VGH Baden-Württemberg

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Zitieren als:
VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 09.07.2002 - 11 S 2240/01 - asyl.net: M3105
https://www.asyl.net/rsdb/M3105
Leitsatz:

1. Der Status als "abgelehnter Asylbewerber" und damit die Zuständigkeit der Regierungspräsidien nach §§ 5 Abs. 3, 6 Abs. 1 AAZuVO enden mit der Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung.

2. Einen Anspruch auf Erteilung einer Duldung hat ein ausgewiesener Ausländer auf der Grundlage von § 55 Abs. 2 AuslG i.V.m. Art. 6 GG nur, wenn von vornherein eine auch nur kurzzeitige Trennung von seinen Familienangehörigen unzumutbar und eine Abschiebung aus diesem Grund rechtlich unmöglich ist. Diese Anforderungen müssen auch erfüllt sein, wenn er durch die Duldung den Zeitraum bis zur Erfüllung der Voraussetzungen nach § 30 Abs. 4 AuslG überbrücken will. Allein diese Überbrückungsabsicht begründet keine Unzumutbarkeit.(Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: D (A), Türken, abgelehnte Asylbewerber, Straftäter, Ausweisung, Nachträgliche Befristung, Duldung, Aufenthaltsbefugnis, Deutschverheiratung, Kinder, Familienzusammenführung, Schutz von Ehe und Familie, Daueraufenthalt, Zuständigkeit, Ausländerbehörde, Berufungszulassungsantrag, Ernstliche Zweifel, grundsätzliche Bedeutung, Darlegungserfordernis
Normen: AuslG § 30 Abs. 4 ; AuslG § 55 Abs. 2; AuslG § 8 Abs. 2 S. 3; AuslG § 8 Abs. 2 S. 4 ; GG Art. 6 Abs. 1; GG Art. 6 Abs. 2; AAZuVO § 1 Abs. 1; AAZuVO § 5 Abs. 3; AAZuVO § 6 Abs.
Auszüge:

Im vorliegenden Fall hatte der Kläger im Hinblick auf die am (...) geschlossene Ehe am 29.10.1991 eine zunächst befristete Aufenthaltserlaubnis und am 15.1.1996 eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis erhalten. Dieser erlaubte Aufenthalt wurde aufgrund der von ihm im Bundesgebiet begangenen Straftaten auch unter Berücksichtigung seiner familiären Lebensgemeinschaft mit der deutschen Ehefrau und dem deutschen Kind durch Ausweisung beendet (§ 44 Abs. 1 Nr. 1 AuslG). Das Verwaltungsgericht hat in dem die Klage gegen die Ausweisung abweisenden Urteil ausgeführt, die mit der Trennung von seiner Ehefrau und seiner am (...) geborenen Tochter verbundenen Folgen seien nicht derart gewichtig, dass eine Ausweisung als unverhältnismäßig erscheine. Es hat damit die Ausweisung sowie die hiermit verbundenen gesetzlichen Folgen (Erlöschen des Aufenthaltsrechts, Pflicht zur Ausreise, vgl. §§ 44 Abs. 1 Nr. 1, 42 Abs. 1 AuslG) und Wirkungen (regelmäßig befristbares Verbot der Wiedereinreise und der Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung, vgl. § 8 Abs. 2 Satz 1 bis 3 AuslG) im maßgeblichen Zeitpunkt der Ausweisung (26.4.2000) als gerechtfertigt und zumutbar angesehen.

Die tatsächlichen Nachteile (Ausreise und Wiedereinreise erst nach einer aufgrund eines Befristungsantrags bestimmten Dauer) dieser gesetzlichen Folgen und Wirkungen der Ausweisung möchte der Kläger im vorliegenden Fall durch die begehrte Duldung vermeiden, weil er eine Trennung von seiner Ehefrau und seiner Tochter, die ihn wohl in die Türkei nicht begleiten würden, für unzumutbar hält. Die Duldung ist jedoch grundsätzlich nicht das rechtlich zulässige Instrument, um die vom Gesetzgeber vorgesehenen Auswirkungen einer unanfechtbaren Ausweisung auf den Ausgewiesenen zu beseitigen oder zu begrenzen. Dies hat vielmehr bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen durch Rücknahme oder Widerruf der Ausweisungsverfügung bzw. durch die (hinsichtlich des Ausweisungszwecks gegenüber dem Widerruf speziellere Maßnahme der) Befristung der Wirkungen der Ausweisung zu geschehen (vgl. zur Abgrenzung dieser Maßnahmen vgl. BVerwG, Urteil vom 7.12.1999 - 1 C 13.99 -, BVerwGE 110, 140 (143, 147f.); zur Durchbrechung dieser Folgen und Wirkungen durch § 30 Abs. 4 AuslG vgl. unten).

Auch ausgewiesene Ausländer mit familiären Bindungen zu Personen, die sich erlaubt im Bundesgebiet aufhalten, sind grundsätzlich ausreisepflichtig und darauf zu verweisen, dass über die angemessene Dauer der Wirkungen der Ausweisung im Wege der Befristung nach § 8 Abs. 2 Satz 3 AuslG entschieden wird. Denn weder Art. 8 EMRK noch Art. 6 GG begründen einen Anspruch darauf, dass die Sperrwirkungen des § 8 Abs. 2 AuslG außer Betracht bleiben (vgl. zu den Sperrwirkungen des § 8 Abs. 1 AuslG und des § 28 Abs. 3 Satz 2 AuslG BVerwG, Urteil vom 18.6.1996 - 1 C 17.95 -, BVerwGE 101, 265 (272) und Urteil vom 4.6.1997 a.a.O., S. 42f.). Eine Durchbrechung des dargestellten Rechtsfolgensystems sieht der Gesetzgeber in solchen Fällen nur vor, wenn der Ehe- und Familienschutz im Einzelfall derart gewichtig ist, dass auch jede zeitlich begrenzte Trennung unzumutbar erscheint. In diesem Fall kann eine Duldung wegen eines rechtlichen Abschiebungshindernisses nach § 55 Abs. 2 AuslG in Betracht kommen, die auch bei Fortwirken der Ausweisung langfristig in eine Aufenthaltsbefugnis nach § 30 Abs. 4 AuslG münden kann (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 2.5.2000 - 13 S 2456/99 -, InfAuslR 2000, 395). Dabei setzt die Aufenthaltsbefugnis das Vorliegen der Duldungsvoraussetzungen voraus, überlässt es aber nicht dem Ausländer zwischen Aufenthaltsbefugnis und Duldung zu wählen. Ist ein Daueraufenthalt - wie hier - zur Fortführung einer familiären Lebensgemeinschaft beabsichtigt, ist vorrangig die Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis ins Auge zu fassen und scheidet eine Duldung wegen ihres nur vorläufigen Charakters typischerweise aus (vgl. BVerwG, Urteil vom 4.6.1997, a.a.O., S. 43). Eine Duldung kommt allenfalls dann in Betracht, wenn eine Aufenthaltsbefugnis - welcher Art auch immer - aus Rechtsgründen gänzlich ausscheidet, oder aber wenn es an einem zeitlichen Erfordernis der Aufenthaltsbefugnis fehlt; im letzteren Fall kann die Duldung eine faktische Überbrückungswirkung haben.

Gemessen hieran ist die Ablehnung des vom Kläger geltend gemachten Duldungsanspruchs durch das Verwaltungsgericht im Ergebnis nicht ernstlich zweifelhaft.

Das Ausländergesetz sieht für den vom Kläger beabsichtigten Daueraufenthalt bei seiner Familie im Bundesgebiet die Aufenthaltserlaubnis vor, der jedoch die Sperrwirkung des § 8 Abs. 2 Satz 2 AuslG entgegensteht. Der Kläger muss diese Wirkung im hierfür vom Gesetzgeber vorgesehenen Verfahren beseitigen, indem er eine Befristungsentscheidung beantragt, die er ggf. gerichtlich überprüfen lassen kann. Da die Frist nach der gesetzlichen Regelung des § 8 Abs. 2 Satz 4 AuslG erst mit der Ausreise beginnt und diese damit voraussetzt, ist für eine Duldung auf der Grundlage von § 55 Abs. 2 AuslG i.V.m. Art. 6 Abs. 1 und 2 GG nur dann Raum, wenn dem ausgewiesenen Ausländer von vornherein eine auch nur kurzzeitige Trennung von Familienangehörigen unzumutbar (vgl. auch Baden- Württemberg, Beschluss vom 19.4.2001 - 13 S 555/01 -, InfAuslR 2001, 381f.) und eine Abschiebung aus diesem Grund rechtlich unmöglich ist (z.B. besondere Angewiesenheit eines Familienmitglieds auf Hilfe und Pflege durch den zu duldenden Ausländer). Dafür, dass sich die Situation des Klägers, seiner Ehefrau und seiner (...) Jahre alten Tochter in einer Weise zugespitzt hat, dass nach Haftende eine auch nur vorübergehende Trennung unzumutbar wäre, enthält die Begründung des Zulassungsantrags keine Anhaltspunkte. Das Vorliegen eines Anspruchs auf Erteilung einer Duldung ist damit nicht dargetan.

Eine Duldung kann der Kläger damit auch nicht aufgrund seines Vorbringens beanspruchen, dass er diese nicht auf Dauer, sondern nur solange benötige, bis ihm eine Aufenthaltsbefugnis nach § 30 Abs. 4 AuslG zusteht. Auch § 30 Abs. 4 AuslG dient nicht der Vermeidung der Auswirkungen der Ausweisung, sondern ermöglicht einem ausgewiesenen Ausländer nur dann, wenn auf längere Sicht weder seine Ausreise noch seine Abschiebung möglich ist und damit auch eine Befristung der Ausweisungswirkungen ausscheidet, die eine vorherige Ausreise voraussetzt (§ 8 Abs. 2 Satz 4 AuslG), einen legalen Aufenthaltsstatus zu erlangen. Nur in einem solchen Fall haben die genannten Rechtsfolgen zurückzustehen und kann ausnahmsweise auf die Ausreise des Ausländers nach dieser Vorschrift verzichtet werden (vgl. hierzu VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 21.9.2001 - 10 S 1230/01 -, EZAR 039 Nr.8; Beschluss vom 2.5.2000, a.a.O.; Urteil vom 5.7.2000 - 13 S 1726/99 -, InfAuslR 2000,491; Urteil vom 13.6.2000 - 13 S 1378/98 -, VBlBW 2001, 23; BVerwG, Urteil vom 4.6.1997, a.a.O.). Ein Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über die Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis nach § 30 Abs. 4 AuslG setzt daher seinerseits aktuelle Duldungsgründe (hier: aufgrund eines rechtlichen Abschiebungshindernisses aus Art. 6 GG) voraus. Einen Anspruch auf Erteilung einer Duldung auf der Grundlage von § 55 Abs. 2 AuslG i.V.m. Art. 6 GG hat der Kläger, wie dargelegt, aber nicht dargetan, so dass bereits insoweit ein aktueller Anspruch nach § 30 Abs. 4 AuslG ausscheidet.