VGH Bayern

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Zitieren als:
VGH Bayern, Urteil vom 14.11.2002 - 10 B 02.178 - asyl.net: M2633
https://www.asyl.net/rsdb/M2633
Leitsatz:

Zum Aufenthaltsrecht eines marokkanischen Arbeitnehmers nach Art. 64 Abs. 1 des Europa-Mittelmeerabkommens zwischen EU und Marokko: Anspruch auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis bei Besitz einer Arbeitsberechtigung unabhängig vom ursprünglichen Zweck der Einreise bzw. des Aufenthalts (hier: Asylbewerber); kein automatisches Erlöschen der Arbeitserlaubnis bei Ablauf der Geltung der Aufenthaltserlaubnis.(Leitsatz der Redaktion)

 

Schlagwörter: D (A), Marokkaner, Abgelehnte Asylbewerber, Deutschverheiratung, Getrenntleben, Aufenthaltserlaubnis, Verlängerungsantrag, Fiktionswirkung, Arbeitserlaubnis, Erlöschen, Europa-Mittelmeer-Abkommen, Diskriminierungsverbot
Normen:
Auszüge:

Zu Unrecht hat die Beklagte die beantragte Verlängerung der dem Kläger bis zum 20. August 1995 erteilten Aufenthaltserlaubnis abgelehnt. Der streitgegenständliche Bescheid der Beklagten vom 11. November 1999 i.d. Fassung des Widerspruchsbescheides der Regierung von Oberbayern vom 6. August 2001 sowie das klagabweisende Urteil des Bayer. Verwaltungsgerichts München vom 14. November 2001 waren deshalb aufzuheben (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Des weiteren war die Beklagte zu verpflichten, dem Kläger antragsgemäß eine - weitere - Aufenthaltserlaubnis zu erteilen (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).

Rechtsgrundlage hierfür ist das "Europa-Mittelmeer-Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen den Europäischen Gemeinschaften und ihren Mitgliedstaaten einerseits und dem Königreich Marokko andererseits". Diesem Abkommen hat der Bundestag unter Zustimmung des Bundesrates mit "Gesetz zu dem Europa-Mittelmeer-Abkommen vom 26. Februar 1996 zur Gründung einer Assoziation zwischen den Europäischen Gemeinschaften und ihren Mitgliedstaaten einerseits und dem Königreich Marokko andererseits" vom 25. August 1998 (BGBI II 1810) zugestimmt. Mit seinem Inkrafttreten im Jahre 1998 hat das "Europa-Mittelmeer-Abkommen" gemäß Art. 96 Abs. 2 das vom Verwaltungsgericht geprüfte "Kooperationsabkommen zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) und dem Königreich Marokko" (vgl. EWGV. 2211/78 d. Rates v. 26.9.1978, ABL EG, Ausgabe L 1978, L 263, 1) abgelöst. Da Art. 64 Abs. 1 des "Europa-Mittelmeer-Abkommens" jedoch wortgleich mit Art. 40 Abs. 1 des "Kooperationsabkommens" ist, gelten die Ausführungen im vorliegenden Rechtsstreit, die sich primär auf das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften vom 2. März 1999 - EI Yassini - (InfAuslR 1999, 218) stützen, somit entsprechend.

Art. 64 Abs. 1 des "Europa-Mittelmeer-Abkommens" (analog Art. 40 Abs. 1 des "Kooperationsabkommens") enthält ein Diskriminierungsverbot marokkanischer Staatsangehöriger. Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH findet eine Bestimmung in einem von der Gemeinschaft mit Drittländern geschlossenen Abkommen dann unmittelbar Anwendung, wenn sie unter Berücksichtigung ihres Wortlautes und nach Gegenstand und Art des Abkommens eine klare und eindeutige Verpflichtung enthält, deren Erfüllung und deren Wirkungen nicht vom Erlass eines weiteren Aktes abhängen (Urteil v. 2.3.1999, a.a.O., RdNr. 25 m.w.N.). Wie der EuGH dann des weiteren ausführt, sind diese Kriterien beim "Kooperationsabkommen" erfüllt (Urteil v. 2.3.1999, a.a.O., RdNrn. 26 bis 31), mit der Folge, dass insbesondere Art. 40 des "Kooperationsabkommens" unmittelbare Wirkung derart entfaltet, dass sich der betroffene "Rechtsbürger" vor nationalen Gerichten hierauf berufen kann (Urteil v. 2.3.1999, a.a.O., RdNr. 32). In analoger Anwendung gelten diese Ausführungen somit auch für Art. 64 des "Europa-Mittelmeer-Abkommens".

