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Zitieren als:
BVerwG, Urteil vom 26.10.2006 - 5 C 7/05 - asyl.net: M9876
https://www.asyl.net/rsdb/M9876
Leitsatz:
Schlagwörter: D (A), Jugendhilfe, Kinder- und Jugendhilfe, Zuständigkeit, örtliche Zuständigkeit, Jugendhilfeträger, Kostenerstattung, Erstattungsanspruch, Asylbewerber, abgelehnte Asylbewerber
Normen: SGB VIII 89d Abs. 1; SGB VIII § 89d Abs. 2; SGB VIII 89 h; SGB VIII 86 Abs. 7; SGB 86c
Auszüge:

Die Revision des Klägers und der Beigeladenen, über die das Bundesverwaltungsgericht im Einverständnis der Beteiligten gemäß § 141 Satz 1 i.V.m. § 125 Abs. 1 Satz 1 und § 101 Abs. 2 VwGO ohne (weitere) mündliche Verhandlung entscheiden kann, ist begründet.

Nach der den Beteiligten bereits in dem Beschluss vom 4. Juli 2006 dargelegten Rechtsauffassung des Senats ist die Revision begründet, da dem Kläger der geltend gemachte Kostenerstattungsanspruch nach § 89d SGB VIII (1996) zusteht, und zwar ausgehend entweder von einer Zuständigkeit des Klägers nach § 86 Abs. 7 SGB VIII (1996) oder - alternativ - von seiner fortdauernden Leistungsverpflichtung nach § 86c SGB VIII.

1. Die Voraussetzungen des Kostenerstattungsanspruches nach § 89d SGB VIII (1996) liegen vor. Dem in die Bundesrepublik Deutschland unbegleitet eingereisten, in Äthiopien geborenen Hilfeempfänger wurde innerhalb eines Monats nach der Einreise Jugendhilfe gewährt, und der Beklagte ist durch Entscheidung des Bundesverwaltungsamts vom 23. Oktober 1995 als zur Kostenerstattung verpflichteter überörtlicher Träger bestimmt worden. Der Kläger ist auch zur Geltendmachung des Kostenerstattungsanspruches aus § 89d SGB VIII (1996) berechtigt, da er als örtlicher Jugendhilfeträger in Erfüllung seiner Aufgaben den Vorschriften des Achten Buches Sozialgesetzbuch entsprechend Leistungen erbracht und damit Kosten aufgewendet hat, so dass dem Gebot der Gesetzeskonformität des § 89f Abs. 1 Satz 1 SGB VIII genügt ist, wonach die aufgewendeten Kosten zu erstatten sind, "soweit die Erfüllung der Aufgaben den Vorschriften dieses Buches entspricht".

2. Es kann für die Entscheidung des Falles offenbleiben, ob die örtliche Zuständigkeit des Klägers aus § 86 Abs. 7 SGB VIII (1996) folgt. Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob diese Vorschrift auch nach dem rechtskräftigen Abschluss eines Asylverfahrens anwendbar ist. Der Anwendungsbereich der Vorschrift hängt von der Auslegung des Begriffs "Asylsuchender" ab. Hierbei kommen zwei verschiedene Interpretationen in Betracht. Zum einen kann der Begriff des Asylsuchenden - wie von der Vorinstanz angenommen - eng ausgelegt werden, so dass nur für die Dauer des noch nicht rechtskräftig abgeschlossenen Asylverfahrens die Zuständigkeit sich nach der Zuweisungsentscheidung richtet. Zum anderen kann der Begriff als Oberbegriff verstanden werden, so dass unabhängig von Dauer und Ausgang des Asylverfahrens die Vorschrift auf alle Personen anwendbar ist, die um Asyl nachsuchen bzw. nachgesucht haben. Schließlich ist auch denkbar, dass diesem Tatbestandsmerkmal eine zuständigkeitsbegründende, nicht aber zugleich auch eine zuständigkeitsbeendende Funktion zukommt, welcher Gedanke der Neuregelung des § 86 Abs. 7 SGB VIII durch das Zweite Gesetz zur Änderung des Elften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XI) und anderer Gesetze vom 29. Mai 1998 (BGBl I S. 1188) zu Grunde liegt. Diese Auslegungsfragen, die infolge der Novellierung des § 86 SGB VIII im Jahre 1998 ausgelaufenes Recht betreffen, bedürfen im vorliegenden Streitfall keiner Entscheidung, da der Kostenerstattungsanspruch des Klägers gegen den Beklagten als vom Bundesverwaltungsamt zur Kostenerstattung verpflichteten überörtlichen Träger sowohl bei - unterstellter - fortbestehender Zuständigkeit des Klägers nach § 86 Abs. 7 SGB VIII (1996) über den Abschluss des Asylverfahrens hinaus wie bei dem von der Vorinstanz angenommenen Wegfall der Zuständigkeit des Klägers und - erneutem - Zuständigwerden der Beigeladenen auf der Grundlage des § 86 Abs. 4 SGB VIII besteht.

Geht man - wie das Verwaltungsgericht - davon aus, dass die örtliche Zuständigkeit des Klägers auch nach Abschluss des Asylverfahrens auf der Grundlage der Zuweisungsentscheidung vom 1. Juli 1993 fortbestanden hat, sind die rechtlichen Voraussetzungen des geltend gemachten Kostenerstattungsanspruches zweifelsfrei erfüllt; gegen die Richtigkeit des vom Kläger vorgelegten Zahlenwerkes hat auch der Beklagte keine Einwendungen erhoben. Geht man umgekehrt davon aus, dass der Kläger mit bestandskräftigem Abschluss des Asylverfahrens nicht mehr nach § 86 Abs. 7 Satz 1 SGB VIII (1996) zuständig war, so steht dies einem Kostenerstattungsanspruch des Klägers gleichwohl nicht entgegen. Zwar setzt ein Erstattungsanspruch eine - im Einklang mit dem Gesetz stehende - Aufgabenerfüllung voraus (§ 89f SGB VIII). Der Kläger ist aber, wenn er nicht mehr nach § 86 Abs. 7 SGB VIII (1996) zuständig gewesen sein sollte, jedenfalls nach § 86c SGB VIII als bisher zuständiger örtlicher Träger zur Gewährung der Leistung weiter verpflichtet geblieben, weil die dann zuständig gewordene Beigeladene die Leistung (trotz Bitte des Klägers um Übernahme) nicht fortgesetzt hat. Der Kläger hat also die Leistungen, deren Erstattung er verlangt, auch bei Wegfall der Zuständigkeit nach § 86 Abs. 7 SGB VIII (1996) im Einklang mit dem Gesetz erbracht, nämlich aufgrund seiner fortdauernden Leistungsverpflichtung nach § 86c SGB VIII.