OVG Sachsen-Anhalt

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Zitieren als:
OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 19.06.2008 - 2 L 11/07 - asyl.net: M13648
https://www.asyl.net/rsdb/M13648
Leitsatz:

Ein Ausländer hat ein schutzwürdiges Interesse an der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 AufenthG ab Antragstellung, da die Verfestigung seines Aufenthalts nach § 26 Abs. 4 AufenthG vom Dauer des Besitzes der Aufenthaltserlaubnis abhängt; Passlosigkeit steht der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 AufenthG nicht entgegen.

 

Schlagwörter: D (A), Aufenthaltserlaubnis, subsidiärer Schutz, rückwirkende Erteilung, Antragstellung, Rechtsschutzinteresse, Aufenthaltsdauer, Mitwirkungspflichten, Passpflicht, Ermessen, Geltungsdauer
Normen: AufenthG § 25 Abs. 3; AufenthG § 5 Abs. 1; AufenthG § 5 Abs. 3; AufenthG § 3; AufenthG § 26 Abs. 1 S. 3
Auszüge:

Ein Ausländer hat ein schutzwürdiges Interesse an der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 AufenthG ab Antragstellung, da die Verfestigung seines Aufenthalts nach § 26 Abs. 4 AufenthG vom Dauer des Besitzes der Aufenthaltserlaubnis abhängt; Passlosigkeit steht der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 AufenthG nicht entgegen.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Die Klage ist zulässig.

Das Rechtsschutzinteresse des Klägers ist nicht deshalb entfallen, weil die Beklagte ihm am 16.02.2006 eine auf ein Jahr befristete Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 Satz 1 AufenthG mit Wirkung für die Zukunft erteilt hat. Das Begehren des Klägers geht über diese Aufenthaltserlaubnis hinaus, weil es ausweislich seiner Klarstellung vom 12.02.2006 (GA, Bl. 19) darauf gerichtet ist, die Aufenthaltserlaubnis bereits für die Zeit ab seiner Antragstellung am 23.09.2005 zu erhalten. Hieran hat der Kläger auch ein schutzwürdiges Interesse. Das schutzwürdige Interesse eines Ausländers an einer Aufenthaltserlaubnis für einen in der Vergangenheit liegenden Zeitraum nach der Antragstellung ist zu bejahen, wenn für seine weitere aufenthaltsrechtliche Stellung erheblich sein kann, von welchem Zeitpunkt an er eine Aufenthaltserlaubnis besitzt (vgl. BVerwG, Urt. v. 29.09.1998 - 1 C 14.97 - NVwZ 1999, 306; Urt. v. 16.06.2004 - 1 C 20.03 - BVerwGE 121, 86; Urt. v. 04.09.2007 - 1 C 43.06 - NVwZ 2008, 333). Diese Anforderungen sind erfüllt. Der Zeitpunkt, von dem an der Kläger eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 AufenthG besitzt, kann sich auf seine weitere aufenthaltsrechtliche Stellung auswirken, weil die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis nach § 26 Abs. 4 Satz 1 AufenthG von der siebenjährigen Dauer dieses Besitzes abhängt. Dem kann auch nicht entgegengehalten werden, dass im Falle der Beantragung der Niederlassungserlaubnis dem Besitz der Aufenthaltserlaubnis die Zeit des Bestehens eines Anspruchs hierauf gleichgestellt wird (vgl. BVerwG, Urt. v. 29.09.1998 - 1 C 14.97 - NVwZ 1999, 306) und diese Zeit - wie das Verwaltungsgericht ausgeführt hat - später ohne weiteres aus den Ausländerakten über den Kläger entnommen werden kann. Auch wenn nach derzeitiger Rechtsprechung von einer solchen Fiktion auszugehen ist, kann es für den Kläger von Vorteil sein, später selbst durch ihm ausgehändigte Dokumente seine ausländerrechtliche Stellung in der Vergangenheit nachweisen zu können und sich insoweit nicht darauf verlassen zu müssen, dass die Ausländerbehörden den ihn betreffenden Vorgang sorgfältig und lückenlos dokumentieren und aufbewahren.

Die Klage ist auch begründet.

Die Ablehnung der begehrten Aufenthaltserlaubnis ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Dem Kläger steht ein Anspruch auf diese Aufenthaltserlaubnis auch für die in Streit stehende Zeit vom 23.09.2005 bis zum 15.02. 2006 zu.

