VG Hamburg

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Zitieren als:
VG Hamburg, Urteil vom 23.07.2015 - 16 A 2725/14 - asyl.net: M23926
https://www.asyl.net/rsdb/M23926
Leitsatz:

Ehescheidung berechtigt zum Widerruf der Anerkennung als Familienasylberechtigte.

(Amtlicher Leitsatz)

Schlagwörter: Familienasyl, Familienflüchtlingsschutz, Widerruf, Scheidung, Stammberechtigter,
Normen: AsylG § 26, AsylG § 73
Auszüge:

[...]

a) Die Voraussetzungen für den Widerruf nach § 73 Absatz 1 Satz 1 AsylVfG sind erfüllt, denn die Voraussetzungen für das der Klägerin nach § 26 Abs. 1 Nr. 2 AsylVfG gewährte Familienasyl liegen nicht mehr vor. Zu diesen Voraussetzungen gehört – unter anderem – das Bestehen der Ehe mit dem als asyl - berechtigt Anerkannten und durch die Scheidung der Ehe zwischen der Klägerin und ihrem asylberechtigten Ehemann im Jahr 2012 liegen die Voraussetzungen für die Anerkennung der Klägerin als Asylberechtigte nicht mehr vor. Die Scheidung führt folglich zum Widerruf der Familienasylberechtigung (VG Ansbach, Urt. v. 15.10.2001, AN 18 K 00.31668, juris Rn. 19; BVerwG, Urt. v. 25.6.1991, 9 C 48/91, juris Rn. 12 zu § 16 Absatz 1 Satz 1 Nr. 1 AsylVfG und § 7a Absatz 3 AsylVfG a.F.).

Eine politische Verfolgung der Klägerin im Sinne des Art. 16a GG, die dem Widerruf des gewährten Familienasyls nach § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG entgegenstehen könnte, steht außer Rede.

Da sowohl § 73 Absatz 2b Satz 2 AsylVfG als auch § 73 Absatz 1 Satz 1 AsylVfG den Widerruf zwingend vorsehen, kommt es nicht darauf an, ob die Beklagten den angefochtenen Bescheid auf die "richtige" Rechtsgrundlage gestützt hat (OVG Hamburg, Beschl. v. 19.6.2013, 1 Bf 17/13.AZ; VGH Mannheim, Urt. v. 10.8.2000, A 12 S 129/00, juris, Rn. 29 zu § 73 Absatz 1 Satz 2 AsylVfG a.F.).

b) § 73 Absatz 1 Satz 1 AsylVfG ist vorliegend auch anwendbar und nicht durch die Regelung des § 73 Absatz 2b AsylVfG – deren Voraussetzungen, anders als die Beklagte meint, vorliegend nicht erfüllt sind, da die Asylberechtigung des stammberechtigten ehemaligen Ehemannes der Klägerin durch die Ehescheidung weder erloschen noch widerrufen oder zurückgenommen worden ist – ausgeschlossen.

Teilweise wird zwar vertreten, dass die Regelung des § 73 Absatz 2b AsylVfG eine abschließende Regelung für den Widerruf der Familienasylberechtigung nach § 26 AsylVfG darstelle (VG Karlsruhe, Urt. v. 9.10.2013, A 7 K 863/12, juris; VG Stuttgart, Urt. v. 27.8.2009, A 11 K 624/08, juris Rn. 19; VG Schleswig, Urt. v. 10.8.2009, 15 A 173/08, juris Rn. 21 und Urt. v. 17.11.2006, 4 A 277/04, juris; VG Sigmaringen, Urt. v. 19.7.2006, A 5 K 107/06, juris, Rn. 20, teilweise noch zu § 73 Absatz 1 Satz 2 AsylVfG a.F.; Hailbronner, AuslR, Stand September 2014, § 73 AsylVfG Rn. 83; Marx, AsylVfG, 8. Auflage 2014, § 73 Rn. 108). Durchgreifende Gründe, dem § 73 Absatz 2b AsylVfG eine derart abschließende Wirkung beizumessen, die eine Anwendung des Absatzes 1 der Vorschrift ausschließen würde, sind jedoch nicht ersichtlich. Weder lässt sich aus dem Wortlaut der Vorschriften und deren Regelungssystematik ableiten noch lässt sich der Entstehungsgeschichte entnehmen, dass durch die Regelung in § 73 Absatz 2b AsylVfG der Rückgriff auf den Grundtatbestand für den Asylwiderruf in § 73 Absatz 1 Satz 1 AsylVfG ausgeschlossen ist (aa). Darüber hinaus gebietet weder der verfahrensökonomische Zweck des Familienasyls von einer abschließenden Wirkung des § 73 Absatz 2b AsylVfG auszugehen, noch liegt den Regelungen zum Familienasyl eine solche integrationspolitische Zwecksetzung oder verfassungsrechtliche Implikation zugrunde, die eine eingeschränkte Anwendung des globalen Widerrufstatbestandes in § 73 Absatz 1 Satz 1 AsylVfG in den Fällen einer Scheidung vom Stammberechtigten veranlassen könnte (bb).

aa) Weder dem Wortlaut des § 73 Absatz 2b AsylVfG noch seiner Entstehungsgeschichte lässt sich entnehmen, dass es sich dabei um eine den § 73 Absatz 1 Satz 1 AsylVfG verdrängende speziellere Regelung handeln soll (VGH Mannheim, Urt. v. 10.8.2000, A 12 S 129/00, juris, Rn. 29; VG Braunschweig, Urt. v. 12.11.2004, 6 A 77/04, juris, Rn. 25 f.; VG Ansbach, Urt. v. 22.9.2004, AN 11 K 04.31275, juris, jeweils zu § 73 Absatz 1 Satz 2 AsylVfG a.F.; ebenfalls: OVG Hamburg, Beschl. v. 19.6.2013, 1 Bf 17/13.AZ und OVG Münster, Beschl. v. 5.9.2008, 8 A 816/08.A, juris).

Der Wortlaut des § 73 Absatz 2b AsylVfG enthält keinen Hinweis darauf, dass die allgemeine Widerrufsnorm des § 73 Absatz 1 Satz 1 AsylVfG im Falle des Familienasyls nicht anwendbar sein soll. Der Absatz 2b ist weder als enumerative Aufzählung von Widerrufsgründen bezogen auf die Gewährung von Familienasyl ausgeformt noch ist diese Norm durch die Verwendung eines Begriffs wie "nur" als abschließend formuliert worden, obwohl dies regelungstechnisch ohne weiteres möglich gewesen wäre.

Aus dem Wort "ferner" in Absatz 2b Satz 2 lässt sich eine abschließende Wirkung des Absatzes 2b nicht ableiten. Durch die Verwendung des Wortes "ferner" in diesem Satz könnte zwar geschlossen werden, dass im Bereich des Familienasyls neben dem Satz 1 nur dieser nachfolgende Satz, nicht aber darüber hinaus eine Regelung in einem anderen Absatz herangezogen werden könne. Diese systematischen Überlegungen sind aber aufgrund der Entwicklung, die der § 73 AsylVfG genommen hat, nicht tragfähig. Der angesprochene Satz 2 im Absatz 2b, der das Wort "ferner" aufweist, hatte nämlich bis zur Gesetzesänderung 2007 seinen Standort in Absatz 1 des § 73 AsylVfG direkt im Anschluss an die globale Widerrufsvorschrift in Satz 1. Er wurde durch die Gesetzesänderung lediglich vom Absatz 1 in den Absatz 2b des § 73 AsylVfG verschoben. Ursprünglich bot das Wort "ferner" deshalb einen klaren Hinweis darauf, dass im Bereich des Familienasyls neben diesem speziellen Satz zum Familienasyl auch die globale Widerrufsvorschrift in Satz 1 des Absatzes 1 im Bereich des Familienasyls anzuwenden ist (vgl. zu diesem systematischen Argument VGH Mannheim, Urteil vom 10.8.2000 a.a.O.). Dafür, dass der Gesetzgeber mit der späteren Verschiebung des betreffenden Satzes in den Absatz 2b den Willen verbunden haben könnte, nunmehr die ergänzende Anwendung der globalen Widerrufsvorschrift auszuschließen, fehlt es an einem greifbaren Anhalt. In den Gesetzgebungsmaterialien heißt es lediglich, dass Absatz 2b den Widerruf des Familienasyls und des Familienflüchtlingsschutzes nach § 26 AsylVfG regelt, da die bisherige Regelung in Absatz 1 Satz 2 nicht alle Fallgruppen abdecke (BT-Drs. 16/5065, S. 219). Daraus geht das Bestreben des Gesetzgebers hervor, dass er Regelungslücken in diesem Bereich der Widerrufsvorschriften schließen wollte. Was aber sein Wille ist, wenn ihm dies – wie etwa für Fälle der Ehescheidung vom Stammberechtigten - nach wie vor nicht gelingt, hat er nicht geäußert. Mangels entsprechenden Hinweises in den Gesetzgebungsmaterialien lässt sich also nicht der Schluss ziehen, dass der Gesetzgeber mit dieser Rechtsänderung die bisherige Anwendung des § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG für den Bereich des Familienasyls ausschließen, sondern nur, dass er die Voraussetzungen, unter denen ein Widerruf des Familienasyls in Betracht kommt, durch die Schaffung eines neuen Absatzes und neuer Sätze ergänzen wollte (a.A. VG Karlsruhe, Urt. v. 9.10.2013, A 7 K 863/12; VG Schleswig, Urt. v. 10.8.2009, 15 A 173/08, juris Rn. 25 mit dem Hinweis, dass im ersten Satz des Absatzes 2b nicht – bezüglich des Absatzes 1 – das Wort "ferner" eingefügt worden sei). Im Übrigen wäre es für den Gesetzgeber – wie ausgeführt – regelungstechnisch ein Leichtes gewesen mit der Rechtsänderung die abschließende Wirkung des in § 73 AsylVfG neu eingefügten Absatzes 2b zum Ausdruck zu bringen, wenn er dies tatsächlich beabsichtigt hätte. [...]