OVG Nordrhein-Westfalen

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Zitieren als:
OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 30.03.2004 - 15 A 1047/00.A - asyl.net: M5253
https://www.asyl.net/rsdb/M5253
Leitsatz:

Sanktionen wegen Verstoßes gegen Ein-Kind-Politik in China sind keine politische Verfolgung; Gefährdung wegen exilpolitischen Engagements nur bei hervorgehobener Tätigkeit, die vom chinesischen Staat als ernst zu nehmende politische Opposition gewertet wird; allein formale Vorstandsposition in Exilverein keine hervorgehobene Tätigkeit; asyltaktisch motivierte Tätigkeiten führen regelmäßig nicht zu Gefährdung (Bestätigung der st. Rspr. des Senats).(Leitsatz der Redaktion)

 

Schlagwörter: China, Ein-Kind-Politik, Familienplanung, Zwangsabtreibung, Zwangssterilisation, Familienangehörige, Ehemann, Diskriminierung, Freilassung, Bestechung, Haft, Glaubwürdigkeit, Nachfluchtgründe, Subjektive Nachfluchtgründe, Exilpolitische Betätigung, ADC, Funktionäre, Demonstrationen, Publikationen, Offener Brief, Antragstellung als Asylgrund, Illegale Ausreise, Situation bei Rückkehr, Abschiebungshindernis, Menschenrechtswidrige Behandlung
Normen: AuslG § 51 Abs. 1; AuslG § 53 Abs. 4; EMRK Art. 3
Auszüge:

Die auf die Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG und von Abschiebungshindernissen nach § 53 AuslG gerichtete Klage, die allein noch Gegenstand des Berufungsverfahrens ist, ist unbegründet.

Die Klägerin ist im Dezember 1992 nicht als politisch Verfolgte aus China ausgereist. Insoweit nimmt der Senat zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen Bezug auf die dementsprechenden zutreffenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts in dem angefochtenen Urteil, denen die Klägerin im Berufungsverfahren nicht entgegen getreten ist.

Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass Sanktionen des chinesischen Staates, mit denen ein Verstoß gegen die Regelungen zur Familienplanung geahndet werden soll, keine politische Verfolgung sind (vgl. OVG NRW, Urteil vom 22. Mai 2001 - 15 A 1139/97.A -, m.w.N.).

Nach der Ausreise der Klägerin aus China sind keine Nachfluchtgründe eingetreten, auf Grund derer ihr politische Verfolgung droht. Insbesondere kann die Klägerin die Feststellung von Abschiebungshindernissen nicht wegen ihrer exilpolitischen Tätigkeiten in der Bundesrepublik Deutschland beanspruchen.

Für die Beantwortung der Frage, ob ein Asylbewerber wegen exilpolitischer Tätigkeiten in der Bundesrepublik Deutschland bei einer Rückkehr in die Volksrepublik China überwiegend wahrscheinlich mit politischer Verfolgung zu rechnen hat, ist u.a. maßgeblich, ob diese Tätigkeiten aus der Sicht der für eine Verfolgung in Betracht kommenden chinesischen Stellen als ernst zu nehmende politische Opposition zu werten sind (vgl. OVG NRW, Urteile vom 24. April 1998 - 1 A 1399/97 - und vom 26. Juni 1997 - 1 A 1402/97.A -; Beschlüsse vom 5. Februar 2004 - 15 A 480/03.A -, vom 27. Februar 2001 - 1 A 1714/00.A -, vom 29. März 2000 - 1 A 5552/96.A - und vom 3. Dezember 1998 - 1 A 5423/98.A -).

Bei der insoweit - aus der Sicht der chinesischen Stellen - vorzunehmenden Bewertung kommt es entscheidend auf die Substanz des exilpolitischen Engagements eines Asylbewerbers an, wohingegen Umfang, Dauer und Öffentlichkeitswirksamkeit der exilpolitischen Betätigung von untergeordneter Bedeutung sind. Entscheidend ist stets, ob ein Asylbewerber aus der Sicht der gut informierten chinesischen Stellen für die Interessen der Volksrepublik China eine Gefährdung darstellt (vgl. OVG NRW, Urteil vom 24. April 1998, a.a.O., Beschluss vom 27. Februar 2001, a.a.O).

Diese Voraussetzungen sind nicht etwa schon wegen der Mitgliedschaft der Klägerin in der ADC und der Spende eines Geldbetrags in Höhe von (...) EUR an diese erfüllt.

Bei einer zusammenfassenden Würdigung ist davon auszugehen, dass zumindest in den letzten Jahren allenfalls nur an herausgehobener Position in Exilorganisationen tätige Chinesen bei Rückkehr nach China mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung zu befürchten haben, da die Bedeutung der Exilorganisationen auf Grund der Differenzen untereinander zurückgegangen ist, die Mitgliedschaft in Exilorganisationen häufig asyltaktisch motiviert ist und konkrete Fälle einer Bestrafung von einfachen Mitgliedern der FDC/ADC nach Abschiebung in die Volksrepublik China den Erkenntnismitteln nicht zu entnehmen sind (vgl. OVG NRW, Urteil vom 22. Mai 2001, a.a.O., Beschluss vom 27. Februar 2001, a.a.O.; Hess. VGH, Beschluss vom 13. September 2001 - 8 UZ 944/00.A -, InfAuslR 2002, 156 ff.; Nieders. OVG, Urteil vom 19. September 2000 - 11 L 2068/00.A -; Saarl. OVG, Urteil vom 19. Mai 1999 - 9 R 26/98 -; Bad.-Württ. VGH, Urteil vom 29. April 1998 - A 6 S 3271/96 -).

Die Klägerin hatte keine in diesem Sinne herausgehobene Position in einer Exilorganisation inne, auf Grund derer es allenfalls in Betracht käme, dass sie im Falle der Rückkehr nach China mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit mit politischer Verfolgung zu rechnen hätte. Eine dementsprechende Gefährdung ergibt sich nicht daraus, dass sie nach den von ihr vorgelegten Schriftstücken am 1. Februar 2004 vom Vorsitzenden der ADC, Herrn C. M. , zum (...) der ADC ernannt und die Mitgliedschaft im (...) am (...) in das Vereinsregister des Amtsgerichts Köln eingetragen worden ist. Es kommt nicht auf die formale Bezeichnung als (...), sondern auf die materielle Substanz der in dieser Funktion ausgeübten Tätigkeit an. Entscheidend ist nämlich allein, ob die Klägerin als (...) Aktivitäten entfaltet hat, die von den chinesischen Behörden als ernst zu nehmende politische Opposition gewertet werden können. Dementsprechende Betätigungen liegen nicht vor. Die Leitung der Protestkundgebung vor der Außenstelle der chinesischen Botschaft in (....) sowie der offene Brief an den chinesischen Präsidenten, den Ministerpräsidenten und den Chef des Volkskongresses sind Tätigkeiten von nur untergeordneter Bedeutung, die in vergleichbarer Art von einer Vielzahl chinesischer Asylbewerber vorgenommen wurden und werden. Sie sind - und dies ist auch den chinesischen Behörden bekannt - typischerweise und nach Einschätzung des Senats auch im konkreten Fall maßgeblich nicht von einer kritischen Einstellung gegenüber dem chinesischen Staat, sondern von dem Bestreben geprägt, die Chancen für die Anerkennung als Asylberechtigter zu verbessern. Hierfür spricht im konkreten Fall ganz deutlich, dass die Klägerin China nicht aus politischen Gründen verlassen hat und exilpolitische Aktivitäten in Deutschland erstmals für den (....) - nach fast vierjährigem Aufenthalt in Deutschland - und nach Anhängigkeit des gerichtlichen Asylanerkennungsverfahrens vorgetragen werden. Zudem haben sich die exilpolitischen Aktivitäten der Klägerin im Laufe des gerichtlichen Verfahrens und insbesondere im Hinblick auf die anberaumten oder sich jedenfalls abzeichnenden mündlichen Verhandlungen vor dem Verwaltungsgericht und vor dem erkennenden Senat verstärkt.

Für eine im Wesentlichen asyltaktisch bestimmte Motivation der exilpolitischen Aktivitäten der Klägerin spricht auch, dass beinahe ihre sämtlichen angeblichen Demonstrationsteilnahmen durch Fotomaterial dokumentiert sind. Die Art, in der die Klägerin hierauf mit Transparenten nahezu ausschließlich frontal und gut erkennbar abgebildet ist, erweckt den Eindruck, dass die Aufnahmen eigens zur Vorlage im gerichtlichen Verfahren angefertigt worden sind. Dies verstärkt die Annahme, dass die Teilnahme an den Demonstrationen nicht Ausdruck einer regimefeindlichen Gesinnung ist, sondern der Versuch, die Position im Asylverfahren zu verbessern.

Nach ständiger Rechtsprechung des erkennenden Gerichts führen auch die Asylantragstellung in Deutschland sowie eine illegale Ausreise aus China nicht zur Bejahung der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG (vgl. OVG NRW, Beschluss vom 5. Februar 2001, a.a.O., m.w.N.).

Der Klägerin steht auch kein Anspruch auf Abschiebungsschutz nach § 53 AuslG zu. Insbesondere droht der Klägerin bei einer Rückkehr nach China nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung i.S.v. § 53 Abs. 4 AuslG i.V.m. Art. 3 EMRK unter dem Gesichtspunkt eines Verstoßes gegen familienplanungsrechtliche Vorschriften. Es steht nicht einmal mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit fest, dass die Klägerin gegen diese Vorschriften verstoßen hat. Denn es gibt keine nachvollziehbaren Belege (z.B. Geburtsurkunden) dafür, dass sie überhaupt Kinder, geschweige denn vier geboren hat. Abgesehen davon ist der Vortrag hinsichtlich staatlicher Repressionen nach der Geburt der angeblichen Kinder widersprüchlich und unglaubhaft. Insoweit nimmt der Senat auf die zutreffenden Ausführungen in dem angefochtenen Urteil des Verwaltungsgerichts Bezug. Schließlich begründet ein Verstoß gegen familien- und planungsrechtliche Vorschriften generell kein Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 4 AuslG i.V.m. Art. 3 EMRK (vgl. OVG NRW, Urteil vom 22. Mai 2001, a.a.O.).

Ein solches Abschiebungshindernis ist auch nicht im Falle der Klägerin auf Grund besonderer Umstände des vorliegenden Falles ausnahmsweise zu bejahen. Es ist nicht beachtlich wahrscheinlich, dass der inzwischen knapp 45jährigen Klägerin, die ihr angeblich letztes Kind vor nunmehr 17 Jahren bekommen hat, eine Sterilisation angesonnen (geschweige denn zwangsweise durchgesetzt) würde.