirkende Erteilung nicht weiter verfolgt, so dass diese bestandskräftig abgelehnt wurde.

Diese Bestandskraft steht einer aktuellen Korrektur der damaligen Entscheidung entgegen. Auch die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur rückwirkenden Erteilung von Aufenthaltstiteln, auf die sich die Antragstellerin beruft, betrifft nur solche Fälle, in denen die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis für einen vergangenen Zeitraum noch nicht bestandskräftig abgelehnt wurde, sondern in denen dieser vergangene Zeitraum unmittelbar Streitgegenstand ist (so bereits BVerwG, Urteil vom 29.9.1998, BVerwG 1 C 14.97, Buchholz 402.240 § 24 AuslG 1990 Nr. 3, juris Rn. 18). Zudem ist nicht ersichtlich, dass die damalige Entscheidung der Antragsgegnerin über den Beginn des rechtmäßigen Aufenthalts des Kindesvaters von dieser selbst heute noch aufgehoben und abgeändert werden könnte. Um einen rechtswidrigen Verwaltungsakt, den die Antragsgegnerin auch nach Eintritt der Bestandskraft nach § 48 Abs. 1 HmbVwVfG im Ermessenswege zurücknehmen könnte, handelte es sich nicht, da Aufenthaltstitel nicht grundsätzlich rückwirkend ab Antragstellung erteilt werden müssen. Vielmehr hängt es von den Umständen des Einzelfalles und auch der konkreten Willensäußerung des Betroffenen ab, ob ein Aufenthaltstitel mit Wirkung für die Zukunft oder rückwirkend zu erteilen ist. Herr ... hatte damals keine rückwirkende Erteilung verlangt, so dass es auch keinen Grund gab, so zu verfahren. Da die damalige Erteilung der Aufenthaltserlaubnis erst mit Wirkung für die Zukunft somit als rechtmäßig zu qualifizieren ist, könnte sie allenfalls durch einen Widerruf beseitigt werden. Den Widerruf eines unanfechtbar gewordenen, rechtmäßigen und nicht begünstigenden Verwaltungsaktes sieht das Verwaltungsverfahrensrecht jedoch nur mit Wirkung für die Zukunft vor, nicht aber auch für die Vergangenheit (§ 49 Abs. 1 HmbVwVfG). [...]