VG Frankfurt a.M.

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Zitieren als:
VG Frankfurt a.M., Beschluss vom 30.05.2005 - 2 G 337/05 (1) - asyl.net: M7488
https://www.asyl.net/rsdb/M7488
Leitsatz:
Schlagwörter: D (A), Iran, Iraner, abgelehnte Asylbewerber, Passbeschaffung, Mitwirkungspflichten, Passverfügung, Zumutbarkeit, Auslandsvertretung, Freiwilligkeitserklärung, Verfahrensmangel, Heilung, Ermessen, Ermessensfehler, vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren)
Normen: AufenthG § 82 Abs. 4; VwGO § 114 S. 2
Auszüge:

Rechtsgrundlage für das Verlangen, beim iranischen Generalkonsulat persönlich vorzusprechen, ist § 82 Abs.4 AufenthG. Rechtswidrig ist die Aufforderung zur persönlichen Vorsprache im Bescheid vom 26.01.2005 schon deshalb, weil die Antragsgegnerin das ihr durch § 82 Abs.4 AufenthG eröffnete Ermessen überhaupt nicht ausgeübt hat. Dieser Ermessensnichtgebrauch ist ein Verstoß gegen § 40 HVwVfG, weil weder ein Fall des sogenannten intendierten Ermessens noch eine Ermessensreduzierung vorliegt. Der Ermessensfehier ist im Verwaltungsprozess nicht heilbar (vgl. § 114 Satz 2 VwGO).

Selbst wenn man bei § 82 Abs.4 AufenthG von intendiertem Ermessen ausgehen würde, wäre die Antragsgegnerin wegen der Besonderheiten des konkreten Falles gehalten gewesen, Erwägungen über das Für und Wider des Erlasses einer solchen Anordnung zu treffen. Die Besonderheit des Falles liegt darin, dass die Auslandsvertretungen der Islamischen Republik Iran - was vom Auswärtigen Amt als völkerrechtswidrig angesehen wird - ihren in Deutschland lebenden Staatsangehörigen keine Heimreisedokumente ausstellen, wenn diese nicht freiwillig zurückkehren wollen. Der Ausländer muss, um ein solches Dokument zu erhalten, persönlich vorsprechen und dabei zu erkennen geben, dass er freiwillig in den Iran zurückkehren möchte. Diese Freiwilligkeitserklärung muss persönlich und im Verlauf eines Interviews abgegeben werden.

Die Antragsgegnerin hat diese Umstände bei ihrer Entscheidung nicht erwogen, obwohl sie entscheidungserheblich sind. Denn eine Aufforderung an einen iranischen Staatsangehörigen, persönlich bei der iranischen Auslandsvertretung vorzusprechen, ist zur Zweckerreichung - Ausstellung eines Heimreisedokuments - ungeeignet, wenn und solange dieser Ausländer nicht ausreisen will.

Erwogen hat die Antragsgegnerin außerdem nicht, dass gemäß Ziff. 49.1.5 der Vorläufigen Anwendungshinweise zum Aufenthaltsgesetz des Bundesministerium des Innern (Stand: 22.12.2004) ein Ausländer nicht verpflichtet sein soll, gegenüber den Vertretungen seines Staates solche Erklärungen abzugeben, die nicht der Ermittlung der Identität oder der Staatsangehörigkeit dienen. Denn auch die von den iranischen

Auslandsvertretungen geforderten Erklärungen über die Freiwilligkeit der Ausreise dienen nicht der Ermittlung der Identität oder der Staatsangehörigkeit des Ausländers.

Zu den Erklärungen betreffend Identität oder Staatsangehörigkeit rechnet auch nicht, was gemäß Ziffer 8 des vom Generalkonsulat der Islamischen Republik Iran veröffentlichten Merkblatt bei der Passbeantragung von der Antragstellerin verlangt wird, nämlich "eine ausführliche Erklärung, wie Sie aus dem Iran ausgereist sind und wie ihr Asylantrag akzeptiert wurde und wie Ihre jetzige Situation ist."

Nicht erwogen - auch nicht auf gerichtliche Nachfrage im Prozess - hat die Antragsgegnerin außerdem, dass angesichts des völkerrechtswidrigen Verhaltens der iranischen Auslandsvertretungen gegenwärtig praktisch keine zwangsweisen Rückführungen iranischer Staatsangehöriger in ihr Heimatland stattfinden.

Eine "Heilung" des von der Antragsgegnerin begangenen Ermessensfehlers durch Nachschieben von Gründen im Verwaltungsprozess ist nicht zulässig, weil § 114 Satz 2 VwGO lediglich die Ergänzung von Ermessenerwägungen mit heilender Wirkung zuläßt. Einer erstmaligen Ermessensbetätigung im Prozess kommt diese Wirkung nicht zu. Das Verwaltungsverfahren ist, weil es sich hier um eine asylverfahrensrechtliche Streitigkeit handelt (VGH Kassel, Beschluss vom 11.04.2005, Az. 11 TG 566/05.A), mit Erlass des angefochtenen Bescheids auch abgeschlossen (§ 11 AsylVfG).