VGH Bayern

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Zitieren als:
VGH Bayern, Urteil vom 09.05.2005 - 24 B 03.3295 - asyl.net: M7277
https://www.asyl.net/rsdb/M7277
Leitsatz:

1. Die Unterstützung einer terroristischen Vereinigung nach § 8 Abs. 1 Nr. 5 AuslG setzt voraus, dass in der Person des Ausländers liegende Tatsachen die Annahme rechtfertigen, er leiste konkret einer solchen Vereinigung zumindest Hilfsdienste oder fördere sie sonstwie in nicht nur völlig unbedeutender Weise. Dabei sind die Anforderungen an den Nachweis dieser Voraussetzungen angesichts des besonderen Gewichts der bedrohten Rechtsgüter niedrig anzusetzen. Der vollständige Beweis einer konkreten Gefährdungsaktion durch den betroffenen Ausländer ist nicht erforderlich.

2. Ausgangspunkt für die Prüfung der Ausweisungsvoraussetzungen muss der Befund an Fakten sein, welcher tatsächlich nachgewiesen bzw. im gerichtlichen Verfahren belegt wurde. Damit ist sichergestellt, dass eine reine Verdachtsausweisung, welche rechtsstaatlichen Anforderungen nicht genügen würde, nicht stattfindet.

3. Die von § 8 Abs. 1 Nr. 5 AuslG zu bekämpfende Gefahr besteht auch, wenn ohne spezifische Unterstützung einer einzelnen Vereinigung dem Netzwerk des internationalen Terrorismus zugearbeitet bzw. dieses unterstützt wird.

 

Schlagwörter: Ausweisung, Terrorismus, Unterstützung, Verdacht der Unterstützung, Regelausweisung, Entscheidungszeitpunkt, Änderung der Sachlage, Nachschieben von Gründen, Beweis, Tatsachen, Geheimhaltung, Beweisverwertungsverbot, Asylberechtigte, Schwerwiegende Gründe, Ermessensausweisung, Privatleben
Normen: AuslG § 8 Abs. 1 Nr. 5; AuslG § 47 Abs. 2 Nr. 4; AuslG § 48 Abs. 1 Nr. 5; AuslG § 47 Abs. 3; EMRK Art. 8
Auszüge:

1. Die Unterstützung einer terroristischen Vereinigung nach § 8 Abs. 1 Nr. 5 AuslG setzt voraus, dass in der Person des Ausländers liegende Tatsachen die Annahme rechtfertigen, er leiste konkret einer solchen Vereinigung zumindest Hilfsdienste oder fördere sie sonstwie in nicht nur völlig unbedeutender Weise. Dabei sind die Anforderungen an den Nachweis dieser Voraussetzungen angesichts des besonderen Gewichts der bedrohten Rechtsgüter niedrig anzusetzen. Der vollständige Beweis einer konkreten Gefährdungsaktion durch den betroffenen Ausländer ist nicht erforderlich.

2. Ausgangspunkt für die Prüfung der Ausweisungsvoraussetzungen muss der Befund an Fakten sein, welcher tatsächlich nachgewiesen bzw. im gerichtlichen Verfahren belegt wurde. Damit ist sichergestellt, dass eine reine Verdachtsausweisung, welche rechtsstaatlichen Anforderungen nicht genügen würde, nicht stattfindet.

3. Die von § 8 Abs. 1 Nr. 5 AuslG zu bekämpfende Gefahr besteht auch, wenn ohne spezifische Unterstützung einer einzelnen Vereinigung dem Netzwerk des internationalen Terrorismus zugearbeitet bzw. dieses unterstützt wird.

(Amtliche Leitsätze)

 

1. Rechtsgrundlage der hier streitigen Ausweisungsentscheidung ist § 47 Abs. 2 Nr. 4 AuslG i.V.m. § 8 Abs. 1 Nr. 5 AuslG. Danach wird ein Ausländer in der Regel ausgewiesen, wenn Tatsachen belegen, dass er eine Vereinigung unterstützt, die den internationalen Terrorismus unterstützt. Andere tatbestandliche Alternativen kommen hier nicht in Betracht. Insbesondere ist nicht nachgewiesen, dass der Kläger einer terroristischen Organisation angehört.

2. Bei der Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Ausweisungsverfügung ist grundsätzlich auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Behördenentscheidung abzustellen (Beschluss des BayVGH vom 23.2.05, 24 ZB 04.2197, Leitsatz 1). Dies bedeutet einerseits, dass Vorschriften des seit 1. Januar 2005 geltenden Aufenthaltsgesetzes vorliegend außer Betracht bleiben und sich die Rechtmäßigkeit der Ausweisungsverfügung nach den Normen des Ausländergesetzes (AuslG) beurteilt.

Andererseits bleiben grundsätzlich auch solche Sachverhalte außer Betracht, die sich nach Erlass der Ausweisungsentscheidung ereignet haben. Nicht betroffen hiervon ist jedoch das (zulässige) Nachschieben neuer Erkenntnisse, welche geeignet sind, den zum Zeitpunkt der Behördenentscheidung zu Grunde liegenden Sachverhalt zu beweisen bzw. zu untermauern. Daraus folgt, dass später bekannt gewordene oder zur Verfügung gestellte Erkenntnisse über die zu dem maßgeblichen Zeitpunkt bestehende Sachlage zu berücksichtigen sind. Nicht möglich ist es hingegen, dass die von der Behörde getroffene Prognose durch später eingetretene Tatsachen gerechtfertigt oder widerlegt werden kann (BVerwG, Urteil vom 5. Mai 1998, 1 C 17.97 BVerwGE 351/358).

