VG Weimar

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Zitieren als:
VG Weimar, Urteil vom 07.10.2020 - 2 K 1319/18 We - asyl.net: M29093
https://www.asyl.net/rsdb/M29093
Leitsatz:

Flüchtlingseigenschaft für einen exilpolitisch tätigen Kurden aus der Türkei:

Personen, die sich im Exil in Vereinen engagieren, der den Ideen der PKK, YPG oder der PYD nahe stehen, droht in der Türkei politische Verfolgung, da sie vom türkischen Staat als Unterstützer*innen terroristischer Organisationen angesehen werden.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Kurden, Türkei, Exilpolitik, PKK, YPG, Flüchtlingsanerkennung, politische Verfolgung,
Normen: AsylG § 3,
Auszüge:

[...]

Der Kläger hat sich bereits in der Türkei politisch für die Sache der Kurden engagiert. Er hat an Demonstrationen teilgenommen und Mitglieder der PKK mit Kleidung und Essen unterstützt.

Dieses politische Engagement setzt er nach Überzeugung des Gerichts in weitaus größerem Umfang im Bundesgebiet fort. Nach dem glaubhaften Vortrag in der mündlichen Verhandlung ist er in hohem Maß in dem demokratischen kurdischen Gesellschaftszentrum ... engagiert, organisiert Demonstrationen mit, ist als Ordner bei Kundgebungen in ... tätig und hat an Demonstration in anderen Städten, zum Beispiel an der Demonstration am 2.11.2019 auf dem Berliner Alexanderplatz gegen den Einmarsch der Türkei in Nordsyrien (Rojava), teilgenommen. [...]

Das Gericht ist davon überzeugt, dass dem Kläger aufgrund dieses politischen Engagements Verfolgung bei einer hypothetischen Rückkehr in die Türkei durch türkische Sicherheitsbehörden droht. Das Auswärtige Amt führt dazu in seinem Lagebericht aus:

"Es kann davon ausgegangen werden, dass türkische Stellen Regierungsgegner, darunter insbesondere (auch vermeintliche) PKK- und Gülen-Anhänger im Ausland ausspähen, ebenso wie sie Tätigkeiten von in Deutschland registrierten Vereinen beobachten. Öffentliche Äußerungen, auch in sozialen Netzwerken, sowie Beteiligungen an Demonstrationen, Kongressen, Konzerten, Beerdigungen etc. im Ausland, bei denen Unterstützung für kurdische Belange geäußert wird, können strafrechtlich verfolgt werden, wenn sie als Anstiftung zu separatistischen und terroristischen Aktionen in der Türkei oder als Unterstützung illegaler Organisationen nach dem türkischen Strafgesetzbuch gewertet werden. Aus bekannt gewordenen Fällen ist zu schließen, dass solche Äußerungen und Handlungen zunehmend zu Strafverfolgung und Verurteilung führen und sogar als Indizien für eine Mitgliedschaft in einer Terrororganisation herangezogen werden. Für die Aufnahme strafrechtlicher Ermittlungen reicht hierfür gegebenenfalls bereits die Mitgliedschaft in bestimmten deutschen Vereinen oder die Teilnahme an oben aufgeführten Arten von Veranstaltungen aus." (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei vom 24. August 2020, S. 18 f.; vgl. auch: Schweizerische Flüchtlingshilfe, Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse vom 17.02.2017 zur Türkei: Einreisekontrollen für Rückkehrende; Gefährdung aufgrund politisch motivierter schwerer Straftat im Exil, Besuch durch Sicherheitskräfte in Nusaybin im Jahr 2015, S. 11 zu exilpolitischer Tätigkeit). [...]

Personen, die verdächtigt werden, Verbindungen zur PKK zu haben, sind in Haft öfters Folter und Misshandlungen ausgesetzt (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Türkei: Gefährdungsprofile, Update, 19. Mai 2017, S. 12 f.; Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei vom 24. August 2020, S. 21; Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Türkei, Gesamtaktualisierung am 29. November 2019, Stand 8. April 2020, Punkt 5; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Türkei: Gefährdung aufgrund von Hilfeleistungen an kurdische Bewaffnete, Auskunft, vom 24. Mai 2019, S. 16 f.; Kamil Taylan, Schriftliches Gutachten in einem Asylklageverfahren an das Verwaltungsgericht Saarland vom 31. Januar 2019, S. 56-60).

In der Türkei finden Einreisekontrollen für alle Personen statt. Über die verschiedenen Datenbanken der Polizei sind landesweit alle polizeilichen Ermittlungen und die dazu eingeleiteten Maßnahmen registriert. Die Grenzbehörden verfügen über detaillierte Information zu verdächtigen oder im Fokus der Behörden stehenden Personen, die Listen werden regelmäßig auf den neuesten Stand gebracht. Es besteht eine große Wahrscheinlichkeit, dass eine Person, die wegen einer möglichen Verbindung zur PKK, YPS oder YPG auf der Liste der gesuchten Personen aufgeführt wird, an der Grenze identifiziert und verhaftet wird (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Türkei: Gefährdung aufgrund von Hilfeleistungen an kurdische Bewaffnete, Auskunft vom 24. Mai 2019, S. 17 ff.; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Türkei:. Datenbanken der türkischen Sicherheitsbehörden (PolNet GBTS), Themenpapier der SFH Länderanalyse vom 14. Juni 2019, Taylan a.a.O. S. 62 ff.). [...]