VGH Bayern

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Zitieren als:
VGH Bayern, Beschluss vom 30.01.2019 - 19 CE 18.1725 - asyl.net: M27397
https://www.asyl.net/rsdb/M27397
Leitsatz:

Keine Ausbildungsduldung wegen aufenthaltsbeendender Maßnahmen:

1. Zu den aufenthaltsbeendenden Maßnahmen, die einer Ausbildungsduldung entgegenstehen, gehören alle konkreten und zielgerichteten Vorbereitungsmaßnahmen, ohne dass die Abschiebung bereits terminiert sein oder unmittelbar bevorstehen muss, z.B. die Beantragung von Heimreisepapieren oder die ärztliche Untersuchung der Reisefähigkeit.

2. Die Erteilungsvoraussetzungen einer Ausbildungsduldung müssen bei Beantragung vorliegen. Dazu zählt auch die Identitätsklärung.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Ausbildungsduldung, aufenthaltsbeendende Maßnahmen, Identitätsfeststellung,
Normen: AufenthG § 60a Abs. 2 S. 4,
Auszüge:

[...]

16 Mit der Tatbestandsvoraussetzung, dass konkrete Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung nicht bevorstehen, sollen - wie der Senat mehrfach entschieden hat (vgl. BayVGH, B.v. 22.1.2018 - 19 CE 18.51 -; B.v. 31.7.2017 - 19 CE 17.1032 - juris) - die Fälle aus dem Anwendungsbereich des Rechtsanspruchs auf Ausbildungsduldung ausgenommen werden, in denen die Abschiebung bereits konkret vorbereitet wird. Die Gesetzesbegründung selbst führt insoweit die Beantragung eines Pass(ersatz) papiers, die Terminierung der Abschiebung oder den Lauf eines Verfahrens zur Dublin-Überstellung als Beispiele an (BT-Drs. 18/9090, S. 25; vgl. auch BayVGH, B.v. 24.7.2017 - 19 CE 17.1079 - juris Rn. 8; B.v. 15.12.2016 - 19 CE 16.2025 - juris Rn. 19). In den Fällen, in denen die Abschiebung, Zurückschiebung oder Überstellung "absehbar" ist, soll daher der Durchsetzung der Ausreisepflicht Vorrang eingeräumt werden (BT-Drs. 18/9090, S. 25). Die Gesetzformulierung "Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung" ist bewusst weiter gefasst als die eigentliche Aufenthaltsbeendigung durch Abschiebung, Zurückschiebung oder Überstellung; andernfalls hätte die Verwendung des Begriffs Aufenthaltsbeendigung als gemeinsamer Oberbegriff genügt (vgl. BayVGH, B.v. 15.12.2016 - 19 CE 16.2025 - juris Rn. 19). Konkrete Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung stehen bevor, sobald die für den jeweiligen Ausländer zuständige Ausländerbehörde erstmals zielgerichtet und konkret tätig geworden ist, um die grundsätzlich mögliche Abschiebung einzuleiten, ohne dass bereits ein bestimmter Zeitpunkt für die Abschiebung feststehen muss (BayVGH, B.v. 3.9.2018 - 10 CE 18.1800 - Rn. 7), bzw. wenn sie die Abschiebung "auf den Weg gebracht" hat (BayVGH, B.v. 20.11.2018 - 10 CE 18.2159 - juris Rn. 9; B.v. 15.12.2016 - 19 CE 16.2025 - juris Rn. 19). Das "Bevorstehen konkreter Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung" im Sinne dieser Bestimmung erfordert nicht, dass die Abschiebungsmaßnahme selbst bereits terminiert ist oder zeitlich unmittelbar bevorsteht (vgl. BayVGH, B.v. 24.9.2018 - 10 CE 18.1825 - juris Rn. 6; NdsOVG, B.v. 30.8.2018 - 13 ME 298/18 - juris Rn. 13). Vielmehr fallen hierunter auch vorbereitende Maßnahmen, die nach typisierender Betrachtung prognostisch bereits in einem engen sachlichen und zeitlichen Zusammenhang mit der Abschiebung selbst stehen (vgl. VGH BW, B.v. 13.10.2016 - 11 S 1991/16 - juris Rn. 21). Dies können etwa die Kontaktaufnahme mit der deutschen Auslandsvertretung im Abschiebezielstaat zur Vorbereitung der Abschiebung, die Beantragung eines Pass(ersatz) papiers zum Zwecke der Abschiebung, die Erstellung eines Rückübernahmeersuchens, das Abschiebungsersuchen der Ausländerbehörde gegenüber der für die Durchführung der Abschiebung zuständigen Behörde, die Bestimmung eines Abschiebetermins, die Veranlassung einer erforderlichen ärztlichen Untersuchung zur Feststellung der Reisefähigkeit oder die Beantragung von Abschiebungshaft sein (vgl. NdsOVG, B.v. 30.8.2018, a.a.O., juris Rn. 10 m.w.N.). Maßnahmen zur Vorbereitung der Aufenthaltsbeendigung variieren zwangsläufig in Abhängigkeit vom Zielstaat der Rückführung und den Einzelfallumständen, beispielsweise davon, ob es sich um zentral organisierte Sammel- oder Einzelabschiebungen handelt (vgl. BayVGH, B.v. 14.5.2018 - 19 CS 18.815 und 19 CE 18.818 - Rn. 18). Der Vollzug aufenthaltsbeendender Maßnahmen erfordert behördliche Abstimmungen im Bundesgebiet (z.B. § 71 Abs. 5 AufenthG) sowie mit den jeweiligen Auslandsvertretungen, rechtliche Prüfungen wie beispielsweise eine Veranlassung ärztlicher Untersuchungen und eine Vielzahl weiterer organisatorischer Schritte wie etwa die Bereitstellung von Begleitpersonen oder medizinischer Betreuung. Aus § 58 Abs. 1 Satz 1 AufenthG resultiert ein Gebot zur unverzüglichen Erfüllung der vollziehbaren Ausreisepflicht (vgl. Bauer/Dollinger in Bergmann/Dienelt, AuslR, 12. Aufl. 2018, § 58 Rn. 12). Vor allem wegen der Vielfalt von Vorbereitungsmaßnahmen und notwendigen Schritten lassen sich keine einheitlichen zeitlichen Grenzen festlegen.

17 Mit der Ausbildungsduldung, die im Gegensatz zu sonstigen Duldungen darauf angelegt ist, in einen längerfristigen Aufenthalt zu münden und letztlich vollziehbar Ausreisepflichtigen eine Brücke in die Erwerbsmigration baut, sollen nicht Aufenthaltsbeendigungen verhindert werden, die in absehbarer Zeit möglich sind. Nach der Entwurfsbegründung des Integrationsgesetzes (beschlossen am 1.7.2016 m.W.v. 6.6.2016), durch das die Ausbildungsduldung neu konzipiert worden ist, ist bei der Integration mittels Aufnahme einer qualifizierten Beschäftigung die Bleibeperspektive zu berücksichtigen, so dass die integrationsfördernden Maßnahmen in erster Linie denjenigen mit "guter Bleibeperspektive" zugutekommen sollen (vgl. BT-Drucks. 18/8615, S. 1, 2, 22, 23, 26), während auf Maßnahmen mit dem Ziel der Integration verzichtet werden soll, wenn individuell eine geringe Bleibewahrscheinlichkeit besteht (vgl. BT-Drucks. 18/8615, S. 22, betreffend Ausländer aus sicheren Herkunftsstaaten). Ausweislich der durch den Ausschuss für Arbeit und Soziales eingebrachten Beschlussempfehlung wird mit dem Ausschlusstatbestand in § 60a Abs. 2 Satz 4 letzter Halbsatz AufenthG das Ziel verfolgt, in den Fällen, in denen die Abschiebung, Zurückschiebung oder Überstellung "absehbar" ist, der Durchsetzung der Ausreisepflicht den Vorrang einzuräumen (vgl. BT-Drucks. 18/9090, S. 25). Mit der Voraussetzung, dass nicht bereits konkrete Maßnahmen der Aufenthaltsbeendigung bevorstehen (§ 60a Abs. 2 Satz 4 AufenthG) macht der Gesetzgeber deutlich, dass der Durchsetzung der Ausreisepflicht Vorrang zukommt, was es rechtfertigt, an ein Bevorstehen konkreter Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung keine zu hohen Maßstäbe anzulegen. Durch die Vorlage eines Ausbildungsvertrags oder die Aufnahme einer Berufsausbildung soll eine (vorrangige) Durchsetzung der Ausreisepflicht nicht konterkariert werden (vgl. BayVGH, B.v. 26.11.2018 - 19 C 18.54 - juris Rn. 12). Muss die Ausländerbehörde zur Vorbereitung einer Abschiebung beispielsweise wegen Passlosigkeit zunächst die Identität eines Ausländers klären, kann bereits die aktenkundige Vorladung des Ausländers zur Vorsprache bei der Ausländerbehörde zum Zwecke eines Ausreisegesprächs oder der Aufforderung, bei der Auslandsvertretung seines Herkunftsstaates persönlich zu erscheinen und einen Pass oder ein Passersatzpapier zu beantragen, die erste konkrete Maßnahme zur bevorstehenden Aufenthaltsbeendigung im vorgenannten Sinn darstellen.

18 Für die Beurteilung der Frage, ob konkrete Maßnahmen der Aufenthaltsbeendigung entgegenstehen, ist maßgeblich auf den Zeitpunkt der Beantragung einer zeitnah aufzunehmenden, konkret bezeichneten Berufsausbildung unter Vorlage geeigneter Nachweise abzustellen (vgl. BayVGH, B.v. 24.9.2018 - 10 CE 18.1825 - juris Rn. 4; B.v. 22.1.2018 - 19 CE 18.51 -; B.v. 31.7.2017 - 19 CE 17.1032 - jew. juris). Dies setzt jedoch voraus, dass zu diesem Zeitpunkt auch die übrigen Anspruchsvoraussetzungen zur Entstehung gelangen, insbesondere Zweifel über die Person, das Lebensalter oder die Staatsangehörigkeit des Ausländers nicht (mehr) bestehen (vgl. Fleuß, Die Ausbildungsduldung im Sinne des § 60a Abs. 2 Sätze 4 bis 12 AufenthG, VerwArch 2018, 261/284 m.w.N.). [...]