VG Meiningen

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Zitieren als:
VG Meiningen, Urteil vom 18.06.2019 - 5 K 178/19 Me - asyl.net: M27741
https://www.asyl.net/rsdb/M27741
Leitsatz:

Rechtswidrigkeit einer Verfahrenseinstellung des BAMF wegen Nichtbetreibens des Asylverfahrens:

1. Das Nichtreagieren auf ein Schreiben des BAMF an die Eltern eines in Deutschland neugeborenen Kindes über die Möglichkeit des Verzichts auf die Durchführung eines Asylverfahrens stellt kein Nichtbetreiben gemäß § 33 Abs. 1 AsylG dar, wenn das Schreiben lediglich den Hinweis enthält, dass ansonsten innerhalb von zwei Wochen die Asylgründe darzulegen seien und dass, falls keine Äußerung erfolge, nach Aktenlage entschieden werde.

2. Die Einstellung des Verfahrens ist auch dann rechtswidrig, wenn der betroffenen Person die Belehrung über die Rechtsfolgen des Nichtbetreibens nicht gegen Empfangsbestätigung zugestellt wurde. Ein Schreiben im Wege der Ersatzzustellung genügt nicht den Anforderungen des § 33 Abs. 4 AsylG.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Einstellung, Asylverfahren, Zustellung, Ersatzzustellung, Familieneinheit, in Deutschland geborenes Kind, Postzustellung, Empfangsbestätigung, Verzicht, Aktenlage, BAMF, Nichtbetreiben des Verfahrens,
Normen: AsylG § 33 Abs. 4, AsylG § 33 Abs. 1, AsylG § 33 Abs. 2, VwZG § 3 Abs. 2, ZPO § 182, ZPO § 18
Auszüge:

[...]

II. Die zulässige Klage ist begründet. Der angefochtene Bescheid ist nach § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO aufzuheben, da er rechtswidrig ist und den Kläger in seinen Rechten verletzt.

1. Es kann offen bleiben, ob der Bescheid bereits formell rechtswidrig ist, weil es an einem beachtlichen Asylantrag fehlt. Zwar hat die Ausländerbehörde Jena am 11.09 2018 die Geburt des Klägers angezeigt; allerdings ist fraglich, ob die Fiktionswirkung des § 14a Abs. 2 Satz 3 AsylG auch dann eintritt, wenn die gesetzliche Vertreterin einen stabileren Aufenthaltsstatus als einen der in § 14a Abs. 2 Satz 1 AsylG genannten inne hat. Dies bedarf allerdings keiner weiteren Aufklärung und Entscheidung, denn der Bescheid ist jedenfalls aus anderen Gründen rechtswidrig.

2. Denn die Beklagte hat das Asylverfahrens zu Unrecht wegen Nichtbetreibens eingestellt. Rechtsgrundlage für die Einstellung des Asylverfahrens - und die deklaratorische Feststellung der Fiktion der Rücknahme des Asylantrags nach § 33 Abs. 1 AsylG - ist § 33 Abs. 5 Satz 1 AsylG. Danach stellt das Bundesamt das Asylverfahren in den Fällen des § 33 Abs. 1 AsylG ein. Gemäß § 33 Abs. 1 AsylG gilt ein Asylantrag als zurückgenommen, wenn der Ausländer das Verfahren nicht betreibt. Dies wird bei Vorliegen der Voraussetzungen in § 33 Abs. 2 AsylG vermutet. Nach § 33 Abs. 2 Satz 2 AsylG gilt die Vermutung des § 33 Abs. 2 Satz 1 AsylG nicht, wenn der Ausländer unverzüglich nachweist, dass das in § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AsylG genannte Versäumnis auf Umstände zurückzuführen war, auf die er keinen Einfluss hatte. Nach § 33 Abs. 4 AsylG ist der Ausländer auf die nach § 33 Abs. 1 AsylG eintretenden Rechtsfolgen schriftlich und gegen Empfangsbestätigung hinzuweisen.

Die Voraussetzungen der Rechtsgrundlage sind vorliegend nicht erfüllt.

a) Die Vermutungsregelung des insoweit in Betracht kommenden § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Alt. 1 AsylG greift nicht. Nach dieser Vorschrift wird vermutet, dass der Ausländer das Verfahren nicht betreibt, wenn er einer Aufforderung zur Vorlage von für den Antrag wesentlichen Informationen gemäß § 15 AsylG nicht nachgekommen ist. Nach § 15 Abs. 1 Satz 1 AsylG ist der Ausländer persönlich verpflichtet, bei der Aufklärung des Sachverhalts mitzuwirken. Nach § 15 Abs. 1 Nr. 1 Asv1G ist er insbesondere verpflichtet, den mit der Ausführung dieses Gesetzes betrauten Behörden die erforderlichen Angaben mündlich und nach Aufforderung auch schriftlich zu machen. Vorliegend ist jedoch nicht ersichtlich, dass der Kläger einer speziellen Aufforderung der Beklagten nicht nachgekommen ist, insbesondere war er zu keinen schriftlichen Angaben verpflichtet. Ausweislich des Schreibens vom 17.10.2018 wurde die gesetzliche Vertreterin auf die Möglichkeit des Verzichts auf die Durchführung eines Asylverfahrens für den Kläger hingewiesen. Für den Fall, dass nicht auf die Durchführung des Asylverfahrens verzichtet wird, wurde sie gebeten, innerhalb von 2 Wochen des Asylgründe des Klägers schriftlich darzulegen. Des Weiteren wurde die gesetzliche Vertreterin darauf hingewiesen, dass nach der bisherigen Aktenlage entschieden wird, wenn sie sich nicht äußert. Von einer Einstellung des Asylverfahrens wegen Nichtbetreibens bei Untätigkeit war in dem Schreiben hingegen keine Rede. Um eine Entscheidung nach Aktenlage zu erhalten, bedurfte es daher keiner bestimmten Mitwirkungshandlung des Klägers. Aus dem beigefügten Formular, welches für die erforderlichen Erklärungen genutzt werden sollte, ergibt sich ebenfalls nicht, dass für eine Entscheidung nach Aktenlage eine schriftliche Äußerung des Klägers notwendig gewesen wäre.

b) Die Einstellung des Verfahrens ist auch deshalb rechtswidrig, weil der Kläger nicht in einer den Anforderungen des § 33 Abs. 4 AsvlG genügenden Weise über die Rechtsfolgen des Nichtbetreibens belehrt worden ist. Es fehlt an der Empfangsbestätigung. Zwar hat das Bundesamt in dem an die gesetzliche Vertreterin adressieren Formular mit der Überschrift "Wichtige Mitteilungen" über die Konsequenzen des Nichtbetreibens belehrt, allerdings hat sie dieses Schreiben nur im Wege der Ersatzzustellung erhalten. Die von § 33 Abs. 4 AsylG zwingend geforderte "Empfangsbestätigung" geht jedoch weit über eine Zustellung hinaus. [...]