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Zitieren als:
BAMF, Bescheid vom 27.01.2021 - 7496544-170 - asyl.net: M29371
https://www.asyl.net/rsdb/M29371
Leitsatz:

Abschiebungsverbot für ältere, schwer erkrankte Frau aus Kosovo:

Für die Antragstellerin ist ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 AufenthG festzustellen, da in Anbetracht ihres Alters und ihrer schweren Erkrankungen nicht davon ausgegangen werden kann, dass sie bei einer Rückkehr nach Kosovo ihr Existenzminimum sichern und ihre Behandlungskosten tragen kann.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Kosovo, Krankheit, ältere Person, Abschiebungsverbot, Existenzminimum, Demenz, Existenzminimum, Roma, Wiederaufgreifen, Ermessen,
Normen: AufenthG § 60 Abs. 7
Auszüge:

[...]

Am 03.05.2018 stellte die Antragstellerin mit Schreiben ihrer Rechtsanwälte einen Wederaufgreifensantrag auf Feststellung von Abschiebungsverboten (§ 60 Abs. 5 und 7 AufenthG).

Der Antrag wurde wie folgt begründet.

Das Asylfolgeverfahren der Antragstellerin sei bereits bestandskräftig abgeschlossen. Die gesundheitliche Situation habe sich seither jedoch erheblich verschlechtert. Die Antragstellerin leide an Diabetes mellitus Typ II, Polyneuropathie, Hypertonie, COPD und zusätzlich bestehe eine ausgeprägte Demenz. Laut dem Krankenhausbericht des Universitätsklinikum ... vom ... 2020 sei ein Antrag auf Betreuung an das Amtsgericht Marburg gesandt und ein Eilantrag auf Pflegegrad bei der AOK gestellt worden. Die häusliche Pflege mit Unterstützung durch einen Pflegedienst wurde empfohlen.

Dr. med. ..., Facharzt für Innere Medizin und Diabetologe hat bei der Antragstellerin einen entgleisten Diabetes mell. sowie eine entgleiste Hypertonie diagnostiziert. Zusätzlich bestehe eine ausgeprägte Demenz mit stark ausgeprägter Vergesslichkeit und Verwirrtheit. Die Antragstellerin müsse rund um die Uhr betreut und die Blutzuckerwerte sowie die Blutdruckwerten müssen täglich überwacht werden. [...]

Weiterhin ist der Antrag nach § 51 Abs. 2 und 3 VwVfG nur zulässig, wenn der Betroffene ohne grobes Verschulden außerstande war, den Grund für das Wiederaufgreifen im früheren Verfahren geltend zu machen und er den Antrag binnen drei Monaten nach Kenntnis des Wiederaufgreifensgrundes gestellt hat. Auch diese Voraussetzungen sind erfüllt.

Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt. Die vorgenannte Dreimonatsfrist ist nicht gewahrt. Die Antragstellerin befindet sich bereits seit mindestens September 2017 in ständiger medizinischer Behandlung wegen diverser Erkrankungen. Somit wurden die Erkrankungen bereits im Jahr 2017 festgestellt. Die Antragstellung erfolgte jedoch erst mit Schreiben des Rechtsanwaltes vom 03.05.2018.

Das Verfahren kann jedoch, im Interesse der Rechtmäßigkeit des Verwaltungshandelns, durch das Bundesamt wiedereröffnet und die bestandskräftige frühere Entscheidung zurückgenommen oder widerrufen werden (§§ 51 Abs. 5, 48 oder 49 VwVfG, Wiederaufgreifen im weiteren Sinn). Insoweit besteht ein Anspruch der Antragstellerin auf fehlerfreie Ermessensausübung (vgl. BVerwG, Urteil vom 21.03.2000, BVerwGE 111,77 und Beschluss vom 15.01.2001, Az.: 9 B 475.00). Ein rechtmäßiger nicht begünstigender Verwaltungsakt kann nach § 49 VwVfG, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft widerrufen - und das Verfahren damit von Amts wegen wiederaufgegriffen - werden, außer wenn ein Verwaltungsakt gleichen Inhalts erneut erlassen werden müsste oder aus anderen Gründen ein Widerruf unzulässig ist.

Unabhängig von den Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG kommt aufgrund des vorliegenden Sachverhaltes eine günstigere Entscheidung zugunsten der Antragstellerin in Betracht. Daher wird die Prüfung des § 60 Abs. 7 AufenthG gemäß § 51 VwVfG i.V.m. § 49 VwVfG wiederaufgegriffen. [...]

Aufgrund der zuvor nicht bekannten Erkrankungen der Antragstellerin ist in Gesamtschau der Umstände nicht mehr davon auszugehen, dass sie bei einer Rückkehr in den Kosovo ihr Existenzminimum und die Kosten der Behandlung ihrer Erkrankungen und für die erforderliche Pflege tragen kann. Außerdem kann von einer Verbesserung des Gesundheitszustandes nicht ausgegangen werden. [...]