VG Saarland

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Zitieren als:
VG Saarland, Beschluss vom 05.06.2019 - 5 L 784/19 - asyl.net: M27322
https://www.asyl.net/rsdb/M27322
Leitsatz:

Abbruch des persönlichen Gesprächs ohne spätere Fortführung führt nicht zur formellen Rechtswidrigkeit des Dublin-Bescheids:

1. Muss das persönliche Gespräch nach Art. 5 Dublin-III-VO abgebrochen werden, weil die betroffene Person währenddessen kollabiert ist, so führt dies allein weder zur Unverwertbarkeit der in diesem Gespräch bereits getätigten Angaben noch zu der Verpflichtung, ein weiteres Gespräch durchzuführen, wenn lediglich die Fragen zur Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots gem. § 11 Abs. 1 AufenthG nicht gestellt werden konnten. Bei letzterem ist bereits fraglich, ob sich das Anhörungserfordernis überhaupt nach Art. 5 Dublin-III-VO oder nach § 28 VwVfG richtet.

2. Das Absehen von einem weiteren Gespräch stellt auch kein Verstoß gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs dar, da sich aus diesem zwar die Verpflichtung ergibt, den Sachvortrag der betroffenen Person zur Kenntnis zu nehmen und die Erwägungen in die Entscheidung mit einzubeziehen, nicht jedoch, jedes Vorbringen im Einzelnen zu bescheiden.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Dublinverfahren, persönliches Gespräch, rechtliches Gehör, Einreise- und Aufenthaltsverbot,
Normen: VO 604/2013 Art. 5, AufenthG § 11 Abs. 1,
Auszüge:

[...]

1. Entgegen der Ansicht der Antragstellerin ist der angegriffene Bescheid nicht bereits deshalb formell rechtswidrig, weil die von der Antragsgegnerin anberaumte Anhörung zur Zulässigkeit des Asylantrages gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 1-4 i.V.m. § 25 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 AsylG am 16.04.2019 abgebrochen werden musste und nicht nachgeholt wurde. [...]

Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass das Bundesamt die Antragstellerin in einer den Anforderungen des Art. 5 Dublin III-VO genügenden Weise angehört hat. Nach Art. 5 Abs. 1 Dublin III-VO führt der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedsstaat ein persönliches Gespräch mit dem Antragsteller. Dieses Gespräch soll auch das richtige Verständnis der dem Antragsteller gemäß Art. 4 Dublin III-VO bereitgestellten Informationen ermöglichen. [...]

Die formelle Rechtswidrigkeit des Bescheides vom 16.05.2019 folgt auch nicht daraus, dass die Antragsgegnerin keine erneute (persönliche) Anhörung gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 1-4 i.V.m. § 25 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 AsylG durchgeführt hat, nachdem diese am M.2019 abgebrochen werden musste und die Antragstellerin in der Folge um Aufhebung des Anhörungstermins am x.2019 gebeten hat sowie sich auf Betreiben der Antragsgegnerin nicht schriftlich zur Befristung des Wiedereinreise- und Aufenthaltsverbots geäußert hat.

Entgegen der Ansicht der Antragstellerin sind die in der Anhörung vom ... 2019 bereits getätigten Angaben der Antragstellerin auch zu verwerten. Aus der Tatsache, dass die Anhörung um 10:15 Uhr im Hinblick auf den Gesundheitszustand der Antragstellerin abgebrochen werden musste, folgt daraus nicht bereits automatisch, dass ihre bereits erfolgten Angaben nicht verwertet bzw. berücksichtigt werden dürfen. Zum einen hat die Antragstellerin - insoweit auch unbestritten - während der Anhörung bis zu dem Abbruch keine Beeinträchtigungen geäußert und auch nicht um eine Unterbrechung oder eine Verlegung der Anhörung gebeten. Mithin oblag es der Antragstellerin während der Anhörung auf ihre schlechte gesundheitliche Verfassung hinzuweisen. Anzeichen dafür, dass es ihr gesundheitlich so schlecht ging, sind von dem zuständigen Mitarbeiter der Antragsgegnerin im Laufe der Anhörung ausweislich der Niederschrift nicht festgestellt worden. Zugleich hat die Antragstellerin bis zum Abbruch der Anhörung auf eine Vielzahl von Fragen auch entsprechend und in Übereinstimmung mit ihren Angaben bei der Anhörung am ... 2019 geantwortet. Soweit die Antragstellerin nunmehr darauf hinweist, es sei davon auszugehen, dass der gesundheitliche Zustand, der zu einer Kollabierung führe, nicht von jetzt auf gleich zustande komme, so dass die Person schon in der Zeit vor dem Kollabieren gesundheitlich so eingeschränkt gewesen sein müsse, dass sie keine verwertbaren Angaben im Rahmen einer Befragung habe machen können, ergibt sich dies nicht schon zwingend oder denklogisch als allgemeiner Erfahrungssatz.

Als die Antragstellerin am 24.04.2019 um die Verlegung des Anhörungstermins am 30.04.2019 gebeten hat, wurden von ihr ebenfalls keine Bedenken gegen eine Verwertung der bisherigen Angaben geltend gemacht oder darauf hingewiesen, dass - wie nunmehr an Eides statt versichert wird - keine Erinnerung an die Anhörung vom 16.04.2019 besteht. Soweit die Antragstellerin sich dahingehend äußert, sie habe sich auf die Anhörung nicht konzentrieren können und sie wisse nicht, was sie in der Anhörung gesagt hat, folgt daraus nicht, dass die Angaben nicht verwertet werden dürfen. Insofern wird entsprechend Art. 5 Abs. 6 Dublin III-VO eine schriftliche Zusammenfassung über die Anhörung erstellt.

Dass in der Niederschrift falsche bzw. unzureichende Angaben infolge des gesundheitlichen Zustandes enthalten sind, wird von der Antragstellerin nicht geltend gemacht. Die Behauptung, sie wisse nicht mehr, was sie gesagt habe, führt nicht zu einer Verletzung des Art. 5 Dublin III-VO.

Ebenfalls wird Art. 5 Dublin III-VO nicht dadurch verletzt, dass die Antragstellerin sich in einer persönlichen Anhörung nicht zur Befristung des Wiedereinreise- und Aufenthaltsverbots äußern konnte. Art. 5 Dublin 111-VO sieht das persönliche Gespräch zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates vor, regelt jedoch nicht explizit, den Umfang bzw. den Inhalt des Gesprächs. Daher gilt für die persönliche Anhörung nach in Literatur und Rechtsprechung vertretener Ansicht im Übrigen die allgemeine Regelung des § 25 AsylG (BeckOK Ausländerrecht, Klutlh/Heusch, 21. Edition, Stand: 01.02.2019, § 29 Rn. 87). Das Bundesamt hat dem Ausländer danach im Rahmen der Anhörung Gelegenheit zu geben, sich zu den für die Zulässigkeit seines Asylantrages relevanten Umständen zu äußern und ggf. gezielt nachzufragen. Die Anhörung nach § 25 AsylG umfasst dabei auch Umstände bzw. den Stand des Asylverfahrens sowie mögliche Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG bezüglich des Mitgliedstaates, in den abgeschoben werden soll (BeckOK Ausländerrecht, Klutlh/Heusch, 21. Edition, Stand: 01.02.2019, § 29 Rn. 87, mit Hinweis auf VG München, BeckRS 2017, 121319 Rn. 18).

Sowohl zu ihrem Reiseweg, zu dem Asylverfahren in Österreich als auch zu möglichen Abschiebungsverboten wurde die Antragstellerin befragt und hat Angaben gemacht, die die Antragsgegnerin in der angegriffenen Entscheidung entsprechend gewürdigt hat.

Lediglich konnten im Rahmen der Anhörung keine Fragen zur Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots gestellt werden. Die Anordnung zum Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG ist allerdings ein eigenständiger Verwaltungsakt, den die Antragsgegnerin aufgrund der Zuweisung in § 75 Nr. 12 AufenthG erlassen darf. Insoweit ist bereits fraglich, ob die Anhörung hierzu nach Art. 5 Dublin III-VO vorgeschriebenen ist oder sich die Anhörung allgemein nach § 28 VwVfG richtet (BeckOK Ausländerrecht, Klutlh/Heusch, 21. Edition, Stand: 01.02.2019, § 29 Rn. 87, mit Hinweis auf VG München, BeckRS 2017, 121319 Rn. 18). Indes ist aber festzustellen, dass die Antragstellerin vor Abbruch der Anhörung relevante Angaben in Bezug auf die Befristung des Wiedereinreise- und Aufenthaltsverbots gemacht hat und des Weiteren nicht vorgetragen hat, dass diesbezüglich zu berücksichtigende Angaben nicht gemacht worden seien. [...]

Zu weiteren Anhörungen war die Antragsgegnerin somit nicht nach Art. 5 Dublin III-VO verpflichtet und es lässt sich auch kein Verstoß gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs feststellen.

Der Anspruch auf rechtliches Gehör verlangt von der Antragsgegnerin (nur), den Sachvortrag der Antragstellerin zur Kenntnis zu nehmen und in ihre Erwägungen einzubeziehen. Nicht erforderlich ist, jedes Vorbringen im Einzelnen zu bescheiden. Insofern ist aufgrund der umfassenden Ausführungen in der angegriffenen Entscheidung davon auszugehen, dass die einzelnen Ausführungen der Antragstellerin entsprechend gewürdigt wurden. Indes trägt die Antragstellerin im Gerichtsverfahren keine weiteren (entscheidungserheblichen) Umstände vor, an deren Vorbringen sie gehindert war und die die Antragsgegnerin nicht hinreichend gewürdigt hat. Insofern ist nicht erkennbar, dass der Antragstellerin von der Antragsgegnerin die Gelegenheit genommen wurde, entscheidungserhebliche Umstände vorzutragen. [...]