3. Notwendig für die Annahme der tatbestandlichen Voraussetzungen und damit die Annahme der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung ist, dass Tatsachen in der Person des Ausländers die Annahme rechtfertigen, dass er konkret einer solchen Vereinigung zumindest Hilfsdienste leistet oder sie sonst wie in einer nicht nur völlig unbedeutenden Weise fördert und sich dadurch die von der Organisation ausgehenden Gefahren nicht nur unwesentlich erhöhen oder manifestieren. Dabei sind die Anforderungen an den Nachweis dieser Voraussetzungen angesichts des besonderen Gewichts der bedrohten Rechtsgüter allerdings niedrig anzusetzen. Der vollständige Beweis einer konkreten Gefährdungsaktion durch den betroffenen Ausländer ist nicht erforderlich.

e) Ausgangspunkt bei der Frage nach der Auslegung der tatbestandlichen Voraussetzungen (Tatsachen - Beleg, dass er eine Vereinigung unterstützt, die den internationalen Terrorismus unterstützt) muss nach Auffassung des Senats zunächst sein, dass ein bloßer Verdacht, welcher nicht durch Tatsachen belegt ist, den gesetzlichen, rechtsstaatlichen Anforderungen nicht entspricht. Eine bloße auf Verdachtsgründen oder Vermutungen basierende Ausweisungsverfügung kann von vorneherein keinen Bestand haben. Sie wäre mit rechtsstaatlichen Anforderungen nicht vereinbar und würde die Möglichkeit eröffnen, Ausländer ohne jeden Nachweis einer Tathandlung des Landes zu verweisen.

Auf der "untersten Ebene" ist deshalb vielmehr zu fordern, dass nachweisbare Tatsachen vorliegen, welche der Ausweisungsentscheidung und der anzustellenden Prognose zugrunde gelegt werden können. Ohne das Vorliegen solcher Tatsachen ist die geforderte Gefahrenprognose ("unterstützt") und Beurteilung nämlich nicht möglich und auch in keiner Weise gerichtlich nachprüfbar. Diese Auslegung entspricht auch dem ausdrücklichen Wortlaut des Gesetzes ("wenn Tatsachen belegen").

Soll eine Ausweisungsentscheidung somit auf den Vorwurf der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung gestützt werden, so ist es also zunächst Aufgabe der Ausländerbehörde, Tatsachen darzulegen und beizubringen, die eine geeignete Erkenntnisbasis bzw. Ausgangssituation für die Prognoseentscheidung und die Gefahrbeurteilung darstellen können. Naturgemäß wird man dabei mangels eigener Belege auf die Erkenntnisse der Sicherheitsbehörden zurückgreifen müssen, so dass es in erster Linie deren Aufgabe ist, die Tatsachengrundlage für eine auf § 8 Abs. 1 Nr. 5 AuslG gestützte Ausweisungsverfügung zu schaffen.

Nicht belegbare Behauptungen der Sicherheitsbehörden müssen dabei außer Betracht bleiben. Sicherlich gibt es eine Vielzahl von Gründen, die es den Sicherheitsbehörden als nicht sachgerecht erscheinen lassen, ihre Informationen und Erkenntnisse in vollem Umfang darzulegen. Hierfür können anderweitige, noch laufende Ermittlungen sprechen oder aber der Schutz bestimmter Informationsquellen. Wenn die Sicherheitsbehörde sich aber für eine solche Vorgehensweise entscheidet, so kann dies nicht zu Lasten eines von einer Ausweisungsverfügung betroffenen Ausländers gewertet werden. Der Grundsatz des fairen Verfahrens gebietet es ebenso wie die Unschuldsvermutung, dass dem Ausländer nur solche Tatsachen entgegen gehalten werden, die belegbar sind und zu denen er auch in geeigneter Weise Stellung nehmen kann. Werden einzelne Erkenntnisse unterdrückt oder nicht zur Verfügung gestellt, müssen sie auch im ausländerrechtlichen Verfahren unbeachtlich bleiben. Schließlich ist es auch dem Gericht nicht möglich zu bewerten, ob etwa die vielfach vorzufindende Aussage, dass keine gerichtsverwertbaren Tatsachen zu einem bestimmten

Sachverhalt vorliegen, dafür spricht, dass die Sicherheitsbehörden über keinerlei Erkenntnisse verfügen oder ob sie nur über keine Erkenntnisse verfügen, die sie dem Gericht zur Verfügung stellen wollen.

i) Zusammenfassend ist der Senat somit der Auffassung, dass eine Ausweisung der Grundlage des § 8 Abs. 1 Nr. 5 AuslG nur dann möglich ist, wenn

- verwertbare Tatsachen vorliegen, welche dem betroffenen Ausländer vorgehalten und im Zweifelsfall auch belegt werden können;

- diese Tatsachen den Schluss zulassen, dass der Ausländer eine terroristische Organisation unterstützt; Unterstützungshandlung ist dabei jede Handlung, die nicht nur ganz unwesentlich geeignet ist, den Bestand der Organisation zu erhalten, die Verwirklichung ihrer Ziele zu erleichtern oder die Organisation sonst positiv zu beeinflussen; nicht erforderlich ist, dass dies primäres Ziel oder Absicht des Betroffenen ist;

- eine terroristische Organisation bzw. dem internationalen Terrorismus zurechenbare Einheiten oder Netzwerke von dieser Unterstützung tatsächlich in irgendeiner Weise tatsächlich profitieren können, also durch sie gefördert werden;

- auch für die Zukunft davon auszugehen ist, dass die mit der Unterstützung verbundene Förderung zu einer Gefährdung für die Sicherheit der Bundesrepublik führen kann.