VG Bayreuth

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Zitieren als:
VG Bayreuth, Beschluss vom 25.11.2014 - B 4 K 14.508 - asyl.net: M22881
https://www.asyl.net/rsdb/M22881
Leitsatz:

Zur Rechtswidrigkeit einer Aufenthaltsbeschränkung, die Sanktionscharakter hat und vornehmlich schikanös ist (unter Bezugnahme auf BayVGH, B. v. 3.6.2014 - 10 C 13.696).

Schlagwörter: räumliche Beschränkung, Aufenthaltsbeschränkung, Wohnsitzauflage, Landkreis, Sanktion, Sanktionscharakter, Duldung, vollziehbar ausreisepflichtig, Abschiebungshindernis, Mitwirkungspflicht,
Normen: AufenthG § 61 Abs. 1 S. 2,
Auszüge:

[...]

Die zulässige Klage, über die mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden werden kann (§ 101 Abs. 2 VwGO), ist begründet. Die räumliche Beschränkung des Aufenthalts der Klägerin auf den Landkreis Lichtenfels ist gemäß § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO aufzuheben, weil sie rechtswidrig und die Klägerin dadurch in ihren Rechten verletzt ist.

Zu einer auf § 61 Abs. 1 Satz 2 AufenthG gestützten räumlichen Aufenthaltsbeschränkung hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof in seinem Beschluss vom 03.06.2014 (10 C 13.696 – juris Rn. 9) Folgendes ausgeführt:

"Nach § 61 Abs. 1 Satz 1 AufenthG ist der Aufenthalt eines vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländers räumlich auf das Gebiet des Landes beschränkt. Damit ist gesetzlich festgelegt, dass sich der Kläger als vollziehbar ausreisepflichtiger Ausländer nur im Bereich des Landes Bayern aufhalten darf. Nach § 61 Abs. 1 Satz 2 AufenthG können die Ausländerbehörden aber weitere Bedingungen und Auflagen anordnen. Von dieser Befugnis hat die Beklagte dadurch Gebrauch gemacht, dass sie in der Nr. 3b des Bescheids vom 16. Dezember 2009 den Aufenthalt des Klägers räumlich auf die Stadt und den Landkreis C. beschränkt hat. Eine solche Regelung, die eine Duldung (noch weiter) einschränkt, muss im Einzelfall ihre Rechtfertigung in dem Zweck des Gesetzes und der vom Gesetzgeber gewollten Ordnung der Materie finden. Sie muss aufenthaltsrechtlich erheblichen Zwecken dienen und in diesem Sinne sachgerecht sein, also nicht im Widerspruch zum Zweck der Duldung stehen und die verfassungsrechtlichen Vorgaben wahren, was insbesondere dann nicht der Fall ist, wenn sie in erster Linie Sanktionscharakter hat und sich vornehmlich als schikanös darstellt. Diese, die frühere Rechtslage betreffende Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, ist im Grundsatz nach wie vor gültig (vgl. BayVGH, B.v. 21.12.2006 a.a.O., Rn. 40). Die Ausländerbehörde hat eine Ermessensentscheidung zu treffen und die öffentlichen und privaten Interessen unter Berücksichtigung der konkreten Gegebenheiten angemessen abzuwägen. Dabei muss sie auch würdigen, welche Zeitspanne der Ausländer den Beschränkungen bereits ausgesetzt ist. Je länger die Beschränkungen dauern, ohne dass sich eine Beendigung des Abschiebungshindernisses abzeichnet, umso eher wird sich ihre weitere Aufrechterhaltung als unangemessen erweisen (vgl. BVerwG, B.v. 28.12.1990 – 1 B 14.90 – juris Rn. 10)."

Gemessen daran erweist sich die mit Bescheid vom 08.07.2014 angeordnete räumliche Aufenthaltsbeschränkung als rechtswidrig. Zwar ist die Klägerin dieser Beschränkung erst seit einem guten Vierteljahr ausgesetzt. Es ist aber nicht ersichtlich, welchen konkreten aufenthaltsrechtlich erheblichen Zwecken die Aufenthaltsbeschränkung zu dienen geeignet ist. Die Klägerin akzeptiert und erfüllt offensichtlich die angeordnete Wohnsitzauflage. Sie hat einen festen Wohnsitz in der Gemeinschaftsunterkunft im Landkreis Lichtenfels, besucht vor Ort einen Deutschkurs und war bislang immer für die Ausländerbehörde erreichbar. Konkrete aufenthaltsrechtliche Maßnahmen der Ausländerbehörde, die eine spontane Verfügbarkeit der Klägerin erfordern würden und zu diesem Zweck eine (vorübergehende) räumliche Aufenthaltsbeschränkung auf den Landkreis Lichtenfels rechtfertigen könnten, stehen nicht an. Zwar hat auch das erkennende Gericht den Eindruck, dass die Klägerin nicht gewillt ist, den negativen Ausgang ihres Asylverfahrens als Ergebnis eines der deutschen Rechtsordnung entsprechenden rechtsstaatlichen Verfahrens zu akzeptieren und demgemäß ihrer vollziehbaren Ausreisepflicht nachzukommen. Ihr Vorbringen, keinen Menschen mehr in Äthiopien zu kennen, dem sie die für die Ausstellung einer Geburtsurkunde notwendige Vollmacht erteilen könnte, erscheint wenig überzeugend. Allerdings vereitelt die Klägerin die Beschaffung von Heimreisepapieren nicht etwa dadurch, dass sie sich dem Zugriff der Ausländerbehörde entzieht, sondern sie beschränkt sich darauf, erfolgversprechende eigene Bemühungen zu unterlassen. Es ist nicht ersichtlich, wie die räumliche Beschränkung ihres Aufenthalts auf den Landkreis Lichtenfels daran etwas ändern sollte, es sei denn im Sinne eines Druckmittels dergestalt, dass der Klägerin der Aufenthalt in Deutschland verleidet werden könnte. Eine Aufenthaltsbeschränkung mit dieser Zielsetzung wäre aber mit der zitierten Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs nicht vereinbar, weil sie Sanktionscharakter hätte und sich vornehmlich als schikanös darstellen würde.

Das Argument, vollziehbar ausreisepflichtige Ausländer dürften nicht besser gestellt werden als Asylbewerber, überzeugt nicht. Denn gemäß § 56 Abs. 3 Satz 1 AsylVfG bleiben die mit der Aufenthaltsgestattung gemäß § 56 Abs. 1 AsylVfG verbundenen räumlichen Beschränkungen nach Erlöschen der Aufenthaltsgestattung nur so lange in Kraft bis sie aufgehoben werden; danach ist gemäß § 61 Abs. 1 Satz 1 AufenthG der Aufenthalt eines vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländers kraft Gesetzes gerade nicht mehr – wie beim Asylbewerber – räumlich auf den Bezirk der Ausländerbehörde, sondern auf das Gebiet des Landes beschränkt. Das Gesetz sieht also eine Besserstellung von vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländern gegenüber Asylbewerbern im Hinblick auf ihren räumlichen Aufenthaltsbereich grundsätzlich vor. [...]