VG Minden

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Zitieren als:
VG Minden, Urteil vom 17.08.2020 - 1 K 10682/17.A - asyl.net: M28768
https://www.asyl.net/rsdb/M28768
Leitsatz:

Weder internationaler Schutz noch Abschiebungsverbot für Person aus dem Norden Somalias:

"1. Es bleibt offen, ob in der ehemaligen somalischen Region Togdheer ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG herrscht.

2. Der einen etwaigen bewaffneten Konflikt in der ehemaligen somalischen Region Togdheer kennzeichnende Grad willkürlicher Gewalt erreicht kein so hohes Niveau, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass eine Zivilperson bei ihrer Rückkehr dorthin allein durch ihre Anwesenheit in diesem Gebiet tatsächlich Gefahr liefe, einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der körperlichen Unversehrtheit ausgesetzt zu sein. Die hierfür erforderliche Gefahrendichte ist in der ehemaligen somalischen Region Togdheer Galbeed nicht gegeben."

(Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: Somalia, Somaliland, Togdheer, subsidiärer Schutz, innerstaatlicher bewaffneter Konflikt, Zivilperson, ernsthafter Schaden, Zivilbevölkerung, willkürliche Gewalt, Existenzgrundlage, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung,
Normen: AsylG § 4 Abs. 1 S. 1, AsylG § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3, AufenthG § 60 Abs. 5, EMRK Art. 3,
Auszüge:

[...]

II. Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus. Ein Ausländer ist subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht (§ 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG). [...]

d) Bei Anlegung des vorstehend dargelegten Maßstabs liegen die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG für Burco und die ehemalige somalische Region Togdheer im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung nicht vor. Es kann offen bleiben, ob dort ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG vorliegt. Sollte dies zu bejahen sein, geht von dem Burco und die ehemalige somalische Provinz Togdheer kennzeichnenden Grad willkürlicher Gewalt im Falle der Rückkehr des Klägers dorthin jedenfalls keine ernsthafte individuelle Bedrohung für ihn aus, weil die hierfür erforderliche Gefahrendichte bei Weitem nicht gegeben ist. Die allgemeine Situation in Somaliland [aa)] sowie die Sicherheitslage in Burco und der ehemaligen somalischen Region Togdheer [bb)] stellen sich wie folgt dar. Aufgrund dieser Erkenntnisse gelangt das Gericht zu dem Ergebnis, dass dem Kläger dort aufgrund der dortigen Verhältnisse keine ernsthafte individuelle Bedrohung droht [cc)]. [...]

cc) Der Burco und die ehemalige somalische Provinz Togdheer kennzeichnende Grad willkürlicher Gewalt erreicht bei weitem kein so hohes Niveau, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass eine Zivilperson bei ihrer Rückkehr dorthin allein durch ihre Anwesenheit in diesem Gebiet tatsächlich Gefahr liefe, getötet oder verletzt zu werden.

Zwar lässt sich die Zahl der Zivilpersonen, die in Burco und der ehemaligen somalischen Provinz Togdheer Opfer willkürlicher Gewalt werden, mangels belastbarer Er-hebungen nicht verlässlich einschätzen. Das Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation weist in seinen Kurzübersichten über Vorfälle aus dem Armed Conflict Location & Event Data Project darauf hin, dass es aufgrund der Erhebungsmethode (Auswertung öffentlich zugänglicher Sekundärquellen) zu einer Nichterfassung von Vorfällen und insbesondere von Opfern kommen kann. Hinzu kommt, dass diese Kurzübersichten nur Todesopfer, nicht aber auch Verletzte erfassen. Andererseits unterscheiden die auf den ACLED-Erhebungen basierenden Kurzübersichten auch nicht zwischen zivilen und militärischen Todesopfern (vgl. ACLED, Frequently Asked Questions, www.acledda ta.com/frequently-asked-questions/ (abgerufen am 7. September 2016).

Letzteres ist im Rahmen der Prüfung des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG aber geboten, weil diese Vorschrift nur auf Gefahren für die Zivilbevölkerung abstellt. [...]

Auch unter Berücksichtigung der in Somalia einschließlich Somaliland desolaten Krankenversorgung (vgl. BFA, Länderinformationsblatt Somalia, 12. Januar 2018, S. 132 f.; AA, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia, 4. März 2019, S. 21) ist aufgrund der vorstehend dargelegten Daten offensichtlich, dass der Kläger im Falle seiner Rückkehr nach Burco und die ehemalige somalische Region Togdheer aufgrund des dort herrschenden Grades willkürlicher Gewalt dort keiner ernsthaften individuellen Bedrohung i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG ausgesetzt sein wird, zumal nicht ersichtlich ist, dass für den Kläger gefahrerhöhende Umstände vorliegen und die ACLED-Daten nicht zwischen zivilen und militärischen Opfern unterscheiden, was zu einer Überhöhung des Todes- und Verletzungsrisikos für Zivilisten führt. [...]

c) Bei Anlegung des vorstehend dargelegten Maßstabs liegen die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung nicht vor. Dies gilt sowohl mit Blick auf auf die Sicherheitssituation in Burco und der ehemaligen somalischen Region Togdheer [aa)] als auch die dortige humanitäre Lage [bb)].

aa) Allein aufgrund der Sicherheitssituation in Burco und der ehemaligen somalischen Region Togdheer besteht keine beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verletzung des Art. 3 EMRK. Die derzeitige Sicherheitssituation dort erreicht nicht den hier-für erforderlichen Intensitätsgrad (vgl. EGMR, Urteile vom 5. September 2013 - 886/11 (K.A.B./ Schweden) -, Hudoc Rn. 97, und vom 10. September 2015 - 4601/14 (R.H./Schweden) -, Hudoc Rn. 68).

Auf die obigen Ausführungen zu 1. d) wird verwiesen.

bb) Die humanitäre Lage in Burco und der ehemaligen somalischen Region Togdheer führt ebenfalls nicht dazu, dass dem Kläger subsidiärer Schutz zu gewähren ist. Aus dieser Lage ergeben sich schon keine zwingenden Gründe gegen eine Abschiebung des Klägers dorthin. Insbesondere ist das Gericht davon überzeugt, dass es ihm dort gelingen wird, für seine Grundbedürfnisse - Nahrung, Hygiene, Unterkunft - zu sorgen. [...]

(3) Trotz der vorstehend beschriebenen Umstände besteht in Somalia nach der gegenwärtigen Erkenntnislage keine derart prekäre humanitäre Situation, insbesondere keine derart unzureichende Versorgungslage, dass eine Rückführung dorthin in Anwendung des Art. 3 EMRK generell ausgeschlossen wäre. Vielmehr sind in jedem Einzelfall die persönlichen Umstände der betroffenen Person zu prüfen (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 17. Juli 2019 - A 9 S 1566/18 -, juris Rn. 44 ff. mit Nachweisen aus der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte sowie der obergerichtlichen Rechtsprechung in Deutschland).

Dies gilt auch für Somaliland.

Unter Berücksichtigung der Umstände des vorliegenden Einzelfalls verstößt eine Rückführung des Klägers nach Burco und die ehemalige somalische Region Togdheer nicht gegen Art. 3 EMRK. Der Kläger ist dort aufgewachsen und mit den dortigen Verhältnissen vertraut. Zudem ist er jung, gesund und arbeitsfähig. Zudem lebt die Frau, bei der er aufgewachsen ist, nach den Angaben des Klägers weiterhin in Burco. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass sie den Kläger im Falle seiner Rückkehr nach Burco nicht unterstützen wird, sind angesichts dessen, dass sie ihn auch bei der Ausreise finanziell unterstützt hat, weder vorgetragen noch anderweitig ersichtlich. Schließlich kann der Kläger durch eine freiwillige Rückkehr nach Somalia über das Government Assisted Repatriation Programme (GARP) eine Starthilfe von 1.000,- € erlangen, die ihm seinen Lebensunterhalt zumindest für eine Übergangszeit sichert (vgl. Bundesamt, Freiwillige Rückkehr mit REAG/GARP (Stand: Januar 2020) abrufbar unter files.returningfromgermany. de/files/200213_REAG_GARP_deutsch.pdf (abgerufen am 20. April 2020)). [...]