VG Düsseldorf

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Zitieren als:
VG Düsseldorf, Urteil vom 15.03.2006 - 15 K 4107/05.A - asyl.net: M8553
https://www.asyl.net/rsdb/M8553
Leitsatz:
Schlagwörter: Asylantrag, Antragsfiktion, Kinder, in Deutschland geborene Kinder, Zuwanderungsgesetz, Übergangsregelung, Rückwirkung, Altfälle, Serbien und Montenegro, Kosovo, Ashkali, allgemeine Gefahr, extreme Gefahrenlage
Normen: AsylVfG § 14a Abs. 2; AufenthG § 60 Abs. 1; AufenthG § 60 Abs. 7
Auszüge:

Die Klage ist auch begründet. Der Bescheid des Bundesamtes vom 1. September 2005 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin zu 6. in eigenen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Die Ablehnung des Asylantrages, die weiteren Feststellungen zu Abschiebungsverboten und damit auch der Erlass der Abschiebungsandrohung finden in der Rechtsordnung keine Stütze.

Dem Bundesamt stand hinsichtlich sämtlicher Regelungen des Bescheides mangels wirksamer Antragstellung keine Entscheidungsbefugnis zu.

Entgegen der Rechtsauffassung des Bundesamtes ergibt sich die Fiktion eines Asylgesuchs auch nicht aus § 14a Abs. 2 S. 3 AsylVfG.

Zwar ist der durch Artikel 3 Nr. 10 des Gesetzes zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung und zur Regelung des Aufenthalts und der Integration von Unionsbürgern und Ausländern (Zuwanderungsgesetz) vom 30. Juli 2004 (BGBl. I S. 1950) in das Asylverfahrensgesetz eingefügte § 14a AsylVfG gemäß Artikel 15 Abs. 3 Hs. 1 Zuwanderungsgesetz zum 1. Januar 2005 in Kraft getreten und seither geltendes Recht.

Doch ist der Aufenthalt der Klägerin nicht nach § 14a Abs. 2 S. 2 AsylVfG anzeigepflichtig, weil die Anwendbarkeit des § 14a Abs. 1 S. 1 AsylVfG tatbestandlich die Einreise des Kindes in das Bundesgebiet oder seine Geburt im Bundesgebiet nach dem 31. Dezember 2004 voraussetzt.

So schon Beschluss der Kammer vom 13. Juli 2005, 15 L 1308/05.A; im Ergebnis ebenso: Verwaltungsgericht Düsseldorf , Beschluss vom 14. Juli 2005, 7 L 1241/05.A, Gerichtsbescheid vom 26. Juli 2005, 8 K 2524/05.A; Verwaltungsgericht Göttingen, Beschluss vom 17. März 2005, 3 B 272/05, Ausländer- und asylrechtlicher Rechtsprechungsdienst (AuAS) 2005, 117 ff und juris-Nr.: MWRE105490500; a. A.: Verwaltungsgericht Düsseldorf, Beschluss vom 22. Juni 2005, 14 L 1121/05.A (nicht veröffentlicht); Urteil vom 6. November 2005 - -18 K 4283/05.A -.

Einem anderen Verständnis steht jedenfalls der eindeutige Wortlaut der Norm entgegen. Nach ihrer sprachlichen Fassung bezieht die Vorschrift sich nur auf Kinder, die in das Bundesgebiet einreisen oder im Bundesgebiet geboren werden, und nicht auf solche, die bereits in das Bundesgebiet eingereist oder hier geboren sind. Der in der Formulierung zukunftsgewandt ausgestaltete Tatbestand des § 14a Abs. 2 S. 1 AsylVfG erfasst nach seinem Wortsinn unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die Vorschrift erst zum 1. Januar 2005 in Kraft getretenen ist, also nicht Kinder von Ausländern, die am zu diesem Zeitpunkt bereits in das Bundesgebiet eingereist oder hier geboren waren.

Auf solche Fälle ist der Anwendungsbereich des § 14a Abs. 2 S. 1 AsylVfG über seinen Wortlaut hinaus auch nicht im Wege der Auslegung zu erstrecken. Wobei hier ohnehin der Wortsinn als Grenze der Auslegung zu berücksichtigen wäre. - Schon angesichts der sprachlich klaren Fassung deutet alles darauf hin, dass der Gesetzgeber den Anwendungsbereich des § 14a Abs. 2 S. 1 AsylVfG tatsächlich hat auf die Fälle beschränken wollen, die die Norm ihrem Wortlaut nach erfasst. Andernfalls hätte es auch und gerade in Anbetracht der möglichen asyl- und ausländerrechtlichen Folgen eines Verzichts auf die Durchführung eines Asylverfahrens (vgl. § 14a Abs. 3 AsylVfG) oder eines ohne Erfolg durchgeführten Asylverfahrens (vgl. dazu im Einzelnen: Verwaltungsgericht Göttingen, a. a. O.) jedenfalls nahe gelegen - wenn dies denn nicht sogar rechtsstaatlich geboten gewesen wäre - entweder den Tatbestand des § 14a Abs. 2 S. 1 AsylVfG offen zu formulieren oder eine Regelung zu schaffen, die die Anwendung des § 14a Abs. 2 S. 1 AsylVfG und damit die Fiktion der Asylantragstellung nach § 14 Abs. 2 S. 3 AsylVfG auch für Kinder vorschreibt, die bereits vor dem 1. Januar 2005 in das Bundesgebiet eingereist oder hier geboren waren.

Dieses Auslegungsergebnis bestätigt der Gesetzeszweck, der nicht dazu verpflichtet, den Anwendungsbereich des § 14a Abs. 2 S. 1 AsylVfG entgegen seinem Wortlaut auf solche "Altfälle" zu erstrecken. Nach der amtlichen Begründung zu § 14a AsylVfG) (BT-Drucks. 15/ 420 [108]) verhindert die Fiktion der Asylantragstellung für Kinder, "... dass durch sukzessive Asylantragstellung überlange Aufenthaltszeiten in Deutschland ohne aufenthaltsrechtliche Perspektive für die Betroffenen entstehen ..." und macht "... auch die in der Vergangenheit regelmäßig als notwendig erachtete Altfall- und Härtefallregelungen weitgehend ..." entbehrlich. Dass dieser Zweck des § 14a Abs. 2 S. 1 AsylVfG verfehlt würde, wenn man die Regelung allein ihrem Wortlaut entsprechend anwendet, ist nicht ersichtlich (Beschluss der Kammer vom 26. Juli 2005 - 15 L 1422/05.A -).