Nach § 25 Abs. 3 Satz 1 AufenthG soll einem Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 2, 3, 5 oder Abs. 7 vorliegt. Diese Voraussetzung ist erfüllt. Da für eine atypische Konstellation hier nichts ersichtlich ist, steht dem Kläger ein Rechtsanspruch auf Erteilung der Aufenthaltserlaubnis zu, weil auch der - hier allein in Betracht kommende - Ausschlussgrund des § 25 Abs. 3 S. 2 Fall 2 AufenthG nicht eingreift. Danach wird die Aufenthaltserlaubnis u.a. dann nicht erteilt, wenn der Ausländer wiederholt oder gröblich gegen entsprechende Mitwirkungspflichten verstößt. Entgegen der Auffassung der Beklagten ist dieser Ausschlussgrund nicht deshalb erfüllt, weil der Kläger im Zeitpunkt der Antragstellung über keinen Pass verfügte. Bei der (Nicht-) Erfüllung der Passpflicht handelt es sich um eine allgemeine Erteilungsvoraussetzung nach § 5 Abs. 1 AufenthG. Gemäß § 5 Abs. 3 Satz 1 AufenthG ist aber in den Fällen der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 25 Abs. 3 AufenthG von der Anwendung des § 5 Abs. 1 AufenthG abzusehen. Das ist nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg (Beschl. v. 30.05.2005 - 13 S 1310/04, BA S. 4), der sich der Senat insoweit anschließt, so zu verstehen, dass die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 AufenthG nicht mit der Begründung einer Nichterfüllung der Passpflicht abgelehnt werden darf und die Nichterfüllung der Passpflicht deshalb auch keinen wiederholten oder gröblichen Verstoß gegen entsprechende Mitwirkungspflichten im Sinne des § 25 Abs. 3 S. 2 AufenthG darstellen kann.

Der Rechtsanspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis steht dem Kläger auch ab dem Tag seiner Antragstellung am 23.09.2005 zu. Zu diesem Zeitpunkt lagen die materiellen Voraussetzungen des § 25 Abs. 3 AufenthG bereits vor.

Einem Rechtsanspruch des Klägers auf Erteilung der Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 AufenthG für die Zeit vom 23.09.2005 bis zum 15.02.2006 steht auch nicht die Vorschrift des § 26 Abs. 1 Satz 3 AufenthG entgegen, wonach die Aufenthaltserlaubnis in den Fällen des § 25 Abs. 3 AufenthG jeweils für mindestens ein Jahr erteilt wird. Zwar beträgt die Zeitspanne vom 23.09.2005 bis zum 15.02.2006 lediglich ungefähr fünf Monate und damit weniger als ein Jahr. Eine einjährige Aufenthaltserlaubnis ab dem 15.02.2005 würde dem Kläger aber keinerlei rechtlichen Vorteil bringen, weil ihm die Beklagte am 16.02.2006 bereits eine auf ein Jahr befristete Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 AufenthG erteilt hat und sein Rechtsschutzinteresse deshalb von vornherein auf die Zeit zwischen dem 23.09.2005 und dem 15.02.2006 beschränkt ist. Im Übrigen steht die für diese Zeitspanne angeordnete Verpflichtung mit der in § 26 Abs. 1 Satz 3 AufenthG geregelten Anforderung einer mindestens einjährigen Erlaubnisfrist auch deshalb nicht im Widerspruch, weil sie im Ergebnis dazu führt, dass die dem Kläger am 16.02.2006 für ein Jahr erteilte Aufenthaltserlaubnis zu seinen Gunsten rückwirkend um etwa 5 Monate erweitert wird. Die auf diese Zeitspanne bezogene Verpflichtung der Beklagten ist auch nicht deshalb ausgeschlossen, weil es grundsätzlich in ihrem eigenen Ermessen steht, innerhalb der gesetzlichen Rahmenvorgaben von mindestens einem Jahr (§ 26 Abs. 1 Satz 3 AufenthG) und höchstens drei Jahren (§ 26 Abs. 1 Satz 1 AufenthG) eine dazwischen liegende Frist selbst zu wählen. Die Verpflichtung zur Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis für die Zeitspanne vom 23.09.2005 bis zum 15.02.2006 greift in diesen Ermessensspielraum schon deshalb nicht ein, weil sie mit ungefähr fünf Monaten unterhalb des gesetzlichen Rahmens bleibt. Zum selben Ergebnis gelangt man aber auch dann, wenn man darauf abstellt, dass die Verpflichtung im Ergebnis dazu führt, dass der Kläger eine Aufenthaltserlaubnis für die Zeit vom 23.09.2005 bis zum 15.02.2007 und damit für mehr als ein Jahr erhält; denn das Ermessen hinsichtlich der konkreten Dauer der Befristung im Sinne des § 26 Abs. 1 AufenthG wird sich mit Blick auf die Vorschrift des § 25 Abs. 3 Satz 1 AufenthG in erster Linie von der zukunftsgerichteten Frage leiten lassen, wie lange das Abschiebungsverbot im Sinne des § 25 Abs. 3 Satz 1 AufenthG voraussichtlich noch bestehen wird. Die an diesem Kriterium ausgerichtete Ermessensentscheidung wird von einer Verpflichtung zur auch rückwirkenden Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nicht berührt.