VG Karlsruhe

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Zitieren als:
VG Karlsruhe, Urteil vom 09.08.2017 - A 4 K 7750/16 - asyl.net: M25486
https://www.asyl.net/rsdb/M25486
Leitsatz:

1. Ein afghanischer Staatsangehöriger und Angehöriger der Volksgruppe der Hazara aus Afghanistan, der in Pakistan geboren und aufgewachsen ist und dem die Abschiebung nach Pakistan angedroht worden ist, hat weder einen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 AsylG noch auf Zuerkennung subsidiären Schutzes gemäß § 4 AsylG.

2. Zur Abschiebungsandrohung nach Pakistan.

(Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: Afghanistan, Pakistan, Hazara, Schiiten, Gruppenverfolgung, gefahrerhöhende Umstände, Flüchtlingsanerkennung, subsidiärer Schutz,
Normen: AsylG § 3, AsylG § 4,
Auszüge:

[...]

18 Nach der Staatsangehörigkeit des Asylantragstellers beurteilt sich der Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter und ebenso der hier streitgegenständliche Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (§ 3 Abs. 1 AsylG). Denn mit dem Begriff "des politisch Verfolgten" in Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG ist jede Person gemeint, die sich aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt, und den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Befürchtungen nicht in Anspruch nehmen will (BVerwG, Urteil vom 08.11.1983 – 9 C 93/83 –, BVerwGE 68, 171 ff.,177, Rn. 18 unter Hinweis auf BVerfG, Beschluss vom 04.02.1959 - 1 Br. 193/57 -, BVerfGE 9, 174 ff., 179; BVerwG, Urteil vom 07.10.1975 - I C 46.69 -, BVerwGE 49, 202 ff.; Zeitler, HTK-AuslR / § 3 AsylG - zu Abs. 1, Stand: 24.11.2016). [...]

20 In Anwendung der vorstehenden rechtlichen Vorgaben hat der Kläger weder aus einer individuellen Verfolgung (1.1.), noch wegen einer Gruppenverfolgung der Volksgruppe der Hazara (1.2.), noch aufgrund der Rückführungspolitik Pakistans (1.3.) einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. [...]

23 Hinsichtlich der geltend gemachten gefahrerhöhenden Volkszugehörigkeit zu den Hazara und der schiitischen Glaubensgemeinschaft schließt sich das erkennende Gericht der Rechtsprechung der 2. Kammer des Verwaltungsgerichts Karlsruhe (z. B. Urteil vom 06.04.2017 - A 4 K 3515/16 - und Urteil vom 13.10.2016 - A 2 K 3108/ 16 - und vom 16.02.2017 - A 2 K 3535/16 - Urteil vom 04.05.2017 - A 2 K 7788/16 -) und der dazu existierenden obergerichtlichen Rechtsprechung (BayVGH Beschluss vom 04.01.2017 - 13a ZB 16.30600 - und vom 20.01.2017 - 13 a 16.30996 - jeweils in juris m.w.N.) an. Eine Verfolgung allein wegen seiner Zugehörigkeit zu der Volksgruppe der Hazara hat der Kläger danach nicht zu befürchten. Volkszugehörige der Hazara unterliegen in Afghanistan zwar noch einer gewissen Diskriminierung, sind aber nicht in ganz Afghanistan einer an ihre Volks- oder Religionszugehörigkeit anknüpfenden, gruppengerichteten politischen oder religiösen Verfolgung durch die Taliban oder anderen nichtstaatlichen Akteuren ausgesetzt (VG Karlsruhe, Urteil vom 04.05.2017 - A 2 K 7788/16; BayVGH, Beschluss vom 04.01.2017 - 13a ZB 16.30600 -, juris; Beschluss vom 20.01.2017 - 13a ZB 16.30996 -, juris; siehe hierzu eingehend VG Lüneburg, Urteil vom 06.02.2017 - 3 A 126/16 - und vom 15.05.2017 - 3 A 156/16 - jeweils in juris). Gemäß der aktuellen Auskunftslage, insbesondere des Lageberichts des Auswärtigen Amtes hat sich die Lage für die während der Taliban-Herrschaft besonders verfolgten Hazara grundsätzlich verbessert (siehe hierzu gleichfalls VG Lüneburg, Urteil vom 06.02.2017 - 3 A 126/16 -, juris; Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan vom 19.10.2016, Seite 9).

24 Auch in Kabul, dem Ort einer möglichen Rückkehr, ist keine dem afghanischen Staat zurechenbare Verfolgung der Hazara festzustellen. An dieser Einschätzung ändern die Bombenattentate in Kabul in jüngster Zeit nichts. [...]

32 Es sind keine Hinweise dafür ersichtlich, dass bei der vom Auswärtigen Amt geschilderten Verfahrensweise für die Rückführung nicht registrierter und deshalb sich illegal in Pakistan aufhaltenden afghanischen Flüchtlingen nach Afghanistan, vom afghanischen Staat oder durch ein dem afghanischen Staat zurechenbares Verhalten nichtstaatlicher Akteure mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgungshandlungen gegen diese Personengruppe ausgehen, von der auch der Kläger im Falle seiner Rückkehr nach Pakistan und seine Familie betroffen sein können. [...]

37 2. Der Kläger hat ferner keinen Anspruch auf Zuerkennung von unionsrechtlichem subsidiärem Schutz nach § 4 Abs. 1 AsylG (Art. 18 i.V.m. Art. 15 und 2 Buchst. f und g RL 2011/95/EU) und § 60 Abs. 2 AufenthG. Subsidiären Schutz nach § 4 Abs. 1 AsylG hat das Verwaltungsgericht Karlsruhe im Urteil vom 04.05.2017 (- A 2 K 7788/16 - UA Seite 7 ff.) für afghanische Angehörige der Hazara, deren Abschiebungsandrohung Afghanistan als Zielstaat aufweist, verneint und ausgeführt: [...]

54 Aber selbst wenn man dieses hohe Niveau willkürlicher Gewalt auch mit Blick auf die jüngsten Attentate bejahte, sind hinsichtlich des Klägers keinerlei individuell gefahrerhöhende Umstände gegeben, aufgrund derer sich die allgemeine, ungezielte Gewalt in seiner Person derart stark verdichten würde, dass eine unmenschliche Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK anzunehmen ist. Eine Verfolgung allein wegen seiner Zugehörigkeit zu dieser Volksgruppe hat der Kläger - wie unter 1. dargelegt - nicht zu befürchten.

55 Auch steht der langjährige Aufenthalt des Klägers in Pakistan einer zumutbaren Rückkehr nach Afghanistan nicht entgegen. Schließlich hat der mittlerweile volljährige Kläger mit seinen Eltern und Geschwistern den größten Teil seines Lebens in einer islamisch geprägten Umgebung, überwiegend unter Zugehörigen der Hazara, verbracht (vgl. BayVGH, Beschluss vom 30.09.2015 – 13a ZB 15.30063 – juris). Zudem spricht der Kläger die Landessprache Dari, weshalb es nicht maßgeblich darauf ankommt, ob er speziell mit den afghanischen Verhältnissen vertraut ist (vgl. BayVGH, Beschluss vom 19.02.2014 – 13a ZB 14.30022 – juris; VG Augsburg, Urteil vom 30.11.2016 – Au 5 K 16.31724 – Rn. 47, juris). [...]