VG Oldenburg

Merkliste
Zitieren als:
VG Oldenburg, Urteil vom 21.05.2008 - 11 A 485/06 - asyl.net: M13392
https://www.asyl.net/rsdb/M13392
Leitsatz:

Die Zurechnungsregel des § 104 a Abs. 3 AufenthG ist mit höherrangigem Recht vereinbar.

(Amtlicher Leitsatz)

Schlagwörter: D (A), Aufenthaltserlaubnis, Ausreisehindernis, freiwillige Ausreise, Kosovo, Kosovaren, Roma, Laissez-Passer, Reiseausweis für Ausländer, Erlasslage, Europäische Menschenrechtskonvention, EMRK, Privatleben, Integration, Straftaten, Familienangehörige, Ehegatte, Altfallregelung, Verfassungsmäßigkeit, Willkürverbot
Normen: AufenthG § 25 Abs. 5; EMRK Art. 8; AufenthG § 104a Abs. 3; GG Art. 3 Abs. 1
Auszüge:

Die Klage ist unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen.

3. Es besteht auch kein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG.

a) Die freiwillige Ausreise der Klägerin in den Kosovo ist nicht deshalb unmöglich, weil sie derzeit über keinen gültigen Pass verfügt.

Nach den Erlassen des Nds. Innenministeriums vom 23. September und 25. Juni 2004 kann der Klägerin unabhängig davon ein EU-Laissez-Passer für die Rückkehr erteilt werden. Dieses wird nach dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 29. November 2007 (Seite 25) bei den Einreisekontrollen anerkannt. Der Beklagte kann der Klägerin im Falle einer freiwilligen Ausreise ein EU-Laissez-Passer ohne weiteres ausstellen.

Außerdem besteht die Möglichkeit, ihr einen Reiseausweis für Ausländer auszustellen, mit welchem auch Reisen, Rückführungen und die freiwillige Rückkehr in die Republik Kosovo durchgeführt werden können; auch dieses Dokument wird für die Einreise von der kosovarischen Grenzpolizei anerkannt (vgl. Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Münster vom 17. März 2008 - 508-03-516.20 KOS -).

c) Eine Unmöglichkeit der Ausreise besteht insbesondere nicht im Hinblick darauf, dass die UNMIK derzeit Abschiebungen von Angehörigen der Volksgruppe der Roma grundsätzlich nicht akzeptiert, so dass die Klägerin geduldet wird.

Maßgeblich ist, wie sich aus dem Wortlaut ("Ausreise") und der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 15/420, S. 80), noch deutlicher als aus § 30 Abs. 3 und 4 AuslG, ergibt, ob (neben der Abschiebung) die freiwillige Ausreise des Ausländers aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist. Unerheblich ist dagegen, aus welchen Gründen eine Abschiebung des Ausländers scheitert (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. Juni 2006 a.a.O.).

UNMIK ist bereit, Angehörige der Minderheiten auf strikt freiwilliger Basis wieder aufzunehmen. Bis Dezember 2006 haben hiervon mehr als 15 400 Personen Gebrauch gemacht (vgl. Lageberichte des Auswärtigen Amtes vom 30. August 2005, S. 15, 19, 25, vom 22. November 2005, S. 18 und 24, vom 29. Juni 2006, S. 14 ff., sowie vom 15. Februar 2007, S. 17). Dies zeigt, dass UNMIK nicht die Rückkehr von Angehörigen der Minderheiten an sich als Sicherheitsrisiko einstuft, sondern lediglich die zwangsweise Rückführung gegen den Willen der Betroffenen.

Der Ansicht, dass sich das Land Niedersachsen der Auffassung der UNMIK zur Rückkehrmöglichkeit der Roma angeschlossen habe, vermag die Kammer nicht zu folgen. Nach dem Erlass des Nds. Innenministeriums vom 25. Juni 2004 (S. 4) wird aufgrund der Haltung der UNMIK lediglich von einem tatsächlichen Abschiebungshindernis ausgegangen (vgl. auch OVG Lüneburg, Beschluss vom 12. Oktober 2005 - 8 ME 163/05 -; Beschluss vom 22. Dezember 2004 - 13 LA 572/04 -). Aus einer abgestimmten Niederschrift über die Gespräche zwischen einer deutschen Delegation und Vertretern von UNMIK am 25. und 26. April 2005 sowie den Erlassen des Niedersächsischen Innenministeriums vom 22. März 2006, 3. Mai 2005, 23. September und 25. Juni 2004 wird deutlich, dass die deutsche Seite - entsprechend der hiesigen Rechtslage - seit langem auf eine schnellere und umfassende Rückführung der aus dem Kosovo stammenden Personen drängt. Es besteht mithin in Niedersachsen keine Abschiebestopp-Regelung im Sinne der §§ 60 Abs. 7 Satz 3, 60 a Abs. 1 Satz 1 AufenthG (vgl. OVG Lüneburg, Urteil vom 24. Mai 2006 - 10 LA 163/05 - <S. 7 f.>).

d) Auch folgt mit Rücksicht auf den langen Aufenthalt der Klägerin aus Art. 8 EMRK kein rechtliches Ausreisehindernis. Nach Abs. 1 der genannten Vorschrift wird u.a. das Privatleben geschützt. Abs. 2 ermöglicht aber Eingriffe u.a. dann, wenn dies gesetzlich vorgesehen und für die öffentliche Ordnung notwendig ist, wobei der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten ist.

