BVerwG

Merkliste
Zitieren als:
BVerwG, Urteil vom 21.03.2000 - BVerwG 1 C 23.99 - asyl.net: R4845
https://www.asyl.net/rsdb/R4845
Leitsatz:

Der Erteilung einer Duldung nach § 55 Abs. 2 AuslG wegen Unmöglichkeit der Abschiebung aus tatsächlichen Gründen steht nicht entgegen, dass die Identität des Ausländers ungeklärt ist. (amtlicher Leitsatz)

Schlagwörter: D (A), Abschiebungsandrohung, Duldung, Tatsächliche Unmöglichkeit, Aussetzung der Abschiebung, Ausweispflicht, Identitätstäuschung, Identität ungeklärt, Identitätsfeststellung, Staatsangehörigkeit ungeklärt, Ausweisersatz, unzulässige Rechtsausübung
Normen: AuslG § 55 Abs. 2; AuslG § 41 Abs. 1
Auszüge:

Der Kläger hat nach § 55 Abs. 2 AuslG einen Anspruch auf Erteilung einer Duldung. Nach dieser Vorschrift wird einem Ausländer eine Duldung erteilt, solange seine Abschiebung aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich ist oder nach § 53 Abs. 6 oder § 54 AuslG ausgesetzt werden soll. Hier kommt allein eine Duldung wegen tatsächlicher Unmöglichkeit der Abschiebung in Betracht. Für die Erteilung einer Duldung nach § 55 Abs. 2, 2. Alternative AuslG kommt es nicht darauf an, ob der Ausländer es zu vertreten hat, daß er wegen seiner ungeklärten Identität nicht abgeschoben werden kann. Die Vorschrift stellt nach ihrem Wortlaut nur darauf ab, ob die Abschiebung des Ausländers aus tatsächlichen Gründen unmöglich ist. Weder die Funktion der Duldung noch die gesetzliche Systematik spricht dafür, daß die Erteilung einer Duldung von weiteren Voraussetzungen, insbesondere von Umständen abhängen soll, die in der Sphäre des Ausländers liegen. Auch den Gesetzesmaterialien lassen sich keine entsprechenden Anhaltspunkte entnehmen. Maßgeblich ist allein, ob der Abschiebung tatsächliche Hindernisse entgegenstehen, die es der Ausländerbehörde unmöglich machen, ihrer Abschiebeverpflichtung nachzukommen (vgl. hierzu und zum folgenden: Urteil vom 25. September 1997 - BVerwG 1 C 3.97 - BVerwGE 105, 232 234 ff.>). Wie in dem genannten Urteil im einzelnen ausgeführt wird, läßt die Systematik des Ausländergesetzes grundsätzlich keinen Raum für einen ungeregelten Aufenthalt. Vielmehr geht das Gesetz davon aus, daß ein ausreisepflichtiger Ausländer entweder abgeschoben wird oder zumindest eine Duldung erhält. Die tatsächliche Hinnahme des Aufenthalts außerhalb förmlicher Duldung, ohne daß die Vollstreckung der Ausreisepflicht betrieben wird, sieht das Gesetz nicht vor. Dem Verwaltungsgerichtshof ist nicht darin zu folgen, daß ein in dem dargestellten Sinne ungeregelter Aufenthalt ausnahmsweise hinzunehmen ist, wenn ein Ausländer seine Identität bewußt verschleiert. Damit überträgt der Verwaltungsgerichtshof auf das Vollstreckungsrecht wertende Elemente, die in ihm nicht angelegt sind (vgl. Urteil vom 25. September 1997, a.a.O., S. 236 f.). Soweit er als Beispiel für einen ungeregelten Aufenthalt auf "den Zustand während der Ausreisefrist nach Ablehnung einer Aufenthaltserlaubnis" verweist, läßt sich aus dieser - gesetzlich geregelten - Konstellation (vgl. § 42 Abs. 3, § 50 Abs. 1 Satz 1 AuslG) nichts für eine von der gesetzlichen Systematik abweichende Ausnahme im vorliegenden Zusammenhang herleiten. Erst bei der Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis nach § 30 Abs. 3 AuslG kommt es darauf an, ob der Ausländer Hindernisse zu vertreten hat, die der Abschiebung entgegenstehen.

Aufgrund dieser Erwägungen unterliegt der Anspruch auf Erteilung einer Duldung bei einer Fallgestaltung wie hier nicht dem Einwand der unzulässigen Rechtsausübung, den der Verwaltungsgerichtshof für entscheidungserheblich erachtet, jedoch weder grundsätzlich noch fallbezogen näher erörtert hat. Ob und unter welchen Umständen dies überhaupt in Betracht zu ziehen sein könnte, ist hier nicht zu entscheiden. Der Umstand, daß die Duldung als gesetzlich vorgeschriebene förmliche Reaktion auf ein Vollstreckungshindernis unabhängig von einem Antrag des Ausländers zu erteilen ist, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen des § 55 Abs. 2 AuslG vorliegen, spricht dafür, daß der Einwand unzulässiger Rechtsausübung jedenfalls in aller Regel nicht durchgreift.

Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs steht § 41 Abs. 1 AuslG bei ungeklärter Identität eines Ausländers nicht der Erteilung einer Duldung entgegen. Nach dieser Vorschrift sind die zur Feststellung der Identität oder der Staatsangehörigkeit des Ausländers erforderlichen Maßnahmen zu treffen, wenn Zweifel über die Person oder die Staatsangehörigkeit des Ausländers bestehen. Unter dieser Voraussetzung ist die Behörde demnach zu Aufklärungsmaßnahmen berechtigt und verpflichtet. § 41 Abs. 1 AuslG kann aber nicht entnommen werden, daß dem Ausländer vor der Klärung seiner Identität und Staatsangehörigkeit keine Duldung erteilt werden darf, obwohl seine Abschiebung i.S. von § 55 Abs. 2, 2. Alternative AuslG tatsächlich unmöglich ist. Ein Verbot, eine Duldung zu erteilen, ergibt sich namentlich nicht aus der erwähnten Verpflichtung der Behörde zu Aufklärungsmaßnahmen. Das Ausländergesetz versagt bei ungeklärter Identität oder Staatsangehörigkeit vielmehr lediglich die Aufenthaltsgenehmigung (vgl. die bereits erwähnte Vorschrift des § 8 Abs. 1 Nr. 4 AuslG), nicht aber die Duldung. Der Umstand, daß § 41 Abs. 1 AuslG hinsichtlich der Identitätsfeststellung § 6 Abs. 3 Satz 2 PaßG entspricht (vgl. die Begründung des Regierungsentwurfs, BTDrucks 11/6321, S. 70), rechtfertigt entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichtshofs nicht die Heranziehung paßrechtlicher Grundsätze, denen zufolge die Ausstellung eines Passes abzulehnen sei, wenn die Identität eines Paßbewerbers nicht mit letzter Sicherheit geklärt werden könne. Eine Übertragung paßrechtlicher Grundsätze auf die vorliegende Fallkonstellation scheidet schon deshalb aus, weil es sich bei der von dem Kläger allein erstrebten - nach § 66 Abs. 1 Satz 1 AuslG schriftlich zu erteilenden - Duldung nicht um ein Ausweispapier handelt.