VG Köln

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Zitieren als:
VG Köln, Urteil vom 21.02.2006 - 12 K 8607/03 - asyl.net: M8107
https://www.asyl.net/rsdb/M8107
Leitsatz:
Schlagwörter: Asylantrag, Abschiebungsandrohung, Zielstaatsbezeichnung, Bundesamt, Ausländerbehörde, Zuständigkeit, zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse, Afghanistan, Versorgungslage, allgemeine Gefahr, extreme Gefahrenlage
Normen: AuslG § 50 Abs. 1; AuslG § 50 Abs. 3 S. 2; AuslG § 53 Abs. 6; AsylVfG § 13 Abs. 1; AsylVfG § 67 Abs. 1 Nr. 2; AsylVfG § 67 Abs. 2
Auszüge:

(1) Das erste Klagebegehren ist nach verständiger Auslegung dahin zu verstehen, dass die Ordnungsverfügung vom 10. Oktober 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. November 2003 insoweit aufzuheben ist, als darin nicht ausgesprochen ist, dass der Kläger nicht nach Afghanistan abgeschoben werden darf. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der insoweit angefochtenen Bescheide ist der Erlass des Widerspruchsbescheids, mithin November 2003.

Die Abschiebungsandrohung steht ebenfalls im Einklang mit § 50 Abs. 3 Satz 2 AuslG. Nach dieser Vorschrift ist in der Androhung der Staat zu bezeichnen, in den der Ausländer nach den §§ 51 und 53 Abs. 1 bis 4 AuslG nicht abgeschoben werden darf. Auf politische Verfolgung im Sinne von § 51 AuslG (jetzt: § 60 Abs. 1 AufenthG) kann sich der Kläger gegenüber dem Beklagten nicht berufen, da nur das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (jetzt: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge) - im Folgenden: Bundesamt - das Vorliegen dieser Voraussetzungen in einem Asylverfahren feststellen kann, § 51 Abs. 1 Satz 2 AuslG, § 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG. Abschiebungshindernisse nach § 53 Abs. 1 bis 4 AuslG (jetzt: § 60 Abs. 2 bis 5 AufenthG) lagen nicht vor. Insbesondere zeigt der Kläger keinen Anhaltspunkt dafür auf, dass er wegen einer Straftat gesucht wird und ihm deshalb die Todesstrafe drohen könnte. Aus diesem Grund bedarf es vorliegend keiner Entscheidung, unter welchen Voraussetzungen die Zuständigkeit für die Prüfung und Feststellung von Abschiebungshindernissen nach § 53 AuslG (jetzt: Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG) bereits nach Stellung eines Asylantrags nach § 13 AsylVfG und unabhängig von einer Weiterleitung des Asylantragstellers an eine Aufnahmeeinrichtung nach §§ 18 Abs. 1 oder 19 Abs. 1 AsylVfG auf das Bundesamt übergeht, vgl. § 24 Abs. 2 i.V.m. §§ 5 Abs. 1 Satz 2, 13 Abs. 2 und 3, 14 (insbesondere Abs. 2 Satz 2), 19 Abs. 1, 20, 31 Abs. 3 Satz 1, 71 Abs. 2 AsylVfG.

Über den Wortlaut des § 50 Abs. 3 Satz 2 AuslG hinaus war in einer ausländerrechtlichen Abschiebungsandrohung auch zu benennen, wenn der Ausländer wegen eines zwingenden Abschiebungshindernisses nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG in einen bestimmten Staat nicht abgeschoben werden darf (vgl. BVerwG, Urteile vom 19. November 1996 - 1 C 6.95 -, BVerwGE 102, 249, und vom 15. April 1997 - 9 C 19.96 -, BVerwGE 104, 260; vgl. jetzt § 59 Abs. 3 Satz 2 AufenthG).

Auf § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG kann sich der Kläger vorliegend nicht mit Erfolg berufen.

Gefahren, die sich als politische Verfolgung darstellen, sind im Rahmen der Prüfung von § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG nicht zu berücksichtigen (vgl. OVG Berlin, Urteil vom 6. Juni 1995 - 8 B 32.95 -, und Beschluss vom10. Februar 1995 - 8 S 58.95 -; Hamburgisches OVG, Beschluss vom 17. Oktober 1995 - Bs V 27/95 -; jeweils JURIS; offen gelassen: BVerwG, Beschluss vom 3. Dezember 1997 - 1 B 219.97 -, InfAuslR 1998, 191).

