VG Hannover

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Zitieren als:
VG Hannover, Urteil vom 09.05.2007 - 6 A 1309/07 - asyl.net: M10550
https://www.asyl.net/rsdb/M10550
Leitsatz:

Einem anerkannten Flüchtling ist die Beantragung von Passpapieren beim Herkunftsstaat auch nach Widerruf der Flüchtlingsanerkennung nicht zuzumuten, wenn der Widerruf noch nicht bestandskräftig ist; er kann grundsätzlich seine Identität durch den Reiseausweis nachweisen.

 

Schlagwörter: D (A), Niederlassungserlaubnis, Ermessen, Ermessensreduzierung auf Null, eigenständiges Aufenthaltsrecht, Kinder, Identität, Identitätszweifel, Konventionsflüchtlinge, Widerruf, Flüchtlingsanerkennung, Suspensiveffekt, Mitwirkungspflichten, Zumutbarkeit, Irak, Iraker, Flüchtlingsausweis
Normen: AufenthG § 26 Abs. 4; AufenthG § 35 Abs. 1; AsylVfG § 75; AsylVfG § 72 Abs. 1 Nr. 1
Auszüge:

Einem anerkannten Flüchtling ist die Beantragung von Passpapieren beim Herkunftsstaat auch nach Widerruf der Flüchtlingsanerkennung nicht zuzumuten, wenn der Widerruf noch nicht bestandskräftig ist; er kann grundsätzlich seine Identität durch den Reiseausweis nachweisen.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Die Klage ist begründet. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis nach §§ 26 Abs. 4, 35 Abs. 1 AufenthaltsG, da das dem Beklagten insoweit eingeräumte Ermessen dahingehend reduziert ist.

Nach § 28 Abs. 4 AufenthG kann für Kinder, die - wie die Klägerin - vor Vollendung des 18. Lebensjahres eingereist sind, § 35 AufenthG entsprechend angewendet werden.

Die Voraussetzungen das § 35 Abs. 1 S. 2 AufenthG sind erfüllt.

Die Beklagte kann sich nicht darauf berufen, dass die Identität der Klägerin ungeklärt ist, da sie über keine Papiere aus dem Irak verfügt.

Zunächst ist festzuhalten, dass der Beklagte der Klägerin nicht (mehr) vorhält, dass ihre Staatsangehörigkeit ungeklärt ist und sie sich nicht im Besitz eines irakischen Nationalpasses befindet bzw. sich nicht um eine Ausstellung eines solchen bemüht. Die Klägerin ist nach wie vor Flüchtling im Sinne von § 51 AuslG. Zwar hat das Bundesamt die Flüchtlingseigenschaft widerrufen. Die dagegen erhobene Klage entfaltet jedoch aufschiebende Wirkung (§ 75 AsylVfG). Insoweit ist es ihr unzumutbar, sich um die Ausstellung eines irakischen Nationalpasses zu bemühen, da sie dadurch eine Handlung begehen würde, die bei Erfolg zum Erlöschen der Flüchtlingseigenschaft führen würde (§ 72 Abs. 1 Nr. 1 AsylVfG). Das Gericht merkt an dieser Stelle an, dass die Angaben der Eltern der Klägerin über den Erwerb der irakischen Staatsbürgerschaft Anfang der 80er Jahre zutreffen können.

Zweifel an der Identität bestehen im Einzelfall der Klägerin nicht. Identitätsmerkmale sind Name, Vorname, Geburtsname, Geburtsort und Wohnort. Die Klägerin wird seit ihrer Einreise in das Bundesgebiet mit gleichbleibenden Personaldaten geführt. Anhaltspunkte dafür, dass ihre dementsprechenden Angaben unzutreffend oder zweifelhaft sind, liegen nicht vor. Sie kann zudem ihre Identität mit ihrem Reiseausweis nachweisen, auf den sie einen Anspruch hat, solange sie als Flüchtling anerkannt ist.

Unabhängig davon kann der Beklagte von der Klägerin auch nicht verlangen, dass sie weitere Bemühungen entfaltet, um Personenstandsdokumente aus dem Irak zu beschaffen. Nach nicht zu widerlegenden Angaben hat die Klägerin keine Verwandten oder Bekannten in Kut, die ihr bei der Beschaffung behilflich sein können. Erfolgversprechend wäre daher allenfalls eine persönliche Reise nach Kut. Dass eine solche Reise aufgrund der derzeitigen Sicherheitslage im Irak und angesichts der bestehenden Flüchtlingseigenschaft der Klägerin unzumutbar ist, bedarf keiner weiteren Ausführungen. Die Deutsche Botschaft in Bagdad ist nach allen dem Gericht vorliegenden einschlägigen Auskünften nicht in der Lage bei der Beschaffung derartiger Dokumente zu helfen. Soweit auf die Einschaltung von Vertrauensanwälten der Deutschen Botschaft im Irak verwiesen wird, ist auch dieser Weg derzeit aufgrund der o.g. Auskunftslage aussichtslos. Zudem wäre die Einschaltung eines Vertrauensanwaltes mit erheblichen Kosten verbunden. Angesichts der wirtschaftlichen und finanziellen Situation der Klägerin wäre sie nicht in der Lage, diese Kosten aufzubringen. Der Beklagte wiederum hat in der mündlichen Verhandlung erklärt, dass er diese Kosten nicht übernehmen könne. Durch die Änderung der Sozialrechts kommt auch eine Gewährung einer einmaligen Beihilfe zu diesem Zweck aus Mitteln nach den SGB nicht mehr in Betracht.