VG Münster

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Zitieren als:
VG Münster, Urteil vom 31.01.2006 - 7 K 974/04.A - asyl.net: M7929
https://www.asyl.net/rsdb/M7929
Leitsatz:

§ 60 Abs. 7 AufenthG wegen extremer Gefahrenlage für junge, allein stehende Frau aus Angola, da sie wegen schlechter Versorgungslage ihr Existenzminimum nicht sichern kann.

 

Schlagwörter: Angola, Glaubwürdigkeit, alleinstehende Frauen, Frauen, Alter, Situation bei Rückkehr, Versorgungslage, Existenzminimum, Luanda, allgemeine Gefahr, extreme Gefahrenlage
Normen: AufenthG § 60 Abs. 1; AufenthG § 60 Abs. 7
Auszüge:

§ 60 Abs. 7 AufenthG wegen extremer Gefahrenlage für junge, allein stehende Frau aus Angola, da sie wegen schlechter Versorgungslage ihr Existenzminimum nicht sichern kann.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG sind in der Person der Klägerin erfüllt.

Die Klägerin wäre im Falle ihrer Rückkehr nach Angola einer extremen Gefahrenlage im Sinne dieser Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes ausgesetzt. Denn nach einer Gesamtbetrachtung der gegenwärtigen Lage in Angola und der in der Person der Klägerin liegenden individuellen Umstände ist beachtlich wahrscheinlich, dass die Klägerin im Falle einer Rückkehr nach Angola akut an Leib und Leben gefährdet wäre.

Auf der Grundlage der dem Gericht vorliegenden Erkenntnisse ist davon auszugehen, dass sich die Versorgungslage in Angola seit dem Friedensabkommen im Jahr 2002 zwar verbessert hat, dass aber die Mehrheit der angolanischen Bevölkerung immer noch am Rande des Existenzminimums lebt, sie überlebt mit Subsistenzwirtschaft, Kleinsthandel und Gelegenheitsarbeiten (vgl. zur Versorgungslage in Angola u. a.: Lageberichte des Auswärtigen Amtes a.a.O. und vom 5. November 2004; Schweizerische Flüchtlingshilfe, a.a.O.).

Den mit der schlechten Versorgungslage verbundenen Gefahren für Leib und Leben ist zwar die Mehrheit der angolanischen Bevölkerung ausgesetzt; eine drohende existenzielle Gefährdung der Klägerin im Falle ihrer Rückkehr wäre deshalb nur typische Folge der schlechten Versorgungslage in Angola. Die "Sperrwirkung" des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG kommt dennoch nicht zum Tragen. Denn es bestehen individuelle Besonderheiten, die die Klägerin von dieser "Sperrwirkung" befreien.

Die Klägerin ist eine junge Frau, sie ist in Angola ohne familiären Rückhalt, ihre Eltern sind seit drei Jahren verschwunden. Dass die Klägerin im Falle ihrer Rückkehr nach Angola in Luanda - wohin sie abgeschoben würde, da der einzig mögliche Abschiebeweg über den internationalen Flughafen von Luanda führt - ihr Überleben sichern könnte, erscheint auf dem Hintergrund der bereits zitierten Erkenntnisse und aktueller Presseberichte ausgeschlossen. In die "heruntergekommene" Metropole, in der schon jetzt mehr als ein Viertel der gesamten angolanischen Bevölkerung lebt, strömen immer mehr Menschen. Die große Mehrheit der Bewohner lebt unter Armutsbedingungen. Es gibt wenig reguläre Arbeitsplätze, niedrige, oft unregelmäßig ausbezahlte Löhne zwingen bis zu 70 Prozent der Bevölkerung Luandas, vom informellen Handel zu leben oder zusätzliche Einnahmenquellen zu sichern; es wird gebettelt, Straßenkinder leben in Ruinen (vgl. hierzu: Die Tageszeitung vom 4. Januar 2006, "Schwarzes Gold füllt schwarze Kassen", Lageberichte a.a.O., Schweizerische Flüchtlingshilfe a.a.O.).

Mit Blick auf diese in Luanda herrschenden, durch den täglichen Überlebenskampf gekennzeichneten Bedingungen ist davon auszugehen, dass die Klägerin, die in Bucu Zau, einer Kleinstadt in der Provinz Cabinda, aufgewachsen ist, Verhältnisse wie in Luanda also nicht kennt und dort vor allem ohne familiäre Bindung allein auf sich gestellt wäre, dem Hunger und der Verwahrlosung verbunden mit erheblichen Gefahren für Leib und Leben ausgesetzt wäre. Aber auch für den Fall einer Rückkehr in ihre Heimat ist es nicht wahrscheinlich, dass sie ihr Überleben sichern könnte. Denn in vielen Teilen des Landesinnern ist die Versorgungslage weiterhin sehr kritisch (vgl. hierzu Lageberichte a.a.O.).