VG Düsseldorf

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Zitieren als:
VG Düsseldorf, Urteil vom 24.01.2006 - 1 K 5138/05 - asyl.net: M7844
https://www.asyl.net/rsdb/M7844
Leitsatz:
Schlagwörter: Abschiebungsandrohung, Ausreisefrist, Antragsfiktion, Asylantrag, Kinder, Verzicht, Asylverfahren, vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren), Suspensiveffekt
Normen: AsylVfG § 38 Abs. 1; AsylVfG § 14a Abs. 2; AsylVfG § 14a Abs. 3; AsylVfG § 34; AsylVfG § 38 Abs. 2; AsylVfG § 75
Auszüge:

Soweit die Beklagte in Ziffer 3 des Bescheides vom 21.11.2005 eine Ausreisefrist von einer Woche gesetzt hat, ist der Bescheid rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten.

Für die Klägerin, die als Tochter zweier abgelehnter Asylbewerber am 14.09.2005 in E geboren wurde, ist auf die Anzeige der zuständigen Ausländerbehörde nach § 14 a Abs. 2 AsylVfG ein Asylverfahren eingeleitet worden. Unter dem 11.11.2005 hat die Klägerin durch ihre Bevollmächtigten nach § 14 a Abs. 3 AsylVfG erklären lassen, dass sie auf die Durchführung eines Asylverfahrens verzichte, da ihr keine politische Verfolgung drohe. Auf diese Verfahrenskonstellation ist für die darüber hinaus zu treffende Entscheidung, innerhalb welcher Frist die Klägerin auszureisen hat, um eine Abschiebung abzuwenden, keine der den § 38 Abs. 1 AsylVfG verdrängende Sonderregelung anwendbar.

Eine unmittelbare Anwendung des § 38 Abs. 2 AsylVfG auf Fälle des Verzichts nach § 14 a Abs. 3 AsylVfG scheitert am Wortlaut der Regelung, denn sie spricht nur von dem Fall der Rücknahme des Asylantrages und erwähnt den des Verzichts auf die Durchführung des Asylverfahrens nach § 14 a Abs. 3 AsylVfG nicht. Da das Asylverfahrensgesetz in seinen Regelungen im übrigen die Fälle der Beendigung des Asylverfahrens durch Verzicht ausdrücklich neben denen der Antragsrücknahme benennt (§§ 32, 71 Abs. 1 AsylVfG), scheidet eine Subsumtion der Verfahrenskonstellation des Verzichts auf die Durchführung eines Asylverfahrens nach § 14 a Abs. 3 AsylVfG unter den Begriff "Rücknahme des Asylantrages" in § 38 Abs. 2 AsylVfG aus.

§ 38 Abs. 2 AsylVfG kann auch nicht analog auf die Fälle des Verzichts nach § 14 a Abs. 3 AsylVfG angewandt werden.

Gegen eine analoge Anwendung des § 38 Abs. 2 AsylVfG spricht schon der Ausnahmecharakter dieser Vorschrift. Nach § 38 Abs. 1 AsylVfG beträgt die Ausreisefrist für Asylbewerber, die nicht als Asylberechtigte anerkannt werden, einen Monat; etwas anderes gilt nur für die Fälle, für die das Gesetz - wie in § 38 Abs. 2 AsylVfG - eine abweichende Regelung trifft. Der Ausnahmecharakter der von § 38 Abs. 1 AsylVfG abweichenden Regelungen ergibt sich auch aus § 75 AsylVfG. Danach löst eine von § 38 Abs. 1 AsylVfG abweichende Regelung der Ausreisefrist zugleich den Ausnahmefall des Entfallens der aufschiebenden Wirkung der Klage aus. Als Ausnahmeregelung ist § 38 Abs. 2 AsylVfG einer analogen und damit erweiternden Auslegung grundsätzlich nicht zugänglich.

Für eine analoge Anwendung des § 38 Abs. 2 AsylVfG auf die Fälle des Verzichts nach § 14 a Abs. 3 AsylVfG fehlt es zudem an der erforderlichen unbeabsichtigten Regelungslücke. Gegen die Annahme einer solchen spricht schon die Existenz einer "Auffangvorschrift" in § 38 Abs. 1 AsylVfG ("In den sonstigen Fällen..."). Außerdem spricht die Regelungssystematik gegen ein gesetzgeberisches Redaktionsversehen. Der Gesetzgeber hat durch das Zuwanderungsgesetz vom 30.07.2004 mit § 14 AsylVfG eine neue Regelung über die Familieneinheit in das Asylverfahrensgesetz eingefügt. Darin hat er korrespondierend zu der Fiktion des Asylantrages (Absätze 1 und 2) in Absatz 3 den neuen Beendigungstatbestand des Verzichts auf die Durchführung eines Asylverfahrens geschaffen. Durch Folgeregelungen in §§ 32 und 71 Abs. 1 AsylVfG hat er diese neue Verfahrensvariante in die bisherige Verfahrenssystematik eingegliedert. Hinsichtlich des Entscheidungsprogramms des Bundesamtes sieht er in § 32 AsylVfG ausdrücklich eine einheitliche Regelung für die Fälle der Antragsrücknahme und die des Verzichts auf die Verfahrensdurchführung vor. In § 71 Abs. 1 AsylVfG hat er in Satz 2 in Anlehnung an dessen bisherigen, auf § 32 a Abs. 1 Satz 4 AuslG bezogenen Regelungsinhalt ausdrücklich klargestellt, dass der Verzicht auf die Durchführung eines Asylverfahrens nach § 14 a Abs. 3 AsylVfG im Hinblick auf einen späteren Asylantrag dieselben verfahrensrechtlichen Konsequenzen nach sich zieht wie die sonstigen, ohne Asylanerkennung eingetretenen Verfahrensbeendigungen. Lassen diese Regelungen erkennen, dass der Gesetzgeber ausdrückliche und eindeutige Entscheidungen über die Einordnung der Verfahrensbeendigung durch Verzicht nach § 14 a Abs. 3 AsylVfG in die asylrechtliche Verfahrenssystematik getroffen hat, spricht nichts dafür, dass der Gesetzgeber die Frage, welche Ausreisefrist bei dieser Form von Verfahrensabschluss gelten soll, übersehen hat.

Schließlich lässt auch die hinter der Schaffung einer verfahrensrechtlichen Sonderregelung für Familienverbände erkennbare Zielrichtung des Gesetzgebers keinen Schluss darauf zu, das Eingreifen der Auffangregelung des § 38 Abs. 1 AsylVfG mit der Folge einer einmonatigen Ausreisefrist und der aufschiebenden Wirkung einer Klage gegen die Abschiebungsandrohung nach § 75 AsylVfG sei keinesfalls gewollt gewesen. Zwar gehört die allgemeine Verfahrensbeschleunigung auch zu den Zielen des Zuwanderungsgesetzes (vgl. Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung, BT-Drs. 15/249, S. 61, 65), jedoch nimmt die Gesetzesbegründung insoweit nicht Bezug auf die neugeschaffene Verfahrensregelung des § 14 a AsylVfG. Vielmehr soll mit dieser Vorschrift die sukzessive Asylantragstellung der Familienmitglieder zum Zwecke der Verlängerung der Aufenthaltszeiten für sämtliche Mitglieder des Familienverbandes verhindert werden (vgl. BT-Drs. 15/249, S. 108, zu Nummer 10).

Dieses Ziel wird durch die Antragsfiktion in § 14 a Abs. 1 und 2 AsylVfG und die Gleichsetzung eines Verfahrensverzichts nach § 14 a Abs. 3 AsylVfG mit einem negativ abgeschlossenen Asylerstverfahrens in § 71 Abs. 1 AsylVfG erreicht. Dass das nach § 14 a Abs. 1 oder 2 AsylVfG automatisch in Gang gesetzte, durch Verzicht nach § 14 a Abs. 3 AsylVfG beendete Asylverfahren darüber hinaus den erschwerten Bedingungen einer verkürzten Ausreisefrist und einer sofortigen Vollziehbarkeit der Abschiebungsandrohung unterworfen sein soll, lässt sich den Gesetzesmaterialien nicht entnehmen.