VG Lüneburg

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Zitieren als:
VG Lüneburg, Urteil vom 07.02.2006 - 1 A 695/03 - asyl.net: M8124
https://www.asyl.net/rsdb/M8124
Leitsatz:
Schlagwörter: Afghanistan, Kommunisten, Racheakte, Leibwächter, Militärangehörige, Warlords, Schutzfähigkeit
Normen: AufenthG § 60 Abs. 7
Auszüge:

Die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegen vor.

Für den Kläger besteht im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan eine einzelfallbezogene, individuell bestimmte und erhebliche Gefährdungssituation, die nicht auf einer allgemeinen Gefahr beruht, von der eine ganze Bevölkerungsgruppe oder die gesamte Bevölkerung betroffen ist und die grundsätzlich kein Abschiebungsverbot im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG begründen kann, weil sie nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG allein von der obersten Landesbehörde im Rahmen ihrer Entscheidungsbefugnis nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen wäre.

Nach der Auskunftslage kann eine Gefährdung - auch an Leib und Leben - hochrangiger früherer Repräsentanten der DVPA bzw. herausragender Militärs und Polizeirepräsentanten sowie des Geheimdienstes Khad der kommunistischen Zeit durch Teile der Bevölkerung als mögliche Reaktion auf frühere Menschenrechtsverletzungen nicht ausgeschlossen werden. Auch für Personen, die an exponierter Stelle innerhalb des kommunistischen Regimes tätig waren, besteht die Gefahr, dass ehemalige Mudjaheddin - Kommandanten, die zu einem großen Teil auch im Kabinett Karzai vertreten sind, auf sie aufmerksam werden und ihnen mit Repressalien drohen. Es bestehen Hinweise darauf, dass einzelne Regierungsmitglieder in eigener Verantwortung Verfolgung, Repression und auch Tötung ehemaliger Feinde gutheißen. Private Racheakte gegen hochrangige ehemalige Repräsentanten des kommunistischen Systems könnten nicht ausgeschlossen werden. Einige ehemalige Kommunisten, die sich zurzeit in Kabul aufhalten, können dies nur deshalb gefahrlos tun, weil sie über entsprechende Netzwerke und Kontakte, auch zu Regierungsvertretern verfügen. Ohne diese Absicherung wäre der gefahrlose Aufenthalt in der Hauptstadt undenkbar. Die Zentralregierung verfügt nicht über die notwendigen Machtmittel, um ihre Bürger in ausreichendem Maße zu schützen. Der Einfluss der Zentralregierung ist in zahlreichen Provinzen begrenzt bzw. praktisch nicht vorhanden (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht für die Islamische Republik Afghanistan vom 29. November 2005, S. 21).

Das Gericht geht davon aus, dass der Kläger als Leibwächter eines hochrangigen Militärs zu Zeiten des kommunistischen Regimes, nämlich des Kommandanten General ... ebenso wie die exponierte Person des kommunistischen Regimes selbst einer Gefahrenlage mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan ausgesetzt ist.