VG Meiningen

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Zitieren als:
VG Meiningen, Urteil vom 21.01.2019 - 1 K 65/18 Me - asyl.net: M27745
https://www.asyl.net/rsdb/M27745
Leitsatz:

Personen mit medizinischen Berufen bilden in Syrien eine Gruppe mit hohem Verfolgungsrisiko. Ein Apotheker, der bereits verhaftet und vernommen wurde, weil er aus humanitären Gründen auch verletzten Regimegegnern geholfen hat, muss mit erneuter Verfolgung wegen einer ihm unterstellten oppositionellen Gesinnung rechnen.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Syrien, Berufsgruppe, medizinische Berufe, Apotheker, humanitäre Hilfe, Hippokrates, politische Verfolgung, Aufstockungsklage, Upgrade-Klage,
Normen: AsylG § 3,
Auszüge:

[...]

1. Davon ausgehend hat der Kläger im gerichtlichen Verfahren Umstände vorgetragen, die die Annahme rechtfertigen, dass er seine Heimat Syrien bereits aus begründeter Furcht vor einer Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG verlassen hat.

Er hat hierbei glaubhaft ausgeführt, dass er unmittelbar vor seiner Ausreise individuelle politische Verfolgung durch den syrischen Staat im Sinne des § 3c Nr. 1 AsylG, aufgrund einer ihm unterstellten oppositionellen Gesinnung, erlitten hat. Es ist mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass er bei einer Rückkehr weiterhin solch staatlicher Verfolgung ausgesetzt wäre. [...]

Er gab an, dass er in einem Vorort von Damaskus Apotheker gewesen sei und Menschen nach Bombenanschlägen - unabhängig davon wer sie gewesen seien - geholfen habe. Er habe demnach auch Menschen geholfen, die gegen das Assad-Regime eingestellt gewesen seien und auch gegen dieses gekämpft hätten. Deshalb sei er von Soldaten des Regimes im März 2016 verhaftet worden. Dies wisse er, weil in den Verhören ausdrücklich darauf abgestellt worden sei, dass er Regimekritikern geholfen habe. Der Kläger führte weiter aus, dass er nur freigekommen sei, weil er Geld gezahlt habe und versprochen habe, Gegnern des Regimes nie wieder Hilfe zu leisten. Es sei angekündigt worden, dass er überwacht werde und wenn man noch einmal mitbekommen würde, dass er Assad-Gegnern helfe, würde man ihn umbringen. Da er aber weiter in der Apotheke ... habe arbeiten wollen, hätten ihm Anhänger des Regimes eine Waffe an den Kopf gehalten und gesagt, dass er ein Helfer oppositioneller Kräfte sei und man ihn beim nächsten Mal töten werde. Nach diesem Ereignis habe er sieh zunächst bei Bekannten versteckt gehalten und sei sodann einen Monat später ausgereist.

Der dargestellte Sachverhalt ist nachvollziehbar. Der Kläger schildert die typischen Gefahren, wie sie in den Erkenntnismitteln für medizinisches Personal beschrieben werden. Bereits der UNHCR geht davon aus, dass Ärzte und sonstiges medizinisches Personal als Angehörige einer bestimmten Berufsgruppe ein besonderes Risikoprofil in Syrien verkörpern würden (vgl. Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen, 4. aktualisierte Fassung, November 2015, Rdnr. 38). [...] Vorliegend kommt [...] hinzu, dass der Kläger tatsächlich Regierungsgegnern geholfen hat und dies dem Regine bekannt geworden ist. Nach einem Amnesty International Report werden vor allem Krankenhäuser zu einem Instrument der Unterdrückung. Ärzte würden von den Geheimdiensten vorgeladen und inhaftiert werden, weil sie verletzte Demonstranten behandelt hätten (vgl. Amnesty International, Menschenrechtskrise in Syrien erfordert Abschiebungsstopp und Aussetzung des deutsch-syrischen Rückübernahmeabkommens, 14.03.2012, S. 2 f.). Angehörige medizinischer Berufe sind insbesondere deshalb gefährdet, weil ihnen vom Regime eine Unterstützung der Opposition aufgrund der Behandlung Oppositioneller oder Protestierender unterstellt wird. Dass darunter auch allgemein die Versorgung der notleidenden Zivilbevölkerung mit humanitärer und/oder medizinischer Hilfe, so also auch die Versorgung mit Medikamenten und Verbandsmaterial von Apothekern, fällt, ist naheliegend und so auch vom Kläger nachvollziehbar dargestellt worden.

Betrachtet man den vorgetragenen Sachverhalt ist eine flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgung im Sinne des 3a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 AsylG aufgrund einer unterstellten oppositionellen Gesinnung i.S.v. §§ 3 Abs. 1 Nr. 1. 3b Abs. 1 Nr. 5 AsylG anzunehmen. [...]