Maßgeblich ist dabei zum einen, inwieweit eine Integration des Ausländers in Deutschland gelungen ist, zum anderen ist die Möglichkeit seiner Reintegration in das Heimatland in den Blick zu nehmen.

Die Klägerin hat zu keiner Zeit einen Aufenthaltstitel besessen. Sie befindet sich zwar bereits seit über 17 Jahren in der Bundesrepublik Deutschland. Trotzdem ist ihre wirtschaftliche Integration nicht gelungen. Erheblich ins Gewicht fällt auch, dass der Ehemann der Klägerin, mit welchem sie in häuslicher Gemeinschaft lebt, wiederholt straffällig geworden ist. Ob die Klägerin angesichts ihres langen Aufenthalts über ausreichende Deutschkenntnisse verfügt, lässt sich den zur Verfügung stehenden Akten nicht entnehmen. Sie ist jedenfalls offensichtlich des Schreibens nicht mächtig, denn die von ihr eingereichten Dokumente, wie zum Beispiel Anträge, Vollmachten etc., hat sie stets mit drei Kreuzen, zum Teil auch unter Hinzusetzung ihres Vornamens in Druckbuchstaben, unterschrieben. Alle mit der Klägerin zusammenlebenden Familienmitglieder waren nie im Besitz von Aufenthaltstiteln und sind ausreisepflichtig. Die Klägerin spricht die albanische Sprache und ist erst im Alter von 20 Jahren in die Bundesrepublik Deutschland gelangt und damit in kultureller Hinsicht in der Lage, sich wieder im Kosovo zurechtzufinden.

4. Schließlich besteht derzeit auch kein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gemäß der Altfallregelung des § 104 a AufenthG (zur Berücksichtigung in einem laufenden gerichtlichen Verfahren vgl. OVG Lüneburg, Beschluss vom 7. September 2007 - 8 PA 84/07 - m.w.N. <juris>; BVerwG, Urteil vom 4. September 2007 - 1 C 43.06 -, InfAuslR 2008, 333), weil dem § 104 a Abs. 3 Satz 1 AufenthG entgegensteht. Hat nämlich ein in häuslicher Gemeinschaft lebendes Familienmitglied Straftaten im Sinne des § 104 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 AufenthG begangen, führt dies zur Versagung der Aufenthaltserlaubnis nach der Altfallregelung für andere Familienmitglieder. So liegt der Fall hier.

Nach § 104 a Abs. 3 Satz 2 AufenthG gilt § 104 a Abs. 3 Satz 1 AufenthG für den Ehegatten eines Ausländers, der Straftaten im Sinne des § 104 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 AufenthG begangen hat, zwar nicht, wenn der Ehegatte die Voraussetzungen des § 104 a Abs. 1 AufenthG im Übrigen erfüllt und es zur Vermeidung einer besonderen Härte erforderlich ist, ihm den weiteren Aufenthalt zu ermöglichen. Anhaltspunkte für das Vorliegen einer besonderen Härte im Sinne der genannten Regelung sind jedoch weder vorgetragen worden noch sonst ersichtlich.

Die Zurechnungsregel des § 104 a Abs. 3 AufenthG ist mit höherrangigem Recht vereinbar (ebenso: OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 18. Januar 2008 - 12 S 6.08 - <juris>; a.A. AG Bernau, Beschluss vom 3. August 2007 - 5 Ls 212 Js 18621/06 (21/07) - InfAuslR 2008, 179; Funke-Kaiser in: GK-AufenthG, Rn. 56 ff. zu § 104 a). Der Gesetzgeber hat mit der Altfallregelung aus humanitären Gründen langjährig zumeist ohne Aufenthaltstitel in Deutschland lebenden Ausländern eine Vergünstigung eingeräumt, zu der er verfassungsrechtlich nicht verpflichtet war. Ihm ist daher bei der Regelung der Voraussetzungen ein weiter Gestaltungsspielraum zuzubilligen, der seine Grenze lediglich im Willkürverbot (Art. 3 Abs. 1 GG) findet. Der Bestimmung des § 104 a Abs. 3 AufenthG liegen ausreichende sachliche Erwägungen zu Grunde. Die Zurechnungsregelungen berücksichtigen nach der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 16/5065 S. 202), dass Kinder das aufenthaltsrechtliche Schicksal ihrer Eltern teilen, ein negativer Einfluss auf die übrigen in häuslicher Lebensgemeinschaft lebenden Familienmitglieder nicht auszuschließen ist und die bei Straffälligkeit von Kindern denkbare Verletzung von Aufsichts- und Erziehungspflichten. Ferner ist zu berücksichtigen, dass anderenfalls im Hinblick auf Art. 6 GG häufig auch ein abgeleitetes Aufenthaltsrecht des an sich nach § 104 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 AufenthG ausgeschlossenen Ausländers entstehen würde, die Vorschrift also teilweise leer laufen würde. Zudem entspricht die Vorschrift der familienbezogenen Betrachtungsweise im Rahmen der Prüfung, ob ein Ausreisehindernis im Hinblick auf den durch Art. 8 EMRK gewährleisteten Schutz des Privatlebens besteht (vgl. OVG Lüneburg, Beschluss vom 1. September 2006 - 8 LA 101/06 -).