VG Halle

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Zitieren als:
VG Halle, Urteil vom 16.09.2020 - 1 A 199/18 HAL - asyl.net: M28837
https://www.asyl.net/rsdb/M28837
Leitsatz:

Abschiebungsverbot für 17-Jährigen aus Guinea:

Vor dem Hintergrund der prekären wirtschaftlichen Lage in Guinea ist für den Kläger ein Abschiebungsverbot festzustellen, da er noch minderjährig ist und bei einer Rückkehr nach Guinea keine Unterstützung durch seine Familie erwarten kann.

(Leitsätze der Redaktion)

Anmerkung: Im Tatbestand der gerichtlichen Entscheidung ist ein Fehler enthalten. Der Kläger ist im Jahr 2002 geboren und nicht, wie angegeben, im Jahr 1999.

Schlagwörter: Guinea, minderjährig, Existenzgrundlage, Existenzminimum, Abschiebungsverbot, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung,
Normen: AufenthG § 60 Abs. 5, EMRK Art. 3,
Auszüge:

[...]

Der Bescheid der Beklagten vom 23. Juli 2018 ist hinsichtlich der Nichtfeststellung von Abschiebungsverboten rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, § 113 Abs. 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO. Der Kläger hat im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Asylgesetz) einen Anspruch auf die Feststellung von Abschiebungsverboten.

Beim Kläger liegen die Voraussetzungen eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 AufenthG vor. Für den Kläger besteht eine tatsächliche Gefahr, bei einer Rückkehr auf so schlechte humanitäre Bedingungen zu treffen, dass eine Abschiebung dorthin aus diesem Grund Art. 3 EMRK widersprechen und damit ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG vorliegt. Das Gericht schließt sich zwar der Rechtsprechung an, dass im Wesentlichen gesunde Rückkehrer - wie der Kläger - trotz der in Guinea verbreiteten Armut selbst bei fehlender Unterstützung durch ein familiäres Netzwerk in der Lage sind, mit ungelernter Arbeit so viel zu verdienen, dass sie für ihre Existenz sorgen können (VG Berlin, Urt. v. 3. April 2019 - 31 K 245.17 A -, Juris). Guineische Staatsangehörige können selbst im Rahmen von einfachen Tätigkeiten ihren Lebensunterhalt sicherstellen. Sie können als Straßenhändler arbeiten, Kaffee verkaufen, Schuhe putzen oder anderweitigen Tätigkeiten nachgehen. Es sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass dies dem Kläger, einem gesunden jungen und arbeitsfähigen Mann, der in den nächsten 2 Wochen volljährig wird, nicht möglich sein soll, zumal es ihm selbst im Alter von ca. 16 Jahren gelungen ist, sich von Guinea über verschiedene Länder, deren Sprache er nicht beherrschte, bis nach Deutschland durchzuschlagen (VG Leipzig Urt. v. 16. Mai 2019 - 3 K 2429/18.A -, Juris; VG Minden, Urt. v. 5. April 2019 - 12 K 9387/17.A -, Juris; VG Augsburg, Urt. v. 1. April 2019 - Au 7 K 17.34949 -, Juris). Dem vorliegenden Fall liegt jedoch die Besonderheit zugrunde, dass der Kläger noch sehr jung ist und zumindest im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung noch nicht volljährig ist. Zudem kann er auf keinerlei familiären Rückhalt zurückgreifen, vielmehr müsste er eine Verfolgung und Misshandlung durch seine Familie fürchten. Es ist ihm daher nicht zuzumuten, sich in Guinea alleine Existenz aufzubauen, zumal der Kläger noch nie erwerbstätig gewesen ist. [...]