VGH Baden-Württemberg

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Zitieren als:
VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 11.03.2020 - A 4 S 740/20 - asyl.net: M28229
https://www.asyl.net/rsdb/M28229
Leitsatz:

Keine systemischen Mängel im maltesischen Asylsystem:

1. Derzeit bestehen keine systemischen Mängel im Asyl- und Aufnahmesystem in Malta.

2. Ein Berufungszulassungsantrag kann nicht mit einem "asyltaktischen" bzw. "scheibchenweisen" Vortrag von Tatsachen begründet werden.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Malta, Dublinverfahren, Berufungszulassungsantrag, systematische Mängel, minderjährig, Familienverband,
Normen: AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 1a, AsylG § 34a Abs. 1, AsylG § 78 Abs. 3 Nr. 1, VO 604/2013/EU Art. 3 Abs. 2, VO 604/2013/EU Art. 11
Auszüge:

[...]

Die geltend gemachte Grundsatzbedeutung genügt nicht den Darlegungsanforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG. Dies ist nur der Fall, wenn in Bezug auf die Rechtslage oder Tatsachenfeststellungen eine konkrete Frage aufgeworfen und hierzu erläutert wird, warum sie bisher höchstrichterlich oder obergerichtlich nicht geklärte Probleme aufwirft, die über den zu entscheidenden Einzelfall hinaus bedeutsam sind und im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder Fortentwicklung des Rechts berufungsgerichtlich geklärt werden müssen. Es muss deshalb schon in der Antragsbegründung selbst deutlich werden, warum prinzipielle Bedenken gegen einen vom Verwaltungsgericht in einer konkreten Rechts- oder Tatsachenfrage eingenommenen Standpunkt bestehen, warum es also erforderlich ist, dass sich auch das Berufungsgericht klärend mit der aufgeworfenen Frage auseinandersetzt und entscheidet, ob die Bedenken durchgreifen. Des Weiteren muss dargelegt werden, warum die aufgeworfene konkrete Tatsachen- oder Rechtsfrage für das Verwaltungsgericht erheblich war und warum sie sich auch im Berufungsverfahren als entscheidungserheblich stellen würde (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschlüsse vom 15.03.2000 - A 6 S 48/00 - und 13.03.2017 - A 11 S 651/17 -, beide Juris).

Diesen Anforderungen entspricht der Zulassungsantrag nicht. Soweit die Klägerin die Frage als grundsätzlich bedeutend aufwirft, "ob Malta die Mindeststandards für Asylbewerber einhält", und rügt, das Verwaltungsgericht habe keine "entsprechenden Auskünfte über die Situation in Malta beim Auswärtigen Amt eingeholt", legt sie schon nicht hinreichend substantiiert dar, warum weitere Auskünfte erforderlich gewesen wären. Dafür gibt es im Übrigen nach Aktenlage auch keine genügenden Anhaltspunkte, weil das Verwaltungsgericht unter sorgfältiger Auswertung einer Vielzahl aktueller Erkenntnismittel ausführlich und überzeugend dargelegt hat, warum in Malta derzeit keine systemischen Mängel im Asylverfahren und den Aufnahmebedingungen für Antragsteller im Sinne von Art. 3 Abs. 2 UA 2 Dublin III-VO vorliegen (hierzu auch: VG Karlsruhe, Urteil vom 30.04.2019 - A 13 K 1228/18 -, Juris). Dazu verhält sich die Klägerin nicht.

Die von der Klägerin weiter als grundsätzlich bedeutsam aufgeworfene Frage, "ob bei Verfahren, bei denen ein minderjähriges bzw. volljähriges Kind in Deutschland lebt, die Bundesrepublik Deutschland von ihrem Selbsteintrittsrecht Gebrauch machen muss und das Ermessen insoweit auf Null reduziert ist", ist hinreichend geklärt, denn sie lässt sich unmittelbar aus dem Gesetz beantworten und bedarf deshalb keiner weiteren Entscheidung in einem Berufungsverfahren. Bezüglich minderjähriger Kinder regeln insbesondere Erwägungsgrund 15 sowie die Artikel 2 lit. g, 6, 8 bis 11 und 20 Abs. 3 Dublin III-VO detailliert, wie im Dublinverfahren dem Wohl des Kindes vorrangig Rechnung zu tragen ist, sowie das Verbot der Trennung der Kernfamilie und Möglichkeiten der Familienzusammenführung. Hinsichtlich der Frage des Selbsteintrittsrechts entscheidet der Europäische Gerichtshof ergänzend seit langem in ständiger Rechtsprechung, dass ein Antragsteller grundsätzlich, d.h. solange im Einzelfall keine Grundrechtsposition dies erzwingt, keinen Rechtsanspruch hierauf hat (EuGH, Urteile vom 14.11.2013, Rs. C-4/11 <Puid>, vom 26.07.2017, Rs. C-490/16 <A.S.> und vom 26.07.2017, Rs. C-646/16 <Jafari>; vgl. hierzu bei Kindern von Anerkannten auch Senatsbeschluss vom 14.03.2018 - A 4 S 544/18 -, Juris, sowie Bergmann/Dienelt, AuslR, 13. Aufl. 2020, § 29 AsylG Rn. 28, m.w.N.). [...]

Im konkreten Einzelfall scheidet die Berufungszulassung wegen Grundsatzbedeutung hinsichtlich des 2003 geborenen, noch minderjährigen Sohnes ohnehin aus. Denn die Klägerin hat bezüglich dieses Kindes beim Bundesamt am 02.05.2018 angegeben, es lebe in Dubai, und seine Einreise in die Bundesrepublik auch dem Verwaltungsgericht gegenüber nicht angegeben. Erstmals mit ihrem Berufungszulassungsantrag vom 28.02.2020 zeigt die Klägerin unter Vorlage der schon vor vielen Wochen ausgestellten Aufenthaltsgestattung an, dass dieses Kind derzeit in Deutschland lebt. Mangels Kenntnis konnte das Verwaltungsgericht insoweit mithin überhaupt keine Rechtsprüfung durchführen und auch nicht entscheiden, ob wegen des grundsätzlichen Verbotes der Trennung von Mutter und Kind bezüglich dieses Sohnes gemäß Art. 11 lit. b Dublin III-VO ebenfalls Malta zuständig ist, wofür vieles spricht. Damit aber kann auch die Klägerin insoweit naturgemäß nicht aufzeigen, dass gegen einen vom Verwaltungsgericht in einer konkreten Rechts- oder Tatsachenfrage eingenommenen Standpunkt prinzipielle Bedenken bestehen und es erforderlich ist, dass sich auch das Berufungsgericht klärend mit der aufgeworfenen Frage auseinandersetzt und entscheidet, ob die Bedenken durchgreifen. Mit einem "asyltaktischen" bzw. "scheibchenweisen" Vortrag kann eine Berufungszulassung gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG nicht erreicht werden. [...]