VG Osnabrück

Merkliste
Zitieren als:
VG Osnabrück, Urteil vom 04.01.2016 - 5 A 83/15 - asyl.net: M23493
https://www.asyl.net/rsdb/M23493
Leitsatz:

1. § 60 Abs. 2 S. 2 AufenthG sieht durch seinen Verweis auf § 60 Abs. 1 S. 3 u. 4 AufenthG auch eine entsprechende Anwendung von § 60 Abs. 1 S. 2 AufenthG vor.

2. Asylanträge, die vor dem 20.07.2015 gestellt wurden, dürfen aufgrund der Übergangsregelung i.V.m. der Günstigkeitsbestimmung der Asylverfahrensrichtlinie n.F. nicht alleine wegen des zuvor in einem anderen Mitgliedstaat gewährten subsidiären Schutzstatus als unzulässig abgelehnt werden. Einer Anwendung von § 60 Abs. 2 S. 2 AufenthG steht in einem solchen (Übergangs ) Fall Art. 25 Abs. 2 lit. a) Asylverfahrensrichtlinie a.F. entgegen. Der Asylantrag ist vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge dann vielmehr als Zweitantrag gem. § 71a AsylG zu prüfen.

(Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: subsidiärer Schutz, Flüchtlingsanerkennung, sichere Drittstaaten, Zweitantrag, Verfahrensrichtlinie, Asylverfahrensrichtlinie, Unionsrecht, internationaler Schutz, Dublin III-Verordnung, Übergangsregelung,
Normen: AufenthG § 60 Abs. 2 S. 2, AufenthG § 60 Abs. 1 S. 2, RL 2013/32/EU Art. 25 Abs. 2 Bst. a, AsylG § 71a,
Auszüge:

[...]

Daraus folgt, dass eine Zuerkennung internationalen Schutzes i.S.d. Art. 2 Buchst. b Dublin III-VO i.V.m. Art. 2 Buchst. h RL 2011/95/EU (Qualifikationsrichtlinie), zur Unzulässigkeit eines (weiteren) Asylverfahrens bzw. eines Verfahrens auf Gewährung internationalen Schutzes durch die Beklagte führt.

In diesem Zusammenhang hat das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 17.06.2014, 10 C 7.13, juris, ausgeführt (vgl. dazu auch: Anmerkung hierzu von Prof. Dr. Uwe Berlit, Vors. RiBVerwG vom 25.08.2014, juris): [...]

Dieser Auffassung schließt sich das erkennende Gericht an. Vor dem Hintergrund dieses Verständnisses, der gesetzessystematischen Auslegung des § 60 Abs. 1, 2 AufenthG sowie der Wertungen, die hinter dem Gemeinsamen Europäischen Asylsystem, wie es in den Richtlinien 2011/95/EU (Qualifikationsrichtlinie) und 2013/32/EU (Asylverfahrensrichtlinie n.F.) sowie der Dublin-Verordnungen, vgl. u.a. Erwägungsgrund Nr. 2 der Dublin III-VO, zum Ausdruck kommt, stehen, führt eine in einem anderen Mitgliedstaat erlangte Zuerkennung subsidiären Schutzes ebenfalls dazu, dass ein (erneuter) Asylantrag unzulässig ist.

Dass der Verweis in § 60 Abs. 2 S. 2 AufenthG nur die Sätze 3 und 4 des Absatzes 1 - und nicht seinen Satz 2 - umfasst, spricht nicht gegen eine solche Annahme (a.A.: VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 29.04.2015, A 11 S 57/15, juris). Denn zum einen ist durch den in § 60 Abs. 1 S. 3 AufenthG formulierten Ausschluss der Fälle des Absatzes 1 S. 2 AufenthG ("außer in den Fällen des Satzes 2"), lediglich darauf verzichtet worden, den Inhalt dieses Satzes noch einmal zu nennen und damit den Absatz 1 Satz 3 zu unübersichtlich zu gestalten. Durch die o.g. negative Formulierung ist deutlich gemacht worden, dass bei Anwendung des Satzes 3 die Fälle des Satzes 2 - d.h. die Fälle, in denen bereits die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt wurde - gerade nicht betroffen sind. Ein Verständnis dahingehend, dass ein Verweis auf Satz 3 ohne (negativen) Bezug auf Satz 2 lediglich die alleinige Anwendbarkeit des Satzes 3, aber nicht der negativen Geltung des Satzes 2, beinhaltet, kann alleine aus gesetzeslogischen Gründen nicht überzeugen. So kann bei dem Verweis aus § 60 Abs. 2 AufenthG in seinen Absatz 1 Satz 3 gerade nicht der Einschub "außer in den Fällen des Satzes 2" hinweggedacht werden. Eine solche Teilverweisung ist in § 60 Abs. 2 S. 2 AufenthG nicht ansatzweise erkennbar.

Bei einem Verweis auf Satz 3 des Absatzes 1 ist daher nach Auffassung dieses Gerichtes eindeutig auch der Ausschluss der Fälle des Absatzes 1 Satz 2 mit betroffen. Durch die Formulierung "entsprechend", vgl. § 60 Abs. 2 S. 2 AufenthG, wird auch deutlich, dass § 60 Abs. 1 S. 3 - i.V.m. Satz 2 - und 4 AufenthG dem subsidiären Schutzstatus angepasst werden muss, d.h. dass auch diese Fälle unter diese Regelung fallen sollen. [...]

Dies führt im vorliegenden Fall dazu, dass der von der Beklagten angenommenen Auslegung des § 60 Abs. 2 S. 2 i.V.m. Abs. 1 S. 3 und 4 AufenthG der Art. 25 Abs. 2 lit. a) der Richtlinie 2005/85/EG - Asylverfahrensrichtlinie a.F. - entgegensteht. Denn die Kläger haben ihre Asylanträge bei der Beklagten vor dem 20.07.2015, nämlich am 15.09.2014, gestellt.

In dem Falle der Kläger ist auch nicht schon die Richtlinie 2013/32/EU - Asylverfahrensrichtlinie n.F. - anwendbar, deren Art. 33 Abs. 2 lit. a) der deutsche Gesetzgeber in § 60 Abs. 2 S. 2 AufenthG bereits zum 01.12.2013 umgesetzt hat (vgl. a.A.: VG Stade, Urt. v. 15.12.2015, 4 A 980/15, juris).

Denn die Übergangsregelung in Art. 52 UA 1 RL 2013/32/EU i.V.m. der Günstigkeitsbestimmung des Art. 5 RL 2013/32/EU regelt, dass die neue Asylverfahrensrichtlinie nur bereits für vor dem 20.07.2015 gestellte Asylanträge gilt, wenn es sich nicht um eine den Antragsteller belastende Änderung handelt. Da der Antragsteller in dem Fall des Bundesverwaltungsgerichts vom 30.09.2015, 1 B 51/15, lediglich die Gewährung subsidiären Schutz begehrte, konnte bereits das nationale Recht - § 60 Abs. 2 S. 2 AufenthG -, welches die Vorgaben des Art. 33 Abs. 2 lit. a) der neuen Asylverfahrensrichtlinie umsetzt, angewandt werden. Denn für den Antragsteller des Falles, den das Bundesverwaltungsgericht mit seinem Beschluss vom 30.09.2015 zu entscheiden hatte, ist das Ergebnis bei Anwendung beider Asylverfahrensrichtlinien dasselbe. So wurde der dortige Antragsteller durch die Anwendung der in deutsches Recht umgesetzten neuen Asylverfahrensrichtlinie nicht schlechter gestellt. Denn einen isolierten Antrag auf Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus war in der alten Asylverfahrensrichtlinie nicht geregelt.

In dem vorliegenden Fall begehren die Kläger jedoch nicht nur die Gewährung des subsidiären Schutzstatus. Das bedeutet, dass sie durch die Anwendung der neuen Asylverfahrensrichtlinie (Art. 33 Abs. 1, 2 lit. a), umgesetzt durch § 60 Abs. 2 S. 2 AufenthG, schlechter gestellt werden als durch die Regelung in der alten Asylverfahrensrichtlinie (Art. 25 Abs. 1, 2 lit. a), wonach ein Asylantrag als unzulässig abgelehnt werden kann, wenn ein anderer Mitgliedstaat bei dem Antragsteller die Flüchtlingseigenschaft - und nicht internationalen Schutz, d.h. auch die Gewährung subsidiären Schutz - zuerkannt hat.

Dadurch, dass Art. 33 RL 2013/32/EU für den hiesigen Fall keine Anwendung findet, sondern vielmehr Art. 25 RL 2003/85/EG, widerspricht § 60 Abs. 2 S. 2 AufenthG Unionsrecht, mit der Folge, dass die Asylverfahrensrichtlinie a.F. in dem hier vorliegenden Fall unmittelbar anzuwenden ist. Da der hier somit anwendbar Art. 25 RL 2003/85/EG lediglich die Möglichkeit einer Ablehnung als unzulässig in dem Falle einer vorherigen Anerkennung als Flüchtling vorsieht - und eine solche in dem Falle der Kläger nicht vorliegt -, ist die von der Beklagten in ihrem streitgegenständlichen Bescheid in Ziffer 1 vorgenommene Ablehnung der Asylanträge als unzulässig daher rechtswidrig. [...]