Zwischen den Beteiligten dürfte auch unstreitig sein, dass sich der Kläger - falls er zu dem begünstigten Personenkreis zählen sollte - unmittelbar auf die entsprechende Regelung berufen könnte. Entgegen der Rechtsauffassung der Beklagten sowie der Landesanwaltschaft Bayern rechnet der Kläger auch zu den Begünstigten dieses Abkommens. Zwar stellt der EuGH im Leitsatz Nr. 3 Abs. 1 (in der in juris veröffentlichten Fassung, entspricht LS Nr. 1 in der Veröffentlichung in InfAuslR 199, 218) zu seinem Urteil vom 2. März 1999 (a.a.O.) auf solche marokkanische Staatsangehörige ab, die - zum einen - die Einreise und - zum anderen - die Aufnahme einer Beschäftigung erlaubt bekommen haben. Ersteres ist beim Kläger unstreitig nicht der Fall, denn er gelangte im August 1991 als Asylbewerber in das Bundesgebiet. Diese vom EuGH erwähnte Erlaubnis zur Einreise ist jedoch nach Auffassung des Senats nicht zwingend Voraussetzung für die Anwendung des Art. 64 des "Europa-Mittelmeer- Abkommens". Aus dem Wortlaut ergibt sich diese Forderung nämlich nicht. Maßgeblich ist danach ausschließlich, dass der betroffene marokkanische Staatsangehörige im Hoheitsgebiet jenes Mitgliedstaates "beschäftigt" ist. Dies kann nur so verstanden werden, dass der Betroffene über eine arbeitsrechtliche wie auch eine aufenthaltsrechtliche Genehmigung verfügt. Dies ist beim Kläger auch der Fall. Wie der EuGH in seiner Entscheidung leitsatzmäßig ausgeführt hat, ist es aufgrund des Art. 40 Abs. 1 des "Kooperationsabkommens" (analog Art. 64 Abs. 1 d. "Europa-Mittelmeer-Abkommens") einem Mitgliedstaat grundsätzlich nicht untersagt, es abzulehnen, die Aufenthaltserlaubnis eines marokkanischen Staatsangehörigen für die gesamte Dauer der Beschäftigung zu verlängern, wenn der ursprüngliche Grund - hier kann es sich bei verständiger Auslegung nur um einen der in Art. 1 des "Europa-Mittelmeer-Abkommens" angesprochenen Zielsetzungen handeln - für die Gewährung des Aufenthaltsrechts bei Ablauf der ursprünglichen Aufenthaltserlaubnis nicht mehr bestanden hat (Urteil v. 2.3.1999, a.a.O., RdNr. 64, sowie gerichtlicher Leitsatz Nr. 3 Abs. 1). Dies gilt auch dann, wenn die vertraglich vereinbarte Arbeitsdauer damit unterschritten würde (Urteil v. 2.3.1999, a.a.O., RdNr. 63). Ohne die dem Kläger am 27. August 1999 erteilte (besondere) Arbeitserlaubnis mit unbefristeter Gültigkeit und unbeschränktem Geltungsbereich würde die Versagung der weiteren Aufenthaltserlaubnis somit nicht unbedingt gegen das "Europa-Mittelmeer-Abkommen" verstoßen. Im Hinblick auf diese besondere Arbeitserlaubnis "verhält es sich jedoch anders" (Leitsatz Nr. 3 Abs. 2 <entspricht LS Nr. 2 in InfAuslR 1999/218> zum Urteil d. EuGH v. 2.3.1999, a.a.O.). Danach ist die Versagung einer weiteren Aufenthaltserlaubnis nur zulässig, wenn "Gründe des Schutzes eines berechtigten Interesses des Staates, nämlich Gründe der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit" dies rechtfertigen. Aus welchen Gründen die Arbeitsverwaltung seinerzeit gemäß § 19 Abs. 6 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) i.V. mit § 2 Abs. 1 Nr. 1 Arbeitserlaubnisverordnung (AEVO) gehalten war, eine "besondere Arbeitserlaubnis" mit unbefristeter Gültigkeit und unbeschränktem Geltungsbereich zu erteilen, ist in diesem Zusammenhang bedeutungslos. Die dem Kläger erteilte besondere Arbeitserlaubnis (Arbeitsberechtigung) ist auch nicht erloschen. Was das Ende einer erteilten Arbeitserlaubnis anbelangt, gelten spezielle arbeitsrechtliche Regelungen. So erlischt diese nicht automatisch bereits dann, wenn die aufenthaltsrechtliche Position des betreffenden Ausländers endet. Nach § 8 Abs. 1 Nr. 1 AEVO und nach § 8 Abs. 1 Nr. 1 der nunmehr geltenden ArGV erlischt die Arbeitsgenehmigung vielmehr erst dann, wenn der Ausländer die in § 5 ArGV bezeichneten Voraussetzungen nicht mehr erfüllt. Da der Kläger bereits am 28. Juli 1995 (erstmals) die Verlängerung der am 20. August 1995 auslaufenden Aufenthaltserlaubnis beantragt hat, ist weder zum Zeitpunkt des Auslaufens der Aufenthaltserlaubnis noch zum Zeitpunkt der behördlichen Entscheidung (11.11.1999) die Arbeitserlaubnis erloschen, denn er ist nicht vollziehbar ausreisepflichtig i.S. von § 42 Abs. 2 AuslG. Der Antrag vom 28. Juli 1995 hat nämlich die Erlaubnisfiktion des § 69 Abs. 3 AuslG bewirkt (§ 5 Nrn. 3 und 4 ArGV).

Zum Zeitpunkt der behördlichen Entscheidung stand dem Kläger somit nach Art. 64 Abs. 1 des zu diesem Zeitpunkt bereits geltenden "Europa-Mittelmeer-Abkommens" ein Rechtsanspruch auf Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis zu.