OVG Berlin-Brandenburg

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Zitieren als:
OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 18.11.2015 - 6 M 51.15 (= ASYLMAGAZIN 1-2/2016, S. 41 f.) - asyl.net: M23420
https://www.asyl.net/rsdb/M23420
Leitsatz:

Ausländer, die nicht die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzen, können sich nicht auf Artikel 7 Abs. 3 Buchstabe b) Unionsbürgerrichtlinie für das Erhaltenbleiben ihrer Erwerbstätigeneigenschaft berufen.

(Amtlicher Leitsatz)

Schlagwörter: Uniionsbürger, drittstaatsangehöriger Ehegatte, Drittstaatsangehörige, Unionsbürgerrichtlinie, Freizügigkeitsrichtlinie, Daueraufenthalt, Daueraufenthaltskarte, rechtmäßiger Aufenthalt, Sicherung des Lebensunterhalts, ausreichende Existenzmittel, Arbeitnehmereigenschaft, Erwerbstätigeneigenschaft,
Normen: RL 2004/38/EG Art. 7 Abs. 3 Bst. b, FreizügG/EU § 4a Abs. 5,
Auszüge:

[...]

Die Klägerin, eine russische Staatsangehörige, lebte seit dem 20. Dezember 2008 im Bundesgebiet mit ihrem Ehemann, einem britischen Staatsangehörigen. Die Ehe wurde am 12. August 2014 geschieden. Mit der Klage begehrt die Klägerin die Verpflichtung des Beklagten, ihr eine Daueraufenthaltskarte nach dem FreizügG/EU auszustellen. Das Verwaltungsgericht hat hinreichende Erfolgsaussichten dieser Klage mit der Begründung verneint, die Klägerin erfülle nicht die nach § 4a Abs. 5 FreizügG/EU erforderliche Frist von fünf Jahren eines ständig rechtmäßigen Aufenthalts im Bundesgebiet. Die sich nach der Richtlinie 2004/38/EG - Unionsbürgerrichtlinie - beurteilende Rechtmäßigkeit des Aufenthalts setze voraus, dass der Betroffene während einer Aufenthaltszeit von mindestens fünf Jahren ununterbrochen die Freizügigkeitsvoraussetzungen des Artikels 7 Abs. 1 der genannten Richtlinie erfüllt habe. Daran fehle es, weil die Klägerin im Zeitraum vom 6. Februar 2011 bis zum 14. März 2012 Arbeitslosengeld II - ALG II - nach dem SGB II bezogen habe. Sie habe in der Bedarfsgemeinschaft mit ihrem damaligen Ehemann als nicht erwerbstätige Familienangehörige eines ebenfalls nicht erwerbstätigen Unionsbürgers nicht über ausreichende Existenzmittel verfügt.

Mit der hiergegen gerichteten Beschwerde macht die Klägerin geltend, sie sei während der gesamten Zeit ihrer unfreiwilligen Arbeitslosigkeit arbeitsuchend gewesen und habe dem Arbeitsmarkt zur Verfügung gestanden. Nach Artikel 7 Abs. 3 Buchstabe b) Unionsbürgerrichtlinie bleibe die Erwerbstätigeneigenschaft des Unionsbürgers, der seine Erwerbstätigkeit als Arbeitnehmer nicht mehr ausübe, für die Zwecke des Absatzes 1 Buchstabe a) erhalten, sofern er sich bei ordnungsgemäß bestätigter unfreiwilliger Arbeitslosigkeit nach mehr als einjähriger Beschäftigung dem zuständigen Arbeitsamt zur Verfügung stelle. Diese Voraussetzungen erfülle die Klägerin. Sie habe seit dem August 2008 im Bundesgebiet eine abhängige Beschäftigung ausgeübt, diese im Herbst des Jahres 2010 verloren und sich dann bei der zuständigen Arbeitsverwaltung als arbeitsuchend gemeldet. Sie habe zunächst Arbeitslosengeld I und nach dessen Auslaufen vom 6. Februar 2011 bis zum 15. Oktober 2011 ALG II-Leistungen nach dem SGB II erhalten. Dieses Vorbringen rechtfertigt keine von der des Verwaltungsgerichts abweichende Entscheidung.

Die Klägerin kann sich für die Frage, ob sie während einer Aufenthaltszeit von mindestens fünf Jahren ununterbrochen die Freizügigkeitsvoraussetzungen des Artikels 7 Abs. 1 der Unionsbürgerrichtlinie erfüllt hat, nicht auf Artikel 7 Abs. 3 Buchstabe b) der Richtlinie berufen. Die Vorschrift stellt ihrem Wortlaut nach für das Erhaltenbleiben der Erwerbstätigeneigenschaft allein auf Unionsbürger, nicht aber auf deren Ehegatten, die selbst keine Unionsbürger sind, ab. Das Aufenthaltsrecht für Familienangehörige, die nicht die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzen und die den Unionsbürger in den Aufnahmemitgliedstaat begleiten oder ihm nachziehen, richtet sich nach Artikel 7 Abs. 2 Unionsbürgerrichtlinie. Das Aufenthaltsrecht nach Artikel 7 Abs. 1 gilt danach auch für Familienangehörige, sofern der Unionsbürger die Voraussetzungen des Absatzes 1 erfüllt. Die Klägerin könnte daher ein eigenständiges Aufenthaltsrecht auch in dem Zeitraum des ALG II-Bezugs nur dann von ihrem britischen Ehemann ableiten, wenn dieser selbst in der fraglichen Zeit die Voraussetzungen des Artikels 7 Abs. 1 Buchstabe a) Unionsbürgerrichtlinie erfüllt hätte. Daran fehlt es, da nach den unbestrittenen Feststellungen des Verwaltungsgerichts der damalige Ehemann der Klägerin im fraglichen Zeitraum selbst nicht erwerbstätig gewesen ist. [...]