VGH Hessen

Merkliste
Zitieren als:
VGH Hessen, Beschluss vom 17.02.2004 - 9 TG 60/04 - asyl.net: M5038
https://www.asyl.net/rsdb/M5038
Leitsatz:

Widerspruch und Klage des Ehegatten einer unter den Personenkreis des § 1 Abs. 1 Nrn. 1 bis 4 AufenthG/EWG fallenden EU-Angehörigen entfalten gemäß § 12 Abs. 9 AufenthG/EWG, der § 72 Abs. 1 AuslG für unanwendbar erklärt, aufschiebende Wirkung, auch wenn der Verdacht besteht, dass die Ehe nur zum Schein zwecks Erlangung eines Aufenthaltsrechts geschlossen wurde. (amtlicher Leitsatz)

Schlagwörter: D (A), Bosnier, Ehegatte, Unionsbürger, Aufenthaltserlaubnis/EG, Scheinehe, Widerspruch, Klage, Suspensiveffekt, Vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren)
Normen: AufenthG/EWG § 1 Abs. 1; AufenthG/EWG § 1 Abs. 2; AufenthG/EWG § 12 Abs. 9; AuslG § 72 Abs. 1; VwGO § 80 Abs. 1
Auszüge:

Dabei bedarf es aus Anlass des vorliegenden Eilverfahrens keiner abschließenden Entscheidung, ob und unter welchen Voraussetzungen die materiell-rechtlichen Vergünstigungen nach dem Aufenthaltsgesetz/EWG trotz einer ordnungsgemäß geschlossenen Ehe zwischen einem/einer EU-Angehörigen und einem/einer nicht unter diesen Personenkreis fallenden Ausländer/in dann nicht zur Entfaltung kommen, wenn die Ehe nie in Form einer ehetypischen Lebensgemeinschaft gelebt und allein zum Zwecke der Erlangung eines ausländerrechtlichen Aufenthaltstitels eingegangen wurde (vgl. dazu etwa Kloesel/Christ, a.a.O.; OVG Hamburg, a.a.O.; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 2. Januar 1995 - 11 S 3379/94 -, InfAuslR 1995, 97 = EZAR 028 Nr. 3, jeweils mit weiteren Nachweisen).

Einem Ausschluss der materiell-rechtlichen Gewährleistungen des Aufenthaltsgesetzes/EWG in Fällen dieser Art könnte möglicherweise entgegen stehen, dass § 1 Abs. 2 Satz 2 AufenthG/EWG anders als dies für Vorschriften anerkannt ist, in denen das Ausländergesetz bestimmte Rechtsfolgen an das Bestehen einer Ehe knüpft, allein auf das Vorliegen der Ehegatteneigenschaft abstellt und der Bestand einer ordnungsgemäß geschlossenen Ehe auch in Fällen einer bloßen Scheinehe nicht in Frage gestellt ist, sondern nur in Form einer Auflösung durch die hierfür zuständige staatliche Stelle beendet werden kann (vgl. VGH Baden Württemberg, a.a.O.).

Jedenfalls hält es der Senat aber für zwingend und sachgerecht, die von dieser materiell-rechtlichen Problematik unabhängige prozessuale Frage, ob dem Rechtsbehelf des Ehegatten eines unter § 1 Abs. 1 AufenthG/EWG fallenden EU-Angehörigen gegen eine ausländerbehördliche Entscheidung aufschiebende Wirkung zukommt, nicht mit einer - evtl. umfangreichen und möglicherweise sogar eine Beweiserhebung erforderlich machenden -Überprüfung der Modalitäten der Eheschließung und der Art und Weise des ehelichen Zusammenlebens zu befrachten, sondern insoweit in Übereinstimmung mit dem Wortlaut des § l Abs. 2 Satz 2 AufenthG/EWG allein auf das formale Bestehen der Ehegatteneigenschaft abzustellen. Die weitreichenden Konsequenzen, die aus dem Vorhandensein bzw. aus dem Fehlen der aufschiebenden Wirkung eines Rechtsbehelfs gerade im Ausländerrecht resultieren, lassen einen Zustand der Rechtsunsicherheit nicht zu, wie er entstünde, wenn man diese Frage nur nach eingehenden Erörterungen beantworten könnte, wie sie gerade im vorliegend angefochtenen erstinstanzlichen Beschluss deutlich zum Ausdruck kommen.

Im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO muss es dem Verwaltungsgericht grundsätzlich auch unbenommen bleiben, die endgültige Ermittlung materiell-rechtlich relevanter Tatbestände, wie etwa des Vorliegens einer ehelichen Lebensgemeinschaft, in das Hauptsacheverfahren zu verlagern und die Entscheidung über die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes aufgrund einer summarischen Prüfung bzw. einer Abwägung der sich gegenüberstehenden Interessen zu treffen. Hiermit wäre unvereinbar, wenn das Gericht gehalten wäre, entsprechende abschließende Ermittlungen schon im prozessualen Vorfeld seiner Entscheidung, nämlich bei Klärung des Problems, ob der Eintritt der aufschiebenden Wirkung kraft Gesetzes ausgeschlossen ist oder nicht, zu treffen.