VGH Baden-Württemberg

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Zitieren als:
VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 04.06.2003 - 13 S 2685/02 - asyl.net: M4117
https://www.asyl.net/rsdb/M4117
Leitsatz:

Eine besondere Härte i.S.d. § 19 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, Satz 2 AuslG kann vorliegen, wenn es dem Ausländer ohne ein eigenständiges Aufenthaltsrecht nicht möglich wäre, einen hinreichenden Umgang mit seinem in Deutschland lebenden deutschen Kind zu pflegen (hier: Krankheit).

(Leitsatz der Redaktion)

Der Kernbereich des dem ausländischen Vater eines minderjährigen deutschen Kindeszustehenden Umgangsrechts darf durch ausländerrechtliche Maßnahmen nicht vereitelt oder in einer Weise erschwert werden, die dem verfassungsrechtlichen Gewicht der in Art. 6 Abs. 1 und 2 GG enthaltenen Schutzgarantie zuwiderläuft. Dies ist bei der Auslegung des Rechtsbegriffs der "besonderen Härte" in § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AuslG zu berücksichtigen (im Anschluss an VGH Bad.-Württ., Urteil vom 11.9.2002 - 10 S 2485/01 -, juris).

Eine "besondere Härte" i.S.d. § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AuslG kommt auch dann in Betracht, wenn sich der Ausländer bei Erfüllung der Rückkehrverpflichtung in einer vergleichbar schwierigen Lage befände wie Personen, die in § 19 Abs. 1 Satz 2 AuslG unmittelbar angesprochen werden oder wenn ihm Beeinträchtigungen drohen, deren Gewicht demjenigen der in der amtlichen Begründung aufgezählten Beispielsfälle gleichkommt.

Eine "besondere Härte" i.S.d. § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Satz 2 AuslG kann zu bejahen sein, wenn es dem Ausländer aufgrund besonderer Umstände (hier: einer Dauererkrankung) ohne Zubilligung eines eigenständigen Aufenthaltsrechts im Bundesgebiet nicht möglich wäre, einen hinreichenden Umgang mit seinem in der Bundesrepublik Deutschland lebenden minderjährigen deutschen Kind zu pflegen. (amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: D (A), Ausländer, Aufenthaltserlaubnis, Verlängerung, Ablehnung, Kinder, Deutsche Kinder, Umgangsrecht, Eigenständiges Aufenthaltsrecht, Kindeswohl, Besondere Härte, Krankheit, Chronische Erkrankung, Schutz von Ehe und Familie, Vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren), Suspensiveffekt
Normen: GG Art. 6; AuslG § 19 Abs. 1; AuslG § 19 Abs. 2; AuslG § 23 Abs. 3
Auszüge:

Der Kernbereich des dem ausländischen Vater eines minderjährigen deutschen Kindeszustehenden Umgangsrechts darf durch ausländerrechtliche Maßnahmen nicht vereitelt oder in einer Weise erschwert werden, die dem verfassungsrechtlichen Gewicht der in Art. 6 Abs. 1 und 2 GG enthaltenen Schutzgarantie zuwiderläuft. Dies ist bei der Auslegung des Rechtsbegriffs der "besonderen Härte" in § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AuslG zu berücksichtigen (im Anschluss an VGH Bad.-Württ., Urteil vom 11.9.2002 - 10 S 2485/01 -, juris).

Eine "besondere Härte" i.S.d. § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AuslG kommt auch dann in Betracht, wenn sich der Ausländer bei Erfüllung der Rückkehrverpflichtung in einer vergleichbar schwierigen Lage befände wie Personen, die in § 19 Abs. 1 Satz 2 AuslG unmittelbar angesprochen werden oder wenn ihm Beeinträchtigungen drohen, deren Gewicht demjenigen der in der amtlichen Begründung aufgezählten Beispielsfälle gleichkommt.

Eine "besondere Härte" i.S.d. § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Satz 2 AuslG kann zu bejahen sein, wenn es dem Ausländer aufgrund besonderer Umstände (hier: einer Dauererkrankung) ohne Zubilligung eines eigenständigen Aufenthaltsrechts im Bundesgebiet nicht möglich wäre, einen hinreichenden Umgang mit seinem in der Bundesrepublik Deutschland lebenden minderjährigen deutschen Kind zu pflegen. (amtliche Leitsätze)

Das Verwaltungsgericht hat die rechtliche Bedeutung des dem Antragsteller zustehenden Umgangsrechts mit seinem inzwischen (...) deutschen Sohn nicht hinreichend erfasst.

Der Schutzbereich des Art. 6 Abs. 1 und 2 GG erstreckt sich auch auf den Kerngehalt dieses Umgangsrechts, das daher nicht vereitelt oder in einer Weise erschwert werden darf, die dem verfassungsrechtlichen Gewicht der in Art. 6 Abs. 1 und 2 GG enthaltenen Schutzgarantie zuwiderläuft (vgl. hierzu BVerfG-K, Beschluss vom 30.1.2002, InfAuslR 2002, 171, 173). Nach der Rechtsprechung des 10. Senats des erkennenden Gerichtshofs (vgl. das Urteil vom 11.9.2002 - 10 S 2485/01 -, juris), der sich der erkennende Senat anschließt, ist dies bei der Auslegung des Rechtsbegriffs der "besonderen Härte" in § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AuslG zu berücksichtigen.

Dabei ist zunächst von der in § 19 Abs. 1 Satz 2 AuslG enthaltenen Legaldefinition auszugehen, wonach eine besondere Härte insbesondere dann vorliegt, wenn dem Ehegatten wegen der aus der Auflösung seiner ehelichen Lebensgemeinschaft erwachsenden Rückkehrverpflichtung eine erhebliche Beeinträchtigung seiner schutzwürdigen Belange droht. Allerdings entspricht der Fall des Klägers nicht unmittelbar einem der sodann in dieser Vorschrift beispielhaft (aber nicht abschließend) aufgezählten Härtefälle. Nach dieser Aufzählung gehört zu den schutzwürdigen Belangen im Sinne des § 19 Abs. 1 Satz 2 AuslG das Wohl eines mit dem ausländischen Ehegatten in familiärer Lebensgemeinschaft lebenden Kindes; an einer solchen familiären Lebensgemeinschaft fehlt es aber nach der Trennung des Antragstellers von seiner deutschen Ehefrau und dem Verbleib des gemeinsamen Sohnes bei dieser.

Eine "besondere Härte" kommt aber auch dann in Betracht, wenn sich der Ausländer bei Erfüllung der Rückkehrverpflichtung in einer vergleichbar schwierigen Lage befände wie Personen, die in § 19 Abs. 1 Satz 2 AuslG unmittelbar angesprochen werden oder wenn ihm Beeinträchtigungen drohen, deren Gewicht demjenigen der in der amtlichen Begründung (vgl. Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Ausländergesetzes, BT -Drs. 14/2386) aufgelisteten Beispielsfälle gleichkommt (vgl. hierzu das Senatsurteil vom 4.12.2002 - 13 S 2194/01 -, EZAR 023 Nr. 28 und VGH Bad.-Württ., Urteil vom 11.9.2002 a.a.O.). Als solche Fälle werden dort aufgezählt: Unmöglichkeit der Führung eines eigenständigen Lebens im Heimatland wegen gesellschaftlicher Diskriminierung, Drohung einer Zwangsabtreibung, Erforderlichkeit eines weiteren Aufenthalts in Deutschland im Hinblick auf eine Beeinträchtigung des Wohls des Kindes wegen der Verhältnisse im Herkunftsland sowie Gefahr einer willkürlichen Versagung des Umgangs mit dem Kind.

Eine Vergleichbarkeit mit diesen Fällen ergibt sich allerdings noch nicht daraus, dass es für einen betroffenen Ausländer mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden sein dürfte, im Falle der Rückkehr in sein Heimatland sein gesetzliches Umgangsrecht mit einem in der Bundesrepublik Deutschland lebenden Kind auszuüben. Eine besondere Härte im Sinne des § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Satz 2 AuslG ist aber dann zu bejahen, wenn es dem Ausländer aufgrund besonderer Umstände ohne Zubilligung eines eigenständigen Aufenthaltsrechts im Bundesgebiet nicht möglich wäre, einen hinreichenden Umgang mit seinem in der Bundesrepublik Deutschland lebenden minderjährigen deutschen Kind zu pflegen (vgl. VGH Bad.-Württ., Urteil vom 11.9.2002 a.a.O.). Die Härteklausel des § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AuslG hat in solchen Fällen eine Auffangfunktion, die nur eingreift, wenn dem verfassungsrechtlichen Schutz des elterlichen Umgangsrechts aus Art. 6 Abs. 1 und 2 GG allein durch die Anwendung der Vorschriften über abgeleitete Aufenthaltsrechte von Ausländern (insbesondere §§ 17 und 23 AuslG) nicht hinreichend Rechnung getragen werden kann. Dies ist dann der Fall, wenn zwischen dem betroffenen Ausländer und seinem Kind zwar keine familiäre Lebensgemeinschaft gegeben ist, jedoch Lebensverhältnisse bestehen, die einen über die Aufrechterhaltung einer Begegnungsgemeinschaft hinausgehenden familienrechtlichen Schutz angezeigt erscheinen lassen (vgl. hierzu auch BVerfG, Beschluss vom 30.1.2002 a.a.O.) oder wenn besondere Umstände vorliegen, die begründeten Anlass zu der Befürchtung geben, dass es dem Ausländer von seinem Heimatland aus nicht möglich sein wird, einen hinreichenden Umgang mit seinem Kind zu pflegen (vgl. hierzu VGH Bad.-Württ., Urteil vom 11.9.2002 a.a.O.).

Im Falle des Antragstellers liegen zumindest gewichtige Anhaltspunkte für das Vorliegen der Voraussetzungen der zweiten Fallgruppe vor. Der Antragsteller hat durch fachärztliche Atteste nachgewiesen, dass er an einer langwierigen und gravierenden neurologischen Erkrankung leidet, deren fachgerechte Behandlung zwar inzwischen eine symptomatische Besserung zur Folge gehabt hat, die aber das Grundleiden nicht beseitigen kann, so dass eine permanente Fortführung der Therapie erforderlich sein wird.

Dieser fachärztliche Befund gibt begründeten Anlass zu der Befürchtung, dass es dem Antragsteller von seinem Heimatland - der Türkei - aus nicht möglich sein wird, einen hinreichenden Umgang zu pflegen, der seiner tatsächlichen persönlichen Verbundenheit mit seinem deutschen Sohn auch nur annähernd entspricht. Den diesbezüglichen Bedenken wird im Hauptsacheverfahren weiter nachzugehen sein. Insoweit bedarf es insbesondere fachärztlicher Aufklärung, ob es dem Antragsteller angesichts seiner Erkrankung möglich und auch zumutbar sein wird, das ihm für seinen Sohn zustehende Umgangsrecht von der Türkei aus auszuüben oder ob die hierfür erforderlichen, verhältnismäßig häufigen Besuchs-(Hin- und Rück-)Reisen miterheblichen Beeinträchtigungen seines Gesundheitszustandes verbunden sein werden, welche die Schwelle der Zumutbarkeit überschreiten.

In diesem Zusammenhang sei schließlich darauf hingewiesen, dass das Verwaltungsgericht das Maß der tatsächlichen Verbundenheit zwischen dem Antragsteller und seinem inzwischen vierjährigem deutschen Sohn - jedenfalls anhand der Aktenlage - nicht zutreffend gewürdigt hat. Zwar übt der Antragsteller derzeit sein Umgangsrecht aufgrund einer Vereinbarung mit seiner ehemaligen Ehefrau grundsätzlich durch Wahrnehmung eines Besuchsrechts "alle 14 Tage" aus. Dass keine intensiveren Kontakte stattfinden, kann ihm aber nicht angelastet werden, da er derzeit - wie er unwidersprochen vorgetragen hat - lediglich im Besitz einer von der Antragsgegnerin ausgestellten, auf Baden-Württemberg beschränkten Duldung ist, was Besuche bei seinem Sohn, der sich bei seiner Mutter in einem anderen Bundesland aufhält, erheblich erschwert. Aus den Akten der Antragsgegnerin ergibt sich jedenfalls, dass er sich entschieden um eine möglichst intensive Ausgestaltung seines Besuchs- und Umgangsrechts bemüht hat. Soweit das Verwaltungsgericht meint, es sei "nicht ersichtlich, dass vor der Aufhebung der Lebensgemeinschaft zwischen dem Antragsteller und seinem Sohn eine intensive Vater-Sohn-Beziehung bestanden hätte", bleibt unklar, worauf es diese Zweifel stützt. Zu Recht weist der Antragsteller darauf hin, dass die eheliche Lebensgemeinschaft zwischen ihm und seiner früheren Ehefrau seit der Geburt des Sohnes am (...) bis fortbestand und er daher in dieser Zeit - selbstverständlich - auch mit seinem Sohn in enger familiärer Lebensgemeinschaft zusammengelebt habe; bei einer solchen Sachlage bedürften diesbezügliche Zweifel besonderer Begründung. Es liegt im übrigen auch nahe, dass dem Antragsteller - wie er ausdrücklich vorträgt - gerade wegen seiner Erkrankung, unter der er erheblich zu leiden habe, der persönliche Kontakt zu seinem Sohn, an dem er sehr hänge, außerordentlich wichtig sei.