Nach der Konzeption des Ausländer-/Asylrechts erfolgt die Prüfung von Lebenssachverhalten, die eine politische Verfolgung begründen sollen, ausschließlich durch das Bundesamt in einem Asylverfahren. Soweit hierzu in der Rechtsprechung mit Hinweis auf angebliche (gerichtliche) Schutzlücken eine andere Ansicht vertreten wird (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 10. Juli 2002 - 13 S 1871/01 -, JURIS), vermag die Kammer dem jedenfalls in einer Fallkonstellationen wie der vorliegenden nicht zu folgen. Solche Schutzlücken gibt es nicht, wenn - wie hier - der Ausländer sich auf politische Verfolgung beruft und dies in dem dafür vorgesehenen Verfahren vor dem Bundesamt geltend machen konnte und kann. Im Gegenteil obliegt es dem Schutzsuchenden, im Falle eines Asylantrags nach § 13 Abs. 1 AsylVfG diesen auch förmlich bei der zuständigen Stelle nach § 14 AsylVfG zu stellen. Es steht nicht im Belieben des Schutzsuchenden, sich zwar einerseits auf ein Bleiberecht wegen Gefahren zu berufen, die politische Verfolgung darstellen, sich aber (je nach taktischen Überlegungen) entgegen den gesetzlichen Vorgaben z.B. von §§ 13 Abs. 3, 14 Abs. 1, 22 Abs. 1, 23 Abs. 1 AsylVfG den besonderen Regelungen und auch Einschränkungen des Asylverfahrensrechts zu entziehen. § 13 Abs. 1 AsylVfG definiert, dass ein Asylantrag (bereits) dann vorliegt, wenn ein Ausländer - in welcher Form auch immer - im Bundesgebiet Schutz vor politischer Verfolgung oder der Abschiebung bzw. sonstigen Rückführung in einen Staat sucht, in dem ihm Gefahren im Sinne von § 60 Abs. 1 AufenthG (früher: § 51 Abs. 1 AuslG) drohen. § 14 Abs. 1 und 2 AsylVfG regelt - wie auch die amtliche Überschrift verdeutlicht - lediglich, bei welcher Stelle "der Asylantrag" zu stellen "ist" und dass ein bei der Ausländerbehörde schriftlich gestellter Asylantrag (im Sinne von § 13 Abs. 1 AsylVfG) dem Bundesamt zuzuleiten ist. Bereits mit Vorliegen eines Asylantrags im Sinne von § 13 Abs. 1 AsylVfG - und nicht erst mit der "Stellung" des Asylantrags bei der zuständigen Stelle nach § 14 AsylVfG - beginnt ein Asylverfahren mit der Folge, dass der Aufenthalt des Ausländers "zur Durchführung des Asylverfahrens" gestattet ist, § 55 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG. Dies ergibt sich aus der gesetzlichen Regelung des § 67 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 AsylVfG, wonach die (kraft Gesetzes entstandene) Aufenthaltsgestattung erlischt, wenn der Ausländer innerhalb von zwei Wochen, nachdem er um Asyl nachgesucht hat, noch keinen Asylantrag (bei der zuständigen Stelle) gestellt hat, sie aber wieder in Kraft tritt, wenn er (verspätet) den förmlichen Asylantrag im Sinne von § 14 AsylVfG stellt. Diese gesetzliche Konzeption sichert einen wirksamen Schutz eines Ausländers vor Rückführung in ein Land, in dem ihm Gefahren drohen, die sich als politische Verfolgung darstellen. Für einen doppelten Rechtsschutz, nämlich zunächst nach den allgemeinen ausländerrechtlichen und dann - im Falle der Erfolglosigkeit - nach asylrechtlichen Regelungen besteht grundsätzlich keinerlei Notwendigkeit. Ob ein Ausländer ausnahmsweise dann nicht auf ein (förmliches) Asylverfahren und die Prüfung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG (früher: Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG) durch das Bundesamt verwiesen werden kann, wenn ein förmlicher Asylantrag (offenkundig) keinen Erfolg haben kann (vgl. z.B. § 60 Abs. 8 AufenthG, § 51 Abs. 3 AuslG), bedarf vorliegend keiner Entscheidung, da ein solcher Fall nicht vorliegt. Insbesondere war im November 2003 nicht davon auszugehen, dass - wie der Kläger vortragen lässt - ein förmlicher Asylantrag an der damals fehlenden Staatlichkeit oder "Quasi-Staatlichkeit" in Afghanistan scheitern musste, da diese Frage in der obergerichtlichen Rechtsprechung zu diesem Zeitpunkt nicht geklärt war (vgl. z.B. OVG NRW, Urteil vom 20. März 2003 - 20 A 4329/97.A -, und OVG Hamburg, Urteil vom 11. April 2003 - 1 Bf 104.01.A -, zitiert nach VG Berlin, Urteil vom 5. März 2004 - 33 X 251.03 -, JURIS; vgl. ausführlich zu dieser Frage in den Jahren 2004/2005: VGH Hessen, Urteil vom 10. Februar 2005 - 8 UE 185/02.A -, JURIS; vgl. allgemein: Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Kammerbeschluss vom 10. August 2000 - 2 BvR 260/98 und 2 BvR 1353/98 -, InfAuslR 2000, 521, nachfolgend BVerwG, Beschluss vom 20. Februar 2001 - 9 C 21.00 -, InfAuslR 2001, 306).