EuGH

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Zitieren als:
EuGH, Urteil vom 25.06.2020 - C-36/20 PPU VL gg. Spanien (Asylmagazin 9/2020, S. 326 f.) - asyl.net: M28570
https://www.asyl.net/rsdb/m28570
Leitsatz:

Zum Umgang mit Schutzersuchen durch ein Haftgericht:

1. Gerichte, die über die Inhaftierung einer sich unerlaubt aufhaltenden Person zu entscheiden haben, müssen diese über die Möglichkeit der förmlichen Asylantragstellung informieren. Erklärt die Person die Absicht, Asyl beantragen zu wollen, muss das Gericht den Vorgang an die zuständige Stelle weiterleiten.

2. Ab dem Moment, in dem eine sich unerlaubt aufhaltende Person beim Haftgericht die Absicht bekundet hat, ein Asylsuchen zu stellen, gilt sie als "Person, die internationalen Schutz beantragt hat" und ist durch die Garantien der VerfahrensRL und der AufnahmeRL geschützt.

3. Eine Inhaftierung ist dann aus keinen anderen als den in Art. 8 AufnRL ausdrücklich vorgesehenen Gründen möglich. Fehlende Kapazitäten in Aufnahmezentren gehören nicht dazu.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Asylantrag, Schutzantrag, Aufnahmerichtlinie, Untersuchungsrichter, Haftrichter, unerlaubte Einreise, Haft, Ingewahrsamnahme, Vorabentscheidungsverfahren, förmliche Antragstellung, VL, Spanien
Normen: AEUV Art. 267, RL 2013/32/EU Art. 6 Abs. 1, RL 2013/32/EU Art. 26, RL 2013/33/EU Art. 8,
Auszüge:

[...]

1. Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 2 der Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes ist dahin auszulegen, dass ein Untersuchungsrichter, der angerufen wird, um über die Inhaftnahme eines illegal aufhältigen Drittstaatsangehörigen im Hinblick auf dessen Rückführung zu entscheiden, zu den in dieser Bestimmung genannten "anderen Behörden" gehört, bei denen Anträge auf internationalen Schutz wahrscheinlich gestellt werden, die aber nach nationalem Recht nicht für die Registrierung zuständig sind.

2. Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 2 und 3 der Richtlinie 2013/32 ist dahin auszulegen, dass ein Untersuchungsrichter in seiner Eigenschaft als "andere Behörde" im Sinne dieser Vorschrift zum einen die illegal aufhältigen Drittstaatsangehörigen über die Modalitäten der förmlichen Stellung eines Antrags auf internationalen Schutz informieren muss und zum anderen, wenn ein solcher Staatsangehöriger seine Absicht bekundet hat, einen solchen Antrag zu stellen, den Vorgang an die für die Registrierung des Antrags zuständige Behörde weiterzuleiten hat, damit diesem Staatsangehörigen die im Rahmen der Aufnahme gewährten materiellen Leistungen und die medizinische Versorgung gemäß Art. 17 der Richtlinie 2013/33/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen, zugutekommen können.

3. Art. 26 der Richtlinie 2013/32 und Art. 8 der Richtlinie 2013/33 sind dahin auszulegen, dass ein illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger, der bei einer "anderen Behörde" im Sinne von Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 2 der Richtlinie 2013/32 seine Absicht bekundet hat, internationalen Schutz zu beantragen, nicht aus einem anderen als den in Art. 8 Abs. 3 der Richtlinie 2013/33 vorgesehenen Gründen in Haft genommen werden darf. [...]