LG Bielefeld

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Zitieren als:
LG Bielefeld, Beschluss vom 04.11.2015 - 23 T 649/15 - asyl.net: M23319
https://www.asyl.net/rsdb/M23319
Leitsatz:

Feststellung der Rechtswidrigkeit einer Haftanordnung wegen unzulässigem Haftantrag bei fehlender Begründung zur Durchführbarkeit der Rückführung und zur Erforderlichkeit der beantragten Haftdauer.

Schlagwörter: Abschiebungshaft, Haftdauer, Dublinverfahren, Haftbeschwerde, Haftbeschluss, Haftanordnung, Durchführbarkeit der Rückführung, Durchführbarkeit der Abschiebung, Mangel, Heilung,
Normen: FamFG § 58 Abs. 1, FamFG § 417 Abs. 2 S. 2 Nr. 3, FamFG § 417 Abs. 2 S. 2 Nr. 4, FamFG § 417 Abs. 2 S. 2 Nr. 5,
Auszüge:

[...]

Die Beschwerde ist zulässig und begründet.

Gegen die Verhängung der Abschiebungshaft durch das Amtsgericht ist gemäß § 106 Abs. 2 AufenthG in Verbindung mit § 58 Abs. 1 FamFG das Rechtsmittel der Beschwerde gegeben. Die Beschwerde des Betroffenen wurde fristgerecht eingelegt. Da sich das Verfahren mit der Entlassung des Betroffenen am 09.10.2015 erledigt hat, kann der Betroffene nach § 62 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 FamFG die Feststellung der Rechtswidrigkeit begehren. Das erforderliche berechtigte Interesse liegt vor (§ 62 Abs. 2 Nr. 1 FamFG). Die Freiheitsentziehung stellt stets einen schwerwiegenden Grundrechtseingriff dar (vgl. BGH Beschluss vom 15.02.2012 - XII ZB 389/11 m.w.N.).

Der Betroffene ist durch die Haftanordnung jedenfalls deshalb in seinen Rechten verletzt worden, weil es an einem zulässigen Haftantrag fehlte. Das Vorliegen eines zulässigen Haftantrags ist eine in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfende Verfahrensvoraussetzung. Zulässig ist der Haftantrag der beteiligten Behörde nur, wenn er den gesetzlichen Anforderungen an die Begründung entspricht, § 417. Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 bis 5 FamFG.

Entgegen § 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 und 5 FamFG fehlt dem vorliegenden Haftantrag bereits jegliche Begründung zu Durchführbarkeit der Rückführung und zu der Erforderlichkeit der beantragten Haftdauer von drei Wochen. § 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3, 4 FamFG erfordert unter Anderem die Darlegung von Tatsachen zur Durchführbarkeit der Zurückweisung innerhalb der beantragten Haftdauer. Insoweit sind auf das Land bezogene Ausführungen erforderlich, in welches der Betroffene abgeschoben werden soll. Anzugeben ist, ob und innerhalb welchen Zeitraums Abschiebungen in das betreffende Land üblicherweise möglich sind. Zudem sind konkrete Angaben zum Ablauf des Verfahrens und eine Darstellung zu machen, in welchem Zeitraum die einzelnen Schritte unter normalen Bedingungen durchlaufen werden können (vgl. BGH Beschluss vom 26.01.2012 - V ZB 235/11). Die Ausführungen im Haftantrag des Beteiligten zu 2) beschränken sich auf pauschale Verweise auf das Vorliegen eines Passersatzpapieres bis zum 20.10.2015 sowie auf eine Mitteilung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, nach der eine Überstellung bis zum 24.05.2016 möglich sei.

Der Mangel des Haftantrages ist auch nicht geheilt worden. Zwar können Mängel des Haftantrags auch noch im gerichtlichen Verfahren geheilt werden, dies jedoch nur mit Wirkung für die Zukunft (BGH Beschluss vom 03.05.2011 - V ZA 10/11).

Unabhängig davon, ob die ergänzenden Ausführungen des Beteiligten zu 2) im laufenden Beschwerdeverfahren ihrem Inhalt nach geeignet waren, den Mangel des Haftantrages zu heilen, wäre eine Heilung jedenfalls nicht mehr rechtzeitig eingetreten. Der Betroffene war im Zeitpunkt der Beschwerdeerwiderung des Beteiligten zu 2) bereits aus der Haft entlassen.

Auch der Beschluss vom 30.09.2010 hat die Mängel nicht behoben. Ihm fehlen die hierfür erforderlichen Feststellungen.

Zwar ist grundsätzlich auch das Gericht in der Lage, Antragsmängel zu beseitigen. Im Hinblick darauf, dass die Auslegung nationalstaatlicher Vorschriften die praktische Wirksamkeit der Rückführungsrichtlinie nicht infrage stellen darf, kann auch das Gericht das Vorliegen der an sich seitens der Behörde nach § 417 Abs. 2 FamFG vorzutragenden Tatsachen auf Grund eigener Ermittlungen von Amts wegen (§ 26 FamFG) in dem Beschluss feststellen. Die Behebung des Mangels durch den Haftrichter setzt jedoch voraus, dass dieser die Voraussetzungen zur Durchführbarkeit der Ab- oder Zurückschiebung des Ausländers und zu der dafür erforderlichen Haftdauer In seiner Entscheidung feststellt. Nur dann ist davon auszugehen, dass die Voraussetzungen tatsächlich vorgelegen haben, unter denen die Haft angeordnet werden darf. Fehlt es an solchen Feststellungen, verletzt eine dennoch ergehende Haftanordnung den Betroffenen in seinen Rechten (BGH Beschluss vom 16.07.2014 - V ZB 80/13). So verhält es sich hier. Zwar enthält der angefochtene Beschluss Ausführungen zum Vorliegen von Passersatzpapieren und einem möglichen Flug innerhalb der nächsten drei Wochen. Er beschränkt sich jedoch im Übrigen auf die Ausführung, dass nach derzeitigen Erkenntnissen eine Abschiebung innerhalb von drei Monaten durchgeführt werden könne. Hierin liegt keine ausreichende Feststellung zu § 62 Abs. 3 Satz 4 AufenthG (vgl. BGH Beschluss vom 12.05.2011 - V ZB 309/10; LG Köln Beschluss vom 27.06.2014 - 39 T 119/14). Vorliegend wären Feststellungen zu einer Verpflichtung Tschechiens, den Betroffenen wieder aufzunehmen und hierbei insbesondere zur Einhaltung der Überführungsfrist, die wie sich im Nachhinein herausstellte - nach der Auffassung Tschechiens bereits abgelaufen war, erforderlich gewesen. [...]