VG Arnsberg

Merkliste
Zitieren als:
VG Arnsberg, Urteil vom 29.05.2006 - 14 K 1035/05.A - asyl.net: M8482
https://www.asyl.net/rsdb/M8482
Leitsatz:
Schlagwörter: Türkei, Terrorismusvorbehalt, Gefahr für die Allgemeinheit, Terrorismus, DHKP-C, Wiederholungsgefahr, Folter, EMRK, Europäische Menschenrechtskonvention, Situation bei Rückkehr
Normen: AufenthG § 60 Abs. 1; AufenthG § 60 Abs. 8; AufenthG § 60 Abs. 2; AufenthG § 60 Abs. 5
Auszüge:

Das Bundesamt hat die Asylanerkennung des Klägers zu Recht widerrufen; ebenfalls zu Recht hat es festgestellt, dass weder die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG noch die Tatbestände des § 60 Abs. 2 ff AufenthG erfüllt sind.

Der Bescheid des Bundesamtes vom 25. April 2005 findet seine rechtliche Grundlage in § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG.

Im Falle des Klägers greift § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG ein. Der Kläger ist wegen mehrerer Verbrechen, diese teilweise tateinheitlich begangen, zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden, die das in § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG bezeichnete Maß um mehr als das Dreifache überschreitet. Allein die Straftaten und das Maß der anschließenden Bestrafung sind zwar für sich genommen kein zureichender Grund, dem Kläger das Asylrecht und den Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 1 AufenthG zu nehmen. § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG verlangt vielmehr die Feststellung, dass der betreffende Ausländer gerade in Ansehung der von ihm begangenen Straftat eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet. Im Falle des Klägers ist die Kammer davon überzeugt, dass der Kläger aufgrund seines in der Vergangenheit an den Tag gelegten Verhaltens in Verbindung mit der Art und Weise, in der er sich gegenwärtig präsentiert, weiterhin eine Gefahr für die Allgemeinheit ist.

Dieser Einschätzung steht zunächst nicht entgegen, dass das OLG Hamburg die Vollstreckung eines Rests der Freiheitsstrafe, zu welcher der Kläger verurteilt worden ist, zur Bewährung ausgesetzt hat. Eine Strafaussetzung zur Bewährung begründet zwar ein gewichtiges Indiz gegen das Bestehen einer Wiederholungsgefahr; es ist indessen nicht statthaft, die Bewährungsaussetzung gleichsam als eine Vermutung für die Ungefährlichkeit anzusehen, die im Einzelfall widerlegt werden müsse (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 16. November 2000 - C 6.00 -, BVerwGE Band 112 S. 185 = DVBl 2001 S. 483).

Im vorliegenden Fall ist die Kammer aufgrund einer Gesamtschau aller für und wider den Kläger sprechenden Momente davon überzeugt, dass der Kläger (weiterhin) eine Gefahr für die Allgemeinheit darstellt.

Auch der Bescheid des Bundesamtes vom 4. August 2005 ist rechtens. Namentlich droht dem Kläger in der Türkei nicht die Gefahr der Folter im Sinne von § 60 Abs. 2 AufenthG. Auch die Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) steht einer Abschreibung nicht entgegen (§ 60 Abs. 5 AufenthG). Bei dieser Beurteilung stützt sich die Kammer auf folgende Erwägungen:

Zunächst ist nicht einmal zu erwarten, dass der Kläger im Falle seiner Rückkehr in die Türkei für die dortigen Sicherheitskräfte noch von besonderem Interesse ist. Die Straftaten, für deren Begehung er in der Türkei verurteilt worden war, liegen bald 25 Jahre zurück.

Selbst wenn im Übrigen ein gewisses "Restrisiko" besteht, dass der Kläger bei seiner Rückführung in die Türkei dort festgenommen und vor Gericht gestellt wird, ist eine konkrete Gefahr, der Kläger könne der Folter unterworfen werden, nicht gegeben. Das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (vgl. das Urteil vom 26. Mai 2004 - 8 A 3852/03.A -) hat in seinem "Kaplan-Urteil" Folgendes festgestellt: ...

Diese Überlegungen des Oberverwaltungsgerichts sind - wenn auch mit Einschränkungen - auf den vorliegenden Fall übertragbar. Denn der Kläger ist nach seinem Bekanntheitsgrad gewiss nicht mit dem "Kalifen von Köln" zu vergleichen. Gleichwohl wird aufgrund seiner weit verzweigten Kontakte in Westeuropa und seiner Verbindungen zu mehreren Rechtsanwaltskanzleien hier und in der Türkei damit zu rechnen sein, dass sein weiteres Schicksal nach einer Abschiebung aus mehreren Richtungen unabhängig voneinander intensiv beobachtet wird. Ein "Verschwindenlassen" des Klägers in einem namenlosen Gefängnis im Osten der Türkei, in welchem er der Gefahr menschenrechtswidriger Übergriffe durch das Wachpersonal ausgesetzt sein könnte, ist ausgeschlossen.