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Zitieren als:
BVerwG, Beschluss vom 24.05.2000 - 9 B 144.00 - asyl.net: R8559
https://www.asyl.net/rsdb/R8559
Leitsatz:

Zum Vorliegen eines Verfahrensfehlers gem. § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO.

(Leitsatz der Redaktion)

Schlagwörter: D (A), Verfahrensrecht, Berufungsverfahren, Abschiebungshindernis, Klageantrag, Auslegung, Streitgegenstand, Hauptantrag, Hilfsantrag, Revisionsverfahren, Nichtzulassungsbeschwerde, Rechtliches Gehör, Verfahrensmangel, Beweisantrag, Vereinfachtes Berufungsverfahren, Mündliche Verhandlung, Anhörung, Fristen, Berufungsbegründungsfrist
Normen: VwGO § 86 Abs. 3; VwGO § 88; VwGO § 108 Abs. 2; VwGO § 132 Abs. 2 Nr. 3; VwGO § 130a; GG Art. 103 Abs. 1; AuslG § 53 Abs. 1; AuslG § 53 Abs. 2; AuslG § 53 Abs. 3; AuslG § 53 Abs.4; AuslG § 53 Abs. 6
Auszüge:

Die Beschwerde hat im Ergebnis mit der Rüge Erfolg, der Verwaltungsgerichtshof hätte das Vorbringen der Klägerin zu § 53 Abs. 6 S. 1 AuslG nicht mit der gegebenen Begründung übergehen dürfen. Darin liegt zwar keine Verletzung des Anspruchs auf die Gewährung rechtlichen Gehörs (§ 108 Abs. 2 VwGO, Art. 103 Abs. 1 GG) - das Berufungsgericht hat den Sachvortrag insoweit aus Gründen des formellen Rechts unbeachtet gelassen -, wohl aber ein Verfahrensfehler gem. § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO.

Die Auffassung des Berufungsgerichts, das Verwaltungsgericht habe über den Antrag zu § 53 Abs. 6 S. 1 AuslG bereits rechtskräftig zu Lasten der Klägerin entschieden, trifft nicht zu. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts war der von der Klägerin in erster Instanz gestellte, offenkundig auf umfassenden verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutz gerichtete Klageantrag (vgl. VG-Urteil S. 3) sachdienlich dahingehend auszulegen (§ 86 Abs. 3, § 88 VwGO), ihr für den Fall des Unterliegens mit ihrem Hauptantrag auf Gewährung von Asyl nach Art. 16 a GG und von Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG hilfsweise entweder Schutz vor drohender Abschiebung nach § 53 Abs. 1 bis 4 AuslG durch teilweise Aufhebung der Abschiebungsandrohung und Feststellung eines Abschiebungshindernisses oder - weiter hilfsweise - zumindest Abschiebungsschutz durch Verpflichtung des Bundesamts für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge zu einer Feststellung nach § 53 Abs. 6 S. 1 AuslG zu gewähren (vgl. Urteil des Senats vom 15. April 1997 - BVerwG 9 C 19.96 - BVerwGE 104, 260, 262 f.).

Das Berufungsgericht hätte daher nach der unangefochten gebliebenen Ablehnung des Hauptantrags der Klägerin auf Gewährung von Asyl und Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG im Falle der Ablehnung auch des in erster Instanz erfolgreichen ersten Hilfsantrags zur Feststellung eines Abschiebungshindernisses nach § 53 Abs. 4 AuslG über den auf die Berufung des Beteiligten in der Berufungsinstanz angefallenen weiteren Hilfsantrag zu § 53 Abs. 6 S. 1 AuslG entscheiden müssen. Dies würde sogar dann gelten, wenn der Verwaltungsgerichtshof die Berufung nicht - wie nach dem objektiven Erklärungsinhalt aber eindeutig - unbeschränkt zu § 53 AuslG, sondern lediglich beschränkt auf § 53 Abs. 4 AuslG i.V.m. Art. 3 EMRK zugelassen hätte; insoweit war das Berufungsgericht nämlich zu einer Einschränkung des Streitgegenstands nach der Rechtsprechung des Senats nicht befugt. Ein Hilfsantrag, über den die Vorinstanz nicht zu entscheiden brauchte (hier: zu § 53 Abs. 6 S. 1 AuslG), weil sie dem vorrangig gestellten (Haupt- oder Hilfs-)Antrag (hier: nach § 53 Abs. 1 bis 4 AuslG) entsprochen hat, fällt nämlich durch das Rechtsmittel des Beklagten oder des Beteiligten ebenfalls (und automatisch) in der Rechtsmittelinstanz an (vgl. das Urteil vom 15. April 1997 a.a.O. S. 263 zum Verhältnis zwischen Haupt- und Hilfsantrag sowie das Urteil des Senats vom 28. April 1998 - BVerwG 9 C 2.98 - <juris> zur Anwendung dieser Rechtsprechung auch auf Rechtsmittel des beteiligten Bundesbeauftragten für Asylangelegenheiten und zur stufenweisen Entscheidung über die beiden Hilfsanträge zu § 53 Abs. 1 bis 4 AuslG und zu § 53 Abs. 6 AuslG). Dieser verfahrensrechtlichen Pflicht ist das Berufungsgericht nicht nachgekommen. Insoweit ist seine Entscheidung wegen eines Verfahrensmangels aufzuheben und die Sache zur Nachholung einer Entscheidung zu § 53 Abs. 6 S. 1 AuslG zurückzuverweisen.