VG Ansbach

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Zitieren als:
VG Ansbach, Urteil vom 07.10.2015 - 11 K 15.50067 - asyl.net: M23570
https://www.asyl.net/rsdb/M23570
Leitsatz:

Zur Rechtswidrigkeit einer Abschiebungsandrohung aufgrund fehlender Rechtsgrundlage, wenn keine inhaltliche Prüfung des Asylantrags erfolgt ist.

Schlagwörter: Bulgarien, subsidiärer Schutz, Abschiebungsandrohung, sichere Drittstaaten, materielles Asylrecht, normative Vergewisserung, systemische Mängel, unmenschliche Behandlung, Abschiebungsanordnung, Abschiebungsandrohung, Dublin III-Verordnung, Dublinverfahren, inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis, inländisches Abschiebungshindernis,
Normen: EMRK Art. 3, VO 604/2013 Art. 3 Abs. 2, AsylVfG § 34a, AsylG § 34a, AsylVfG § 34, AsylG § 34,
Auszüge:

[...]

Im vorliegenden Fall hat das Bundesamt Ziffer 1 des streitgegenständlichen Bescheides zwar in der Begründung des Bescheides nur auf den Ausschluss einer Prüfung des subsidiären Schutzes nach § 60 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Abs. 1 Satz 3 AufenthG gestützt. In der Sache hat es damit aber zu erkennen gegeben, dass es nicht gewillt ist, eine sachliche Entscheidung auch über den bisher erlangten Schutzstatus hinausgehenden Schutzstatus als anerkannter Flüchtling nach der Genfer Konvention zu treffen. Konkret wird dies auf Seite 2 des Bescheides dadurch ausgedrückt, dass eine materielle Prüfung des Asylantrags nicht erfolgt. Im Ergebnis ist dies die gleiche Folge, wie wenn sich das Bundesamt von vornherein auf die Einreise aus dem sicheren Drittstaat beruft und auf eine Prüfung des Asylantrags in materieller Hinsicht verzichtet.

Die Ablehnung des Asylantrags als unzulässig ist auch nicht aus dem Grunde rechtswidrig, dass eine Ausnahme von dem der Drittstaatenregelung zugrunde liegenden Konzept der normativen Vergewisserung hier vorliegen würde. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (U. v. 14.5.1996, 2 BvR 1938.93, 2 BvR 2315.93, juris Rn. 189) kann das Konzept der normativen Vergewisserung grundsätzlich im Einzelfall oder für bestimmte Personengruppen durchbrochen werden. Das Bundesverfassungsgericht nennt in der genannten Entscheidung auch

mehrere Fallgruppen, in denen eine solche Durchbrechung denkbar ist. Von diesen fünf Fallgruppen (vgl. hierzu auch Renner/Bergmann/Dienelt, AuslR., § 31 AsylVfG, Rn. 14 m.w.N.) ist im vorliegenden Fall allenfalls diejenige vorstellbar, dass der Drittstaat (hier also Bulgarien) selbst gegen den Schutzsuchenden zu Maßnahmen politischer Verfolgung oder unmenschlicher Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK greift und dadurch selbst zum Verfolgerstaat wird. Soweit der Bevollmächtigte des Klägers auf das vorgelegte Urteil des VG München vom 19. September 2014 (Az. M 24 K 14.50343) verweist, geht dies bereits dem Ansatz nach fehl. Denn dieses Urteil betrifft die Frage, ob im bulgarischen Asylsystem systemische Mängel im Sinne von Art. 3 Abs. 2 der Dublin-III-VO vorliegen. Der Kläger hat jedoch in Bulgarien bereits subsidiären Schutz erhalten. Er ist damit kein Asylantragsteller mehr und unterliegt damit auch nicht der Dublin-III-VO. Gleiches gilt für das ebenfalls zur Begründung angeführte Urteil des VG Ansbach Az. AN 3 K 14.50104, das ebenfalls die Dublin-III-VO betrifft. Maßgeblich für die vorliegend interessierende Frage, ob eine Durchbrechung des Konzepts der normativen Vergewisserung angezeigt ist, ist aber nicht die tatsächliche Situation der Asylantragsteller in Bulgarien und die Frage, ob insoweit systemische Mängel im dargestellten Sinne vorliegen, sondern die tatsächliche Situation von Personen, denen schon internationaler Schutz, insbesondere subsidiärer Schutz zuerkannt wurde. Damit kommt es darauf an, ob in Bulgarien der gebotene Inhalt des dem Kläger zuerkannten Schutzstatus hinreichend eingehalten wird, oder ob für ihn als subsidiär Schutzberechtigten insoweit eine tatsächliche Gefahr besteht, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu sein (ebenso VG Berlin, U. v. 4.6.2015, Az. 23 K 906.14 A, juris, Rn. 23 unter Verweis auf VG Düsseldorf, U. v. 10.3.2015, Az. 17 K 3135/14.A, juris Rn. 24 und VG Magdeburg, B. v. 4.12.2014, Az. 9 B 438.14, juris Rn. 16). [...]

