VG Ansbach

Merkliste
Zitieren als:
VG Ansbach, Beschluss vom 23.03.2017 - AN 4 S 17.30922 - asyl.net: M25314
https://www.asyl.net/rsdb/M25314
Leitsatz:

1. Wenn die Antragsteller ihrer Mitwirkungspflicht nicht nachkommen und die Fragen des BAMF zum Stand des Asylverfahrens im anderen Mitgliedstaat nicht beantworten, und wenn es keine Anhaltspunkte dafür gibt, dass das Asylverfahren dort nicht erfolglos abgeschlossen wurde, so kann das BAMF den Asylantrag als unzulässigen Zweitantrag ablehnen.

2. Wenn das BAMF den Asylsuchenden Gelegenheit zur schriftlichen Stellungnahme (über Wiederaufgreifensgründe) gibt und sie diese nicht nutzen, braucht das BAMF keine Anhörung durchzuführen.

3. Eine Krankheit, die ein inländisches Vollstreckungshindernis ist, muss nicht auch ein zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis sein.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: unzulässig, Zweitantrag, erfolglos abgeschlossenes Asylverfahren, Überstellungsfrist, psychische Erkrankung, Suizidgefahr, Posttraumatische Belastungsstörung, Abschiebungsanordnung, Ablauf der Überstellungsfrist, Verfahrensmangel, psychische Erkrankung, Anhörung, Dublinverfahren, Sachaufklärungspflicht,
Normen: AsylG § 24 Abs. 1 S. 3, AsylG § 25, VwGO § 51 Abs. 1, VwGO § 51 Abs. 2, VwGO § 51 Abs. 3, AsylG § 36 Abs. 3,
Auszüge:

[...]

27 Insoweit ist allerdings maßgeblich zu berücksichtigen, dass das Bundesamt - im Rahmen der ihm obliegenden Beweislast für das Vorliegen der Voraussetzungen des § 71a AsylG und des grundsätzlich bestehenden Amtsermittlungsgrundsatzes - aufgrund der aktenkundigen Umstände keinen Anlass hatte, den erfolglosen Abschluss des Asylverfahrens im Sinne von § 71a AsylG bzw. Art. 18 Abs. 1 lit. d) der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 in Polen anzuzweifeln.

28 So verfügte das Bundesamt einerseits über die besagte Information aus Polen durch das Schreiben vom 3. bzw. 4. Februar 2014. Hinzu kommt, dass das Bundesamt den Antragstellern durch den Fragebogen "Zum Sachstand des Verfahrens für die Zuerkennung des internationalen Schutzes" jeweils vom 10. Februar 2015 Gelegenheit gegeben hatte, sich zum Ausgang des Verfahrens zu äußern. Insoweit haben die Antragsteller jedoch jegliche Angaben verweigert und durch ihren Bevollmächtigten mit Schriftsätzen vom 25. Februar 2015 und vom 25. April 2016 lediglich darauf hinweisen lassen, dass die Überstellungsfrist abgelaufen und daher das Asylverfahren in Deutschland durchzuführen sei. Das Bundesamt hat somit sämtliche, ihm zur Verfügung stehenden Möglichkeiten zur Sachverhaltsaufklärung ausgeschöpft.

29 Die Antragsteller hingegen sind ihrer Mitwirkungspflicht gemäß § 15 Abs. 1 AsylG nicht nachgekommen. Im Rahmen der Klageerhebung teilte der Vertreter der Antragsteller darüber hinaus mit, dass davon auszugehen sei, dass in Polen ein Asylverfahren erfolglos im Sinne des § 71a AsylG abgeschlossen worden sei.

30 Aus diesem Grund durfte auch das Bundesamt annehmen, dass die maßgebliche Voraussetzung des § 71a AsylG für die Behandlung der Asylanträge als Zweitanträge erfüllt ist.

31 2. Keinen ernstlichen Zweifeln begegnet darüber hinaus der Umstand, dass das Bundesamt keine persönliche Anhörung der Antragsteller durchgeführt hat.

32 Insoweit sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass die gesetzliche Regelung hinsichtlich des Anhörungserfordernisses im Rahmen des Zweitantrags durchaus nicht vollkommen widerspruchsfrei ist: So wird in § 71a Abs. 2 AsylG zwar - unter anderem - auf die Vorschrift des § 25 AsylG verwiesen. Zudem wird in Satz 2 geregelt, dass von einer Anhörung abgesehen werden kann, soweit sie für die Feststellung, dass kein weiteres Asylverfahren durchzuführen ist, nicht erforderlich ist. Demgegenüber ist in dem seit 6. August 2016 neu gefassten § 29 Abs. 2 AsylG festgelegt, dass das Bundesamt im Falle eines Zweitantrags nach § 71a AsylG (§ 29 Abs. 1 Nr. 5, 2. Alt. AsylG) keine persönliche Anhörung des Antragstellers durchführt, sondern diesem lediglich Gelegenheit zur Stellungnahme nach § 71 Abs. 3 AsylG gibt.

33 Vorliegend hat das Bundesamt den Antragstellern mit den jeweiligen Schreiben vom 10. Februar 2015 jedenfalls Gelegenheit zur Stellungnahme im Sinne von §§ 29 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. 71 Abs. 3 Satz 1 AsylG gegeben.

34 Nach der mutmaßlichen gesetzgeberischen Intention ist mit der Neufassung des § 29 AsylG und hier insbesondere mit der Formulierung in § 29 Abs. 2 Satz 2 AsylG davon auszugehen, dass eine persönliche Anhörung im Rahmen eines Zweitantrages im Sinne von § 71a AsylG nicht mehr Voraussetzung sein soll, vgl. zu dieser Thematik den ausführlichen Beschluss der 2. Kammer des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 11. Januar 2017, AN 2 S. 16.32491 - juris. Daher führt die unterbliebene persönliche Anhörung im Rahmen des Zweitantrages nicht zu einem Verfahrensmangel, der geeignet wäre, ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheids begründen.

35 3. Hinsichtlich der Erkrankung des Antragstellers zu 1) im Verfahren AN 4 S. 17.30922 bestehen ebenfalls keine ernstlichen Zweifel, was die Verneinung eines Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 7 Satz AufenthG durch das Bundesamt angeht.

36 Zwar wurde die Abschiebungsanordnung nach Polen im Bescheid vom 19. Februar 2014 durch die 4. Kammer des Verwaltungsgerichts Ansbach wegen der Erkrankung des Antragstellers zu 1) durch Urteil vom 9. Juli 2014 aufgehoben. Dabei ging es jedoch nicht um ein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot, welches das Bundesamt bei seiner Entscheidung gemäß § 71a Abs. 4 i.V.m. § 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AsylG zu prüfen hat, sondern nur um ein inländisches Vollstreckungshindernis im Rahmen der Entscheidung nach § 34a AsylG in Form der Reiseunfähigkeit. Dass insoweit eine Reiseunfähigkeit bejaht wurde, bedeutet allerdings nicht, dass ein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot vorliegen muss, auch wenn es sich möglicherweise um dieselbe zugrunde liegende Erkrankung handelt. [...]