VG Trier

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Zitieren als:
VG Trier, Urteil vom 06.09.2019 - 11 K 6066/17.TR - asyl.net: M27661
https://www.asyl.net/rsdb/M27661
Leitsatz:

Flüchtlingsanerkennung für einen koptischen Christen und Diakon der koptischen Kirche aus Ägypten, der von einer Familie wegen angeblicher Missionierungsarbeit bedroht und von der Polizei aus demselben Grund strafrechtlich gesucht wurde.

Schlagwörter: Ägypten, Christen, Kopten, koptisch-orthodoxe Kirche, religiöse Verfolgung, Strafbarkeit, missionieren, interne Fluchtalternative, Konvertiten,
Normen: AsylG § 3,
Auszüge:

[...]

3. Unter Zugrundelegung dieser Grundsätze steht dem Kläger ein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft zu. Nach dem Gesamteindruck, den der Kläger in der mündlichen Verhandlung vermittelt hat, steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass er Ägypten vorverfolgt verlassen hat. Der Kläger hat sein Vorbringen aus der Anhörung bei der Beklagten am 10.10.2016 im Rahmen der mündlichen Verhandlung glaubhaft wiederholt und vertieft. Sein Vorbringen war hinreichend detailliert, nachvollziehbar und durch zahlreiche individuelle Elemente geprägt. Steigerungstendenzen waren seinem Vortrag nicht zu entnehmen. Der Kläger hat außerdem glaubhaft den hohen Stellenwert der christlichen Religion in seinem Leben und die langjährig von ihm verübten religiösen Tätigkeiten - insbesondere als Diakon - dargelegt. Stichhaltige Gründe gegen die aus der glaubhaft geschilderten Vorverfolgung des Klägers resultierende Vermutung einer erneuten Bedrohung im Falle einer Rückkehr in sein Herkunftsland vermag die Berichterstatterin nicht zu erkennen. Vielmehr ist aufgrund der glaubhaften Angaben des Klägers davon auszugehen, dass sich die verfolgungsbegründenden Umstände bei einer Rückkehr in sein Herkunftsland erneut realisieren würden - dies insbesondere vor dem Hintergrund der von der Familie seines ehemaligen Zimmernachbarn gegen ihn erhobenen Anzeige und des auf seine Familienmitglieder (auch noch nach seiner Ausreise) ausgeübten Drucks. Auch insoweit war der Kläger in der mündlichen Verhandlung in der Lage, dem Gericht gegenüber nachvollziehbar darzulegen, wie er von dieser Anzeige Kenntnis erlangt hat und zu welchen polizeilichen Maßnahmen der ägyptische Staat durch diese Anzeige veranlasst wurde. Damit steht zur Überzeugung der Berichterstatterin fest, dass sich der Kläger aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Religionszugehörigkeit und der ihm vorgeworfenen missionarischen Tätigkeit nicht mehr in seinem Herkunftsland aufhält. Auch wenn nach dem Sturz von Mursi unter dem jetzigen Staatspräsidenten Al Sisi eine Veränderung der Verhältnisse in Ägypten eingetreten ist, ist die Menschenrechtslage selbst nach Einschätzung des Auswärtigen Amtes in seinem aktuellen Lagebericht im Hinblick auf nahezu alle asylrelevanten Tatsachen noch als kritisch einzustufen und insbesondere Gläubige der koptisch-orthodoxen Kirchen sind nach wie vor zum Teil massiven Übergriffen schutzlos ausgesetzt (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in Ägypten Stand: Januar 2019, S. 5, 9). Unter diesen Umständen und unter Berücksichtigung des zutage getretenen nachhaltigen staatlichen Verfolgungsinteresses ist es dem Kläger nicht zuzumuten, in sein Herkunftsland zurückzukehren, da er aufgrund der ihm vorgeworfenen missionarischen Tätigkeit dort zu Recht die Gefahr massiver Übergriffe befürchtet. Nach dem aktuellen Lagebericht des Auswärtigen Amtes führt die Konversion vom Islam zum Christentum zu massiven Problemen für die Betroffenen. So ist die Aufgabe des islamischen Glaubens nicht im geschriebenen Recht, wohl aber nach islamischem Recht verboten. Aufgrund innerislamischer Vorschriften gegen Apostasie haben Konvertiten in Ägypten mit gesellschaftlicher Ächtung und massiven Repression durch Dritte zu rechnen. Sie sehen sich häufig gezwungen unterzutauchen aus Angst vor Vergeltung und Gewalttaten (vgl. Auswärtiges Amt, a.a.O., S. 9). Der Auffassung der Beklagten, wonach "seitens des ägyptischen Staates nichts gegen den Antragsteller" vorliege (vgl. Bl. 120 der Asylakte) und die im Übrigen bereits entgegen der Angaben des Klägers (vgl. Bl. 97 der Asylakte) ohne eine weitere Sachverhaltswürdigung davon ausgegangen ist, dass gegen diesen keine Anzeige erhoben worden sei, konnte damit nicht gefolgt werden.

Es ist auch nicht davon auszugehen, dass sich der Kläger den Verfolgungshandlungen durch einen Umzug innerhalb Ägyptens entziehen könnte (vgl. § 3e AsylG). Nach dem aktuellen Lagebericht des Auswärtigen Amtes liegen keine belastbaren Erkenntnisse zu internen Ausweichmöglichkeiten vor. Lediglich bei vergleichsweise minderschweren Verfolgungsgründen, wie zum Beispiel niedrigschwelliges oppositionelles Engagement, kann ein Ortswechsel innerhalb des Landes dazu führen, dass die Betroffenen unbehelligt bleiben (vgl. Auswärtiges Amt, a.a.O., S. 13). Die dem Kläger vorgeworfene nachhaltige missionarische Tätigkeit führt hingegen zu einer erheblichen Gefahr staatlicherseits und durch gut vernetzte Salafisten in ganz Ägypten. [...]