a) Die Abschiebungsandrohung ist mangels einer einschlägigen Rechtsgrundlage rechtswidrig. In der Begründung des streitgegenständlichen Bescheides (dort S. 3) ist noch § 34a AsylVfG erwähnt, ohne dass klar ausgedrückt wird, dass die Abschiebungsandrohung auf diese Bestimmung gestützt wird. Mit Schriftsatz vom 1. Oktober 2015 hat das Bundesamt auf die entsprechende Anfrage des Gerichts klar zu erkennen gegeben, dass es sich als Rechtsgrundlage nicht auf § 34a AsylVfG berufen will, da es die danach notwendige Prüfung inlandsbezogener Abschiebungshindernisse (wie z.B. die Reisefähigkeit), anders als nach § 34a AsylVfG notwendig, selbst nicht vornehmen will. Eine anderweitige Rechtsgrundlage für Ziffer 2 des Bescheides ist jedoch nicht ersichtlich.

Als "milderes Mittel" im Vergleich zur Abschiebungsanordnung wäre eine Abschiebungsandrohung denkbar, wenn § 34a AsylVfG tatbestandsmäßig erfüllt wäre. Die Voraussetzungen des § 34a AsylVfG liegen hier nicht vor. Bereits nach dem Wortlaut der Bestimmung ist Tatbestandsvoraussetzung, dass "feststeht, dass sie (die Abschiebung) durchgeführt werden kann". Zu prüfen ist daher grundsätzlich die Übernahmebereitschaft des jeweiligen Drittstaats, welche abschließend geklärt sein muss (vgl. nur VG Gelsenkirchen, U. v. 8.5.2015, Az. 18a K 3619/14, juris Rn. 57; OVG Hamburg, B. v. 3.12.2010, Az. 4 Bs 223/10, juris Rn. 10; OVG Berlin-Brandenburg, B. v. 1.2.2012, Az. 2 S 6.12, juris Rn. 4; Funke-Kaiser in: GK-AsylVfG, § 34a AsylVfG, Rn. 20; Hailbronner, AuslR., § 34a AsylVfG, Rn. 16; Pietz in: Kluth/Heusch, Beck-OK AuslR., § 34a AsylVfG, Rn. 12). Eine derartige Klärung lässt sich der Bundesamtsakte nicht entnehmen. Insoweit kann auch nicht die abschlägige Antwort Bulgariens auf die Anfrage um Übernahme des Klägers nach den Vorschriften der Dublin-III-VO herangezogen werden. Denn daraus ergibt sich eindeutig die Notwendigkeit einer erneuten Anfrage an eine andere, hierfür zuständige bulgarische Behörde (vgl. Bl. 92 der Bundesamtsakte).

Damit liegen aber die Tatbestandsvoraussetzungen des § 34a AsylVfG nicht vor. Die Abschiebungsandrohung konnte damit auf diese Bestimmung auch nicht im Sinne eines milderen Mittels gestützt werden, da sich diese Frage erst stellen würde, wenn die Tatbestandsvoraussetzungen vorliegen würden.

Es lässt sich aber auch keine andere Rechtsgrundlage für die in Ziffer 2 verfügte Abschiebungsandrohung finden. Insbesondere können hier nicht § 34 AsylVfG und §§ 59 und 60 Abs. 10 AufenthG herangezogen werden. Denn das Bundesamt ist im vorliegenden Fall für eine Abschiebungsandrohung nicht zuständig. § 34 AsylVfG regelt in Abs. 1 Satz 1 unter Bezugnahme auf den für ausländerrechtliche Abschiebungsandrohungen geltenden § 59 AufenthG die materiell-rechtlichen Voraussetzungen der asylrechtlichen Abschiebungsandrohung (Pietz in: Beck-OK AuslR., § 34 AsylVfG, vor Rn. 1). Danach ist materielle Voraussetzung für eine Abschiebungsandrohung durch das Bundesamt, dass die in Ziffern 1 bis 4 genannten Voraussetzungen (keine Zuerkennung eines Schutzstatus) erfüllt sind. Erforderlich ist damit, dass eine inhaltliche Prüfung des Asylantrags durchgeführt wurde. Wie bereits oben ausführlich dargestellt wurde, ist dies im vorliegenden Fall, da der Asylantrag des Klägers als unzulässig abgelehnt wurde, gerade nicht erfolgt. Daher ist das Bundesamt hier für den Erlass einer Abschiebungsandrohung nach § 34 AsylVfG gerade nicht zuständig. Es kann sich daher als Rechtsgrundlage der in Ziffer 2 verfügten Abschiebungsandrohung auch nicht auf die ausländerrechtlichen Bestimmungen der §§ 59 und 60 AufenthG berufen. [...]