OVG Saarland

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Zitieren als:
OVG Saarland, Beschluss vom 14.12.2006 - 2 W 25/06 - asyl.net: M10301
https://www.asyl.net/rsdb/M10301
Leitsatz:
Schlagwörter: D (A), Widerruf, Niederlassungserlaubnis, Asylberechtigung, Ermessen, Einbürgerung, Anspruchseinbürgerung, Privatleben, vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren)
Normen: AufenthG § 52 Abs. 1 S. 1 Nr. 4; VwGO § 80 Abs. 5; StAG § 10; EMRK Art. 8
Auszüge:

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 21.8.2006 - 10 F 32/06 - ist zulässig und begründet. Das nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO den Prüfungsumfang im Rechtsmittelverfahren abschließend bestimmende Vorbringen in der Beschwerdebegründung vom 26.9.2006 begründet erhebliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der in das Ermessen des Antragsgegners gestellten Entscheidung, die Niederlassungserlaubnis der Antragstellerin zu widerrufen (§ 52 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG). Dies gebietet es, den Interessen der Antragstellerin, von einer (sofortigen) Umsetzung der Widerrufsentscheidung und einem ungehinderten Vollzug der Aufenthaltsbeendigung bis zur Klärung der durch den Fall aufgeworfenen Rechtsfragen im Hauptsacheverfahren verschont zu bleiben, den Vorrang einzuräumen (§ 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO).

Aus Sicht des Senats spricht gegenwärtig alles dafür, dass bei der im Rahmen der Widerrufsentscheidung vom Antragsgegner vorzunehmenden Ermessensbetätigung, die an den Maßstäben des § 40 SVwVfG zu orientieren ist, nach Maßgabe des § 114 Satz 1 VwGO nur einer eingeschränkten gerichtlichen Kontrolle unterliegt und insbesondere nicht durch die Gerichte ersetzt werden kann, zu Lasten der Antragstellerin wesentliche gegen den Widerruf sprechende Umstände ihres konkreten Falles nicht oder allenfalls sehr unzureichend berücksichtigt wurden.

Der Fall der Antragstellerin unterscheidet sich indes in einem wesentlichen Punkt von diesem "Normalfall". Er zeichnet sich durch die in der Beschwerdebegründung angesprochene Besonderheit aus, dass der Widerruf der Niederlassungserlaubnis zur Folge hat, dass eine wesentliche Voraussetzung für die von der Antragstellerin begehrte Einbürgerung entfällt. Diesen möglicherweise sogar den Anlass für den Widerruf bildenden Umstand hat der Antragsgegner ausweislich der Begründung für seine Widerrufsentscheidung als deren rechtliche Konsequenz erkannt und als ihre mögliche Folge ("dürfte") im Bescheid vom 12.6.2006 angesprochen. Er hat dies allerdings nicht zum Anlass genommen, die insoweit im Raum stehende selbständig zu gewichtende Rechtsposition der Antragstellerin nach Maßgabe des § 10 StAG, die ihr jedenfalls - das Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen für den dort geregelten Einbürgerungsanspruch unterstellt - durch den Widerruf letztlich entzogen würde, in seine sachlichen Erwägungen einzubeziehen. Dieses Entscheidungsdefizit begründet durchgreifende Bedenken gegen die Ordnungsmäßigkeit der Ausübung des Entschließungsermessens und damit gegen die Rechtmäßigkeit der Widerrufsentscheidung insgesamt.

Die in § 10 StAG zum Ausdruck kommende Wertentscheidung des Bundesgesetzgebers verlangt, dass die Ausländerbehörde bei einem Widerruf der von einem Einbürgerungsbewerber langjährig innegehabten Niederlassungserlaubnis diesen Aspekt in ihre Ermessensentscheidung einfließen lässt und nicht nur - wie vorliegend geschehen - die mögliche ("dürfte") Rechtsfolge des Entfallens eines ansonsten ernsthaft in Betracht kommenden Einbürgerungsanspruchs "feststellt".

Auch wenn die nach der Gesetzeslage in unterschiedliche Zuständigkeiten fallenden Entscheidungen über die Einbürgerung beziehungsweise über den weiteren Aufenthalt eines Ausländers rechtlich zu trennen sind und der Ausländerbehörde in dem Zusammenhang gewisse "Steuerungsmöglichkeiten" insbesondere durch die Ausübung eines ihr aufenthaltsrechtlich eingeräumten Ermessens eröffnet werden, ist diese gehalten, dem Anliegen des Staatsangehörigkeitsrechts bei Vorliegen eines Einbürgerungsantrags zumindest bei Entscheidungen über den Widerruf unbefristet über den Zeitraum des § 10 Abs. 1 Satz 1 StAG von acht Jahren hinaus den (rechtmäßigen) Aufenthalt in Deutschland legitimierenden Aufenthaltstiteln im Rahmen ihrer Ermessensentscheidung Rechnung zu tragen und das auch als Problem in diesem Zusammenhang zu sehen. Die Vorschrift variiert für den Kreis der rechtmäßig langjährig in Deutschland lebenden Ausländer, die sich hier auf Dauer niederlassen wollen, die sonstigen Einbürgerungsvoraussetzungen und verleiht ihnen grundsätzlich einen subjektiven Anspruch auf Einbürgerung. Ziel ist die Förderung der Integration langjährig aufgrund entsprechender Aufenthaltstitel rechtmäßig und unbescholten in Deutschland lebender Ausländer, wobei die Einbürgerung, die speziell im Falle von Kindern nicht an Fragen der Unwirtschaftlichkeit wegen Bezugs öffentlicher Hilfen geknüpft ist, als Abschluss eines vom Gesetzgeber bei Erfüllung der in § 10 StAG geregelten Kriterien angenommenen hinreichenden Integrationsprozesses und als Grundlage weiterer Integration gedacht ist. Die gesetzlich gewünschte "Hinwendung" des Ausländers zur Bundesrepublik Deutschland wird in diesen Fällen durch die Antragstellung manifestiert. Von daher muss die Ausländerbehörde bei Entscheidungen der vorliegenden Art über den Widerruf des viele Jahre - jedenfalls, wie hier, deutlich länger als die Vermutungsfrist für eine ausreichende Integration in § 10 Abs. 1 Satz 1 StAG - bestehenden Aufenthaltstitels eines einbürgerungswilligen Ausländers dieser Wertentscheidung Rechnung tragen und diese Gesichtspunkte sachlich bewertend zugunsten der Betroffenen in ihre Ermessenserwägungen einfließen lassen. Sie muss hierbei klar zum Ausdruck bringen, dass sie sich der "Vernichtung" des ansonsten mit hoher Wahrscheinlichkeit aus Gründen der Integration normierten Einbürgerungsanspruchs des vom Widerruf betroffenen Ausländers bewusst ist und welche im konkreten Fall höherwertigen - notwendig besonders gewichtigen - Gesichtspunkte ihr Anlass geben, sogar diesen Anspruch über den Widerruf der nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StAG notwendigen (hier:) Niederlassungserlaubnis "zu Fall zu bringen". Daran fehlt es vorliegend.