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Zitieren als:
BAMF, Bescheid vom 30.06.2015 - 5901765-255 - asyl.net: M23049
https://www.asyl.net/rsdb/M23049
Leitsatz:

In Niger besteht derzeit aufgrund von Masern- und Meningitisepidemien für ein Kleinkind allgemeine Gefahr, die ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG rechtfertigt.

Schlagwörter: Niger, Kleinkind, Kind, erhebliche individuelle Gefahr, Krankheit, Abschiebungsverbot, allgemeine Gefahr, Epidemie, Infektionskrankheiten,
Normen: AufenthG § 60 Abs. 5, EMRK Art. 3,
Auszüge:

[...]

Ein Abschiebungsverbot liegt vor.

Die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 AufenthG liegen hinsichtlich des Niger vor.

Eine Abschiebung gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG ist unzulässig, wenn sich dies aus der Anwendung der Konvention vom 04. November 1950 zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) ergibt.

In Betracht kommt dabei in erster Linie eine Verletzung des Art. 3 EMRK und damit die Prüfung, ob im Fall einer Abschiebung der Betroffene tatsächlich Gefahr liefe, einer dieser absoluten Schutznorm widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu werden.

Art. 3 EMRK verbietet aufenthaltsbeendende Maßnahmen, wenn im Zielstaat Folter oder eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung droht. Diese Bedrohung kann sowohl von staatlichen Akteuren, als auch von nichtstaatlichen Akteuren ausgehen. Allerdings muss nach der Rechtsprechung des EGMR die drohende Misshandlung ein Mindestmaß an Schwere erreichen, die sich aus den Umständen des Einzelfalls und der aktuellen Staatenpraxis ergibt. Hier fordert der EGMR eine gewisse Flexibilität im Umgang mit außergewöhnlichen Fällen.

Nach dem Sachvortrag des Bevollmächtigten der Antragstellerin droht ihr keine durch einen staatlichen oder nichtstaatlichen Akteur verursachte Folter oder relevante unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung.

Darüber hinaus kann nach der Rechtsprechung des europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) eine Verletzung des Art. 3 EMRK ausnahmsweise auch dann in Betracht kommen, wenn die Antragstellerin im Falle ihrer Abschiebung tatsächlich Gefahr läuft, im Aufnahmeland auf so schlechte humanitäre Bedingungen (allgemeine Gefahren) zu treffen, dass die Abschiebung dorthin eine Verletzung des Art. 3 EMRK darstellt.

Die Abschiebung trotz schlechter humanitärer Verhältnisse kann danach nur in sehr außergewöhnlichen Einzelfällen als unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu bewerten sein und die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 AufenthG i. V. m. Art. 3 EMRK erfüllen (vgl. BVerwG, U. v. 31.01.2013, 10 C 15/12, NVwZ 2013, 1167 ff.; VGH BW, U. v. 24.07.2013, A 11 S 697/13 m. w. N. insbesondere zur einschlägigen EGMR Rechtsprechung).

Die derzeitigen humanitären Bedingungen im Niger führen jedoch zu der Annahme, dass bei Abschiebung der Antragstellerin, einem Kleinkind, eine Verletzung des Art. 3 EMRK vorliegt.

Laut Auskunft des Auswärtigen Amtes hat das Gesundheitsministerium Nigers am 01.04.2015 Ausbrüche von bakterieller Meningitis und Masern gemeldet. Der Meningitisausbruch (überwiegend Meningokokken der Serogruppen W 135 und C) habe mit mehr als 900 registrierten Fällen seit Beginn des Jahres 2015 alle Regionen bis auf Diffa erfasst. Betroffen seien vor allem Dosso (südöstlich von Niamey) und die Hauptstadt Niamey, wo bislang mehr als 400 Menschen erkrankt und mehr als 70 gestorben seien.

Zudem seien seit Anfang 2015 im Niger mehr als 3000 Fälle von Masern aufgetreten (davon mehr als 2000 in Zinder).

Unter Berücksichtigung der individuellen Bewertung der Rückkehrsituation der Antragstellerin, einem 6 Monate altem Kleinstkind, ist vor diesem Hintergrund ein Abschiebungsverbot gem. § 60 Abs. 5 AufenthG festzustellen. [...]