VG Münster

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Zitieren als:
VG Münster, Urteil vom 21.05.2008 - 8 K 137/06 - asyl.net: M13696
https://www.asyl.net/rsdb/M13696
Leitsatz:

1. Der Ausschlussgrund des § 25 Abs. 3 Satz 2 lit. b AufenthG (Straftat von erheblicher Bedeutung) erfasst auch Straftaten, die im Ausland begangen wurden.

2. Für die Annahme eines Ausschlussgrundes nach § 25 Abs. 3 Satz 2 lit. b AufenthG ist nicht erforderlich, dass weiterhin Gefahren vom Ausländer ausgehen.

3. Eine im Ausland begangene Straftat kann im Rahmen eines Anspruchs auf § 104a Abs. 1 Satz 1 AufenthG eine Ausnahme vom Regelfall darstellen. Ist die Straftat so erheblich, dass sie zum Ausschluss der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 AufenthG führt, hat dies auch die Versagung der Aufenthaltserlaubnis nach § 104a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zur Folge.

(Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: D (A), Aufenthaltserlaubnis, subsidiärer Schutz, Straftat, Auslandsstraftat, Straftaten von erheblicher Bedeutung, schwerwiegende Gründe, Wiederholungsgefahr, Altfallregelung, allgemeine Erteilungsvoraussetzungen, Ausweisungsgrund, Ausreisehindernis
Normen: AufenthG § 25 Abs. 3; AufenthG § 72 Abs. 2; RL 2004/83/EG Art. 17 Abs. 1; AufenthG § 104a Abs. 1 S. 1; AufenthG § 5 Abs. 1 S. 1 Nr. 2; AufenthG § 55 Abs. 2 Nr. 2; AufenthG § 25 Abs. 5
Auszüge:

Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.

I. Ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis folgt nicht aus dem in erster Linie geltend gemachten § 25 Abs. 3 AufenthG. Die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis ist aber nach § 25 Abs. 3 Satz 2 lit. b AufenthG ausgeschlossen. Danach wird die Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 Satz 1 AufenthG u.a. dann nicht erteilt, wenn schwerwiegende Gründe die Annahme rechtfertigen, dass der Kläger eine Straftat von erheblicher Bedeutung begangen hat.

Straftat im Sinne der Vorschrift ist - entgegen der Ansicht des Klägers - auch eine im Ausland begangene Straftat.

Der Wortlaut des § 25 Abs. 3 Satz 2 lit. b AufenthG sieht keine Einschränkung vor, sondern umfasst insgesamt die Begehung von Straftaten von erheblicher Bedeutung, ohne dass das Gesetz ausdrücklich auf einen Ort der Tatbegehung abstellt.

Auch aus der Gesetzessystematik ist die Auffassung des Klägers nicht herzuleiten.

Dass Auslandstaten erfasst sein sollen, lässt sich aus dem Zusammenhang der Vorschrift mit § 72 Abs. 2 AufenthG entnehmen. Nach dieser Vorschrift entscheidet die Ausländerbehörde über das Vorliegen eines Ausschlusstatbestandes nach § 25 Abs. 3 Satz 2 Buchstabe a bis d nur nach vorheriger Beteiligung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge. Zielrichtung des Beteiligungserfordernisses nach § 72 Abs. 2 AufenthG ist es, das Einfließen der Sachkunde des Bundesamts in die Entscheidung der Ausländerbehörde zu sichern (BT-Drs. 15/420, S. 94; vgl. auch Gutmann in: GK-AufenthG, 23. Aktualisierung, Köln Februar 2008, § 72 AufenthG, Rdnr. 3).

Diese Sachkompetenz des Bundesamts kann sich nur auf zielstaatsbezogene Aspekte beziehen. Soweit es um die Annahme des Ausschlussgrunds nach § 25 Abs. 3 Satz 2 lit. b AufenthG geht, ist dies nur einsichtig, wenn es um Straftaten geht, die im jeweiligen Heimatland des Ausländers begangen wurden.

Auch im systematischen Vergleich des § 25 Abs. 3 Satz 2 lit. b AufenthG mit § 25 Abs. 3 Satz 2 lit. a AufenthG ergibt sich kein durchgreifender Anhaltspunkt für die Beschränkung des § 25 Abs. 3 Satz 2 lit. b AufenthG auf Inlandstaten.

Bei europarechtskonformer Auslegung ergibt sich, dass § 25 Abs. 3 Satz 2 lit. b AufenthG sowohl Auslands- als auch Inlandstaten erfassen will. Art. 17 Abs. 1 lit. b der Richtlinie sieht keine Einschränkungen auf den Ort der Tatbegehung vor, sondern schließt die Gewährung subsidiären Schutzes aus, wenn schwerwiegende Gründe die Annahme rechtfertigen, dass der Ausländer eine schwere Straftat begangen hat.

Die Tatbestände der Buchstaben a und b des Art. 17 Abs. 1 der Richtlinie stehen auch nicht im Verhältnis einer Spezialität zueinander.

Schließlich rechtfertigt auch der hinter der Regelung stehende Zweck der Ausschlusstatbestände des § 25 Abs. 3 Satz 2 AufenthG die gefundene Auslegung. § 25 Abs. 3 Satz 2 AufenthG berührt das Abschiebungsverbot gem. § 60 Abs. 3 AufenthG nicht. Die von den Ausschlussklauseln erfassten Personen sollen aber nicht mit einer Legalisierung ihres Aufenthalts und den daran anknüpfenden Folgewirkungen belohnt werden (vgl. Zeitler, HTK-AuslR, § 25 AufenthG, zu Abs. 3, 11/2007, Nr. 3.3).

Sowohl ein Mord als auch ein Totschlag sind Straftaten von erheblicher Bedeutung. Straftaten von erheblicher Bedeutung sind solche Taten, die den Rechtsfrieden empfindlich zu stören oder geeignet sind, das Gefühl der Rechtssicherheit der Bevölkerung erheblich zu beeinträchtigen. Danach muss es sich bei der zu beurteilenden Tat um ein Delikt handeln, das mindestens der mittleren Kriminalität zuzurechnen ist. Die Tat muss nach Art und Schwere so gewichtig sein, dass die Erteilung eines Aufenthaltsrechts für den Täter unbillig erschiene (vgl. Zeitler, HTK-AuslR, § 25 AufenