VG Aachen

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Zitieren als:
VG Aachen, Urteil vom 17.01.2005 - 9 K 1126/02.A - asyl.net: M6060
https://www.asyl.net/rsdb/M6060
Leitsatz:
Schlagwörter: Serbien und Montenegro, Kosovo, Roma, Ashkali, Gemischt-ethnische Ehen, Gebietsgewalt, Quasi-staatliche Verfolgung, Mittelbare Verfolgung, Verfolgung durch Dritte, Schutzbereitschaft, Schutzfähigkeit, UNMIK, KFOR-Truppen, Situation bei Rückkehr, Abschiebungshindernis, Erlasslage, Abschiebungsstopp, Nichtstaatliche Verfolgung, Märzunruhen
Normen: AufenthG § 60 Abs. 1; AufenthG § 60 Abs. 2 - 7; AufenthG § 60 Abs. 1 S. 4 Bst. c
Auszüge:

Zunächst liegen mangels politischer Verfolgung weder die Voraussetzungen für eine Anerkennung der Kläger als Asylberechtigte noch diejenigen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 1 AufenthG vor. Nach der ständigen Rechtsprechung der Kammer (vgl. nur die Urteile vom 4. Januar 2004 - 9 K3241/04.A -, vom 20. Januar 2003 - 9 K 2086/00.A - und vom 28. April 2003 - 9 K 2362/02.A-), die der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein- Westfalen entspricht (vgl. Urteile vom 30. September 1999 -13 A 93/98.A -, vom 10. Dezember 1999 -14 A 3768/94.A - und vom 17. Dezember 1999 - 13A 3931/94.A -,sowie Beschlüsse vom 30. Oktober 2000 - 14 A 4034/94.A -, vom 6. August 2001 - 14 A 2438/00.A -, vom 4. April 2002 - 14 A 1362/98.A - und vom 4. Juli 2002 - 14 A 89.1/02.A-), sind ethnische Albaner - ebenso wie Minderheitenzugehörige -, aus dem Kosovo, also auch die Kläger, gegenwärtig und auf absehbare Zeit bei einer Rückkehr dorthin vor einer etwaigen politischen Verfolgung durch Serbien und Montenegro hinreichend sicher. Diesem Staat fehlt nämlich für das Gebiet der Provinz Kosovo die Staatsgewalt im Sinne wirksamer hoheitlicher Überlegenheit, die ihm eine politische Verfolgung der dort lebenden Bevölkerung ermöglichen könnte. Demgemäß scheidet eine - wie auch immer geartete - politische Verfolgung des eingangs erwähnten Personenkreises im Kosovo durch Serbien und Montenegro auf absehbare Zeit aus.

Vor dem Hintergrund der aktuellen Erkenntnislage (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Jugoslawien (Kosovo) vom 4. November 2004 (Lagebericht); UNHCR, Position zur fortdauernden Schutzbedürftigkeit von Personen aus dem Kosovo, August 2004; Schweizerische Flüchtlingshilfe (SFH), Update zur Situation der ethnischen Minderheiten nach den Ereignissen vom März 2004) findet in der Provinz Kosovo auch weder eine mittelbare noch eine quasi-staatliche Verfolgung statt.

In Würdigung der vorerwähnten Erkenntnismittel ist davon auszugehen, dass albanische . Gruppierungen - welcher Art sie auch immer sein mögen - weiterhin nicht in Teilen des Kosovo ein staatsähnliches Herrschaftsgefüge von gewisser Stabilität im Sinne einer "übergreifenden Friedensordnung" errichtet haben. Vielmehr werden diese Gruppierungen nach wie vor von der internationalen Verwaltung in den Aufbau einer multi-ethnischen Interimsverwaltung eingebunden. So gibt es beispielsweise Programme unter Führung der International Organization for Migration (IOM), die die Wiedereingliederung ehemaliger UCK-Angehöriger in das Zivilleben durch berufliche Bildungsprogramme, Arbeitsvermittlung, Existenzgründungskredite u. ä. vorsehen. Demgemäß übt allein die internationale Verwaltung derzeit die staatlichen Machtbefugnisse im Kosovo aus. Die ehemalige albanische Befreiungsarmee hat sich schließlich in mehrere politische Parteien und Bewegungen aufgespaltet, die sich ihrerseits um die Macht bewerben. Nicht zuletzt dieser Umstand verbietet die Annahme, dass eine organisierte politische und/oder militärische Machtstruktur auf albanischer Seite besteht (vgl. OVG NRW, Beschluss vom 28. Dezember 2001, a.a.O.; Urteil der Kammer, vom 23.Juni 2003,a.a.O.; Hessischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 26. Februar 2003 7 UE 847/01.A - mit Nachweisen).

§ 60 Abs. 1 Satz 4 Buchstabe c) AufenthG, der zwischenzeitlich in Kraft getreten ist, verlangt keine abweichende Beurteilung. Nach dieser Vorschrift kann eine politische Verfolgung im Sinne des § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG auch von nichtstaatlichen Akteuren ausgehen, sofern die unter den Buchstaben a) und b) genannten Akteure - der Staat oder Parteien bzw. Organisationen, die den Staat oder wesentliche Teile des Staatsgebiets beherrschen - einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor der Verfolgung zu bieten, unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht, es sei denn, es besteht eine innerstaatliche Fluchtalternative. Für einen fehlenden Willen der eingangs genannten internationalen Organisationen, Verfolgungsschutz zu bieten, gibt es bezüglich des Kosovo keinen Anhaltspunkt. Auf sich beruhen kann, ob im Übrigen für die Provinz Kosovo das Tatbestandsmerkmal "erwiesenermaßen" zu bejahen sein kann. Dass vorerwähnte Organisationen nicht in der Lage wären, den erforderlichen Schutz zu bieten, lässt sich zur Überzeugung der Kammer aus den aktuellen Erkenntnissen (vgl. neben der Presseberichterstattung namentlich AA, Lagebericht vom 4. November 2004) nach Abschluss der so genannten März-Ereignisse des vergangenen Jahres nämlich ebenfalls nicht annehmen.

Vor dem Hintergrund vorstehender Ausführungen führt die gemischt-ethnische Ehe der Kläger ebenfalls nicht auf eine (wie auch immer geartete) politische Verfolgung ihrer Personen.

Die Klage hat auch nicht mit dem hilfsweise geltend gemachten Begehren Erfolg, die Beklagte zu verpflichten, für die Kläger ein Abschiebungshindernis nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG festzustellen. Ausgehend von ihrem Vorbringen, der Volksgruppe der Roma bzw. Ashkali aus dem Kosovo anzugehören, bedarf es derzeit keiner Entscheidung über das Vorliegen von Abschiebungshindernissen. Mit Blick auf die aktuelle Erlasslage und die hierauf gründende Abschiebungssituation für diesen Personenkreis ist etwaigen, sich beispielsweise aus § 60 Abs. 5 AufenthG in Verbindung mit Art. 3 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 oder aus § 60 Abs. 7 AufenthG ergebenden Abschiebungsschutzbedürfnissen hinreichend Rechnung getragen.