OVG Brandenburg

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Zitieren als:
OVG Brandenburg, Beschluss vom 02.05.2002 - 4 A 433/01.AZ - asyl.net: M3035
https://www.asyl.net/rsdb/M3035
Leitsatz:

Gibt das BVerwG in einer Entscheidung, mit der es ein Berufungsurteil aufhebt und an das Berufungsgericht zurückverweist, Hinweise für die weitere Behandlung der Rechtssache, kann gegen ein Urteil, das von diesen Hinweisen abweicht, nicht die Berufung wegen Divergenz zugelassen werden, sondern lediglich wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (hier: Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung bei Abschiebungsschutz gem. § 53 Abs. 6 S. 1 AuslG); das gilt auch, wenn das BVerwG die Hinweise als amtliche Leitsätze seiner Entscheidung vorangestellt hat.

Schlagwörter: Berufungszulassungsantrag, Divergenz, Abschiebungsandrohung, Abschiebungshindernis, Zielstaatsbezeichnung, Bundesverwaltungsgericht, Zurückverweisung, Hinweis, grundsätzliche Bedeutung
Normen: AsylVfG § 78 Abs. 3 Nr. 2; AuslG § 53; AuslG § 50 Abs. 3; VwGO § 144 Abs. 3 Nr. 2; AsylVfG § 78 Abs. 3 Nr. 1
Auszüge:

[...]

Der Antrag auf Zulassung der Berufung, mit der sich der Beteiligte nur gegen die Aufhebung (auch) der Abschiebungsandrohung in dem Bescheid des Beklagten vom 12. Dezember 1995 wendet, hat Erfolg. [...]

1. Die vom Beteiligten erhobene Divergenzrüge greift nicht durch. Zufolge § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylVfG ist die Berufung zuzulassen, wenn das Urteil von einer Entscheidung u.a. des Bundesverwaltungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht. [...]

Zwar steht das angefochtene Urteil bezüglich der Frage, welche Auswirkungen ein - hier vom Verwaltungsgericht bejahter - Anspruch auf Abschiebungsschutz nach § 53 Abs. 6 S. 1 AuslG auf die Rechtmäßigkeit der vom Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (Bundesamt) erlassenen Abschiebungsandrohung in das betreffende Land hat, im Widerspruch zur bisherigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts.

Dieser schon vom Verwaltungsgericht selbst in den Entscheidungsgründen des angegriffenen Urteils hervorgehobene Widerspruch zwischen seiner Entscheidung und der genannten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts führt indes nicht zu einer Zulassung wegen Divergenz, weil die Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts zu den Auswirkungen eines Abschiebungshindernisses nach § 53 Abs. 6 S. 1 AuslG auf die Abschiebungsandrohung des Bundesamts nicht zu den die jeweiligen Entscheidungen tragenden Gründen zählen. In dem Urteil vom 15. April 1997 hat das Bundesverwaltungsgericht über die Revision nur hinsichtlich des Anspruchs auf Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG in der Sache entschieden. Im Übrigen, also bezüglich der hilfsweise gestellten Anträge auf Feststellung von Abschiebungshindernissen nach § 53 AuslG unter entsprechender Aufhebung des Bundesamtsbescheids, hat es das Berufungsurteil aufgehoben und den Rechtsstreit nach § 144 Abs. 3 Nr. 2 VwGO an das Berufungsgericht zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen. Hierzu hat es in seine Entscheidung Hinweise aufgenommen ("Für die weitere Behandlung bemerkt der Senat, daß ..."), in deren Zusammenhang auch zu der Frage Stellung genommen worden ist, wie mit der Abschiebungsandrohung zu verfahren ist für den Fall, dass das Berufungsgericht ein Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 6 AuslG bejaht. Ebenso liegen die Dinge bei der vom Beteiligten weiter zitierten Entscheidung vom 25. November 1997 und auch der Entscheidung vom 29. März 1996 (a.a.O.). Derartige ergänzende Hinweise an das Berufungsgericht sind nicht entscheidungstragend. Sie nehmen nicht teil an der Bindungswirkung nach § 144 Abs. 6 VwGO (vgl. hierzu BVerwG, Beschluss vom 21. März 1986 - 3 CB 30.84 -, Buchholz 310 § 144 VwGO Nr. 46), sondern zählen zu den nicht entscheidungserheblichen rechtlichen Empfehlungen für die weitere Behandlung der Sache nach Zurückverweisung, die ebenso wie ein obiter dictum nicht divergenzfähig sind (vgl. dazu allgemein BVerwG, Beschluss 26. Juni 1984, a.a.O., und Beschluss vom 25. Oktober 1995, a.a.O.; speziell zur fehlenden Divergenzfähigkeit der hier in Rede stehenden Entscheidungspassagen des BVerwG: VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 5. September 1997 - A 16 S 2354/97 -, zitiert nach juris; OVG NW, Beschluss vom 15. Mai 2000 - 21 A 3523/99.A -, NVwZ 2000, 1430 ff.). Eine andere Beurteilung rechtfertigt sich hier - entgegen dem vom Beteiligten zitierten Beschluss des OVG Hamburg vom 16. November 1998 (- 6 Bf 526/98.A -, NVwZ 1999, 430 f.) - auch nicht aus dem Umstand, dass das Bundesverwaltungsgericht seine Auffassung der Entscheidung vom 15. April 1997 als amtlichen Leitsatz vorangestellt hat. Dies belegt zwar die Bedeutung, die das Bundesverwaltungsgericht dieser Rechtsauffassung beigemessen hat, ändert aber nichts daran, dass sie für die Entscheidung nicht tragend gewesen ist. Die Aufnahme einer Rechtsauffassung in einen Leitsatz führt für sich genommen noch nicht zu ihrer Divergenzfähigkeit (vgl. BVerwG, Beschluss vom 25. Oktober 1995, a.a.O.; OVG NW, a.a.O.; VGH Bad.-Württ., a.a.O.).

2. Die Berufung ist vorliegend allerdings wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache im Sinne des § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG zuzulassen. Dem steht nicht entgegen, dass der Beteiligte den Zulassungsantrag nur auf eine Divergenz gestützt hat. Die Zulassung wegen Divergenz ist nur ein spezieller Fall der Zulassung wegen grundsätzlicher Bedeutung (vgl. BVerwG, Beschluss vom 20. August 1992 - 4 NB 3/92 -, DVBl. 1992, 1441 f., m. w. Nachw.). Erweist sich bei einem Zulassungsantrag wegen Divergenz, dass es zwar an der angenommenen Abweichung fehlt, die Rechtssache in dem fraglichen Punkt jedoch grundsätzliche Bedeutung besitzt, so ist die Berufung wegen dieser Frage zuzulassen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 11. Mai 1966 - 8 B 109/64 -, BVerwGE 24, 91 f., zu der entsprechenden Rechtslage bei der Nichtzulassungsbeschwerde; s. auch Beschluss vom 26. Juni 1984, a.a.O.; Beschluss vom 9. November 1979 - 4 N 1/78 u.a. -, BVerwGE 59, 87, 93; ferner Seibert in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 124 Rdn. 202 m. w. Nachw.). So liegt es hier. Die vom Beteiligten im Zulassungsantrag der Sache nach aufgeworfene Frage, wie sich ein Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG auf die vom Bundesamt erlassene Abschiebungsandrohung auswirkt, ist eine über den Einzelfall hinaus reichende und in diesem Sinne verallgemeinerungsfähige, für die erstinstanzliche Entscheidung tragende und in einem Berufungsverfahren klärungsfähige (Rechts-)Frage. Sie ist auch klärungsbedürftig. Dem kann nicht entgegengehalten werden, dass die Frage durch die erwähnte Rechtsprechung des 9. Senats des Bundesverwaltungsgerichts bereits hinreichend geklärt sei (so aber OVG NW, a.a.O.). Es erschiene insoweit nicht sachgerecht, bei einer Abweichung von einer nichttragenden Auffassung eines der in § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylVfG bezeichneten Gerichte eine Divergenzrüge wegen fehlender Entscheidungserheblichkeit für die ober- oder höchstgerichtliche Entscheidung abzulehnen und zugleich die Möglichkeit einer Grundsatzrüge auszuschließen wegen bereits erfolgter Klärung durch eben jene ober- oder höchstgerichtliche Entscheidung. Die Grundsatzrüge ist in einem solchen Fall vielmehr zuzulassen, weil die Rechtsfrage durch die genannten Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts zwar angesprochen, aber weder dort noch - soweit ersichtlich - nachfolgend durch den 9. Senat oder den nunmehr zuständigen 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts in einer die Entscheidung tragenden Weise geklärt worden ist. Dies gilt auch für das Urteil vom 12. Juli 2001 (- 1 C 2/01 -, DVBl. 2001, 1531 ff.), in dem zwar gleichsam am Rande erwähnt wird, dass die Feststellung eines Abschiebungshindernisses nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG nicht zur Aufhebung der Abschiebungsandrohung des Bundesamtes führt, bei dem aber dieser Aspekt für die Entscheidung nicht tragend gewesen ist. [...]