VG Schleswig-Holstein

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Zitieren als:
VG Schleswig-Holstein, Urteil vom 19.10.2006 - 4 A 57/05 - asyl.net: M9884
https://www.asyl.net/rsdb/M9884
Leitsatz:
Schlagwörter: Verfahrensrecht, abgelehnte Asylbewerber, offensichtlich unbegründet, Ablehnungsbescheid, isolierte Anfechtungsklage, Rechtsschutzinteresse, allgemeine Erteilungsvoraussetzungen, Aserbaidschan, Staatsangehörigkeit, Identitätstäuschung, Staatsangehörigkeit ungeklärt, Armenier
Normen: AsylVfG § 30 Abs. 3; AsylVfG § 36 Abs. 1; AufenthG § 10 Abs. 3 S. 2; AufenthG § 60 Abs. 1
Auszüge:

Die nach der Teilrücknahme verbliebene Klage ist nur insoweit zulässig, als sich der Offensichtlichkeitsausspruch des Bundesamtes im Bescheid vom 18.03.2005 in Ziffer 1) und 2) auf § 30 Abs. 3 AsylVfG stützt.

Nach der bis zum Inkrafttreten des Aufenthaltsgesetzes am 01.01.2005 geltenden Rechtslage wäre die Klage insgesamt unzulässig gewesen, weil im asylrechtlichen Hauptsacheverfahren kein Raum für eine isolierte gerichtliche Aufhebung des Offensichtlichkeitsausspruches iSd §§ 30, 36 Abs. 1 AsylVfG bestand. Danach war die Überprüfung dieses Ausspruches grundsätzlich und ausschließlich dem Eilverfahren nach § 36 Abs. 4 AsylVfG iVm § 80 Abs. 5 VwGO vorbehalten. Ernsthafte Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Offensichtlichkeitsausspruches führten zur gerichtlichen Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage und zur gesetzlich angeordneten Verlängerung der Ausreisefrist auf einen Monat (§ 37 Abs. 2 AsylVfG). Damit wurde der betroffene Asylbewerber verfahrensmäßig mit denjenigen Asylbewerbern gleichgestellt, deren Antrag nur als einfach unbegründet abgelehnt worden ist. Im Übrigen bedurfte es wegen des Offensichtlichkeitsausspruches im Hauptsacheverfahren keiner weiteren Differenzierung, insbesondere die Abschiebungsandrohung unterlag keinen besonderen Voraussetzungen. Dies galt auch dann, wenn auf einen Antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO verzichtet wurde oder dieser erfolglos blieb (BVerwG, Beschluss vom 17.02.1986 - 1 B 30/86 -, in DVBl. 1986, 518 = DÖV 1986, 611 und in JURIS).

Dieser Rechtsprechung ist prinzipiell weiterhin zu folgen, da sich an der asylverfahrensrechtlichen Konzeption nichts geändert hat. Im Hinblick auf den neu gefassten § 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG und den späteren Aufenthaltsstatus des abgelehnten Asylbewerbers würde diese Rechtsprechung allerdings zu einer Rechtsschutzlücke führen für den Fall, dass "der Asylantrag nach § 30 Abs. 3 AsylVfG abgelehnt wurde", weil dann vor der Ausreise kein Aufenthaltstitel erteilt werden dürfte. Das auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Asylklage gerichtete Eilverfahren führt zwar zu einer Überprüfung des Offensichtlichkeitsausspruches des Bundesamtes, schafft diesen jedoch nicht aus der Welt. Auch eine ausländerbehördliche oder gerichtliche Überprüfung des Offensichtlichkeitsausspruches im Verfahren auf Erteilung eines Aufenthaltstitels käme nach dem Wortlaut des § 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG nicht in Frage, demzufolge es nicht auf das Vorliegen der Voraussetzungen des § 30 Abs. 3 AsylVfG ankommt, sondern auf die bloße Tatsache der Ablehnung des Asylantrages nach § 30 Abs. 3 AsylVfG. Diese Rechtsschutzlücke lässt sich nur durch einen im Hauptsacheverfahren (hilfsweise) formulierten Aufhebungsantrag schließen (vgl. Dienelt, ZAR 2005, 120, 123; Discher in GK-AufenthG, § 10 Rn. 160, 166, 168 f.; VG Stuttgart, Urteil vom 13.04.2005 - A 11 K 1120/03 - und VG Regensburg, Urteil vom 13.01.2006 - RO 4 K 04.30179 -, beide in JURIS).

Das Rechtsschutzinteresse an der Aufhebung des Offensichtlichkeitsausspruches kann allerdings nur soweit reichen, wie auch die Sperrwirkung des § 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG reicht, mithin sich nur auf eine Ablehnung als offensichtlich unbegründet beziehen, die konkret auf § 30 Abs. 3 AsylVfG gestützt ist. Maßgeblich dafür, ob der Asylantrag gerade wegen § 30 Abs. 3 AsylVfG abgelehnt wurde, ist der Inhalt des Bundesamtsbescheides; dieser muss sich ausdrücklich auf § 30 Abs. 3 AsylVfG beziehen. Lässt der Bescheid die Rechtsgrundlage hingegen offen, kann § 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG nicht zur Anwendung kommen, es sei denn, es ergibt sich aus der Begründung eindeutig, dass der Offensichtlichkeitsausspruch (auch) auf zumindest einen der in § 30 Abs. 3 AsylVfG erwähnten Gründe beruht (Discher, aaO, Rn. 152 ff. mwN).

Dies ist vorliegend der Fall. Das Bundesamt weist am Ende der Prüfung von § 60 Abs. 1 AufenthG ausdrücklich sowohl auf § 30 Abs. 1 als auch auf § 30 Abs. 3 Nr. 1, 2 und 5 AsylVfG hin. Der in der Literatur geäußerten Auffassung, dass die Sperrwirkung des § 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG nicht ausgelöst werde, wenn der Offensichtlichkeitsausspruch sowohl auf Absatz 1 als auch auf Absatz 3 des § 30 AsylVfG beruhe (so Dienelt, aaO, S. 121), kann nicht gefolgt werden. § 30 Abs. 3 AsylVfG enthält keine eigenen Ablehnungsgründe, sondern setzt einen einfach unbegründeten Asylantrag voraus, der nur deshalb als offensichtlich unbegründet abgelehnt wird, weil der Asylbewerber bestimmte Mitwirkungspflichten verletzt hat. Erweist sich der Asylantrag schon in der Sache als offensichtlich unbegründet, wird die Ablehnung (auch) auf § 30 Abs. 1, 2 oder 4 AsylVfG gestützt. Die aufenthaltsrechtlichen Möglichkeiten nach Abschluss des Asylverfahrens können sich aber nicht für denjenigen schlechter darstellen, dessen Ablehnung als offensichtlich unbegründet nur auf § 30 Abs. 3 AsylVfG beruht, während derjenige, dessen Asylantrag schon in der Sache als offensichtlich unbegründet beschieden wurde und der zusätzlich Mitwirkungspflichten iSd § 30 Abs. 3 AsylVfG verletzt hat, der Sperrwirkung des § 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG nicht unterfällt.

Soweit die Klage zulässig ist, ist sie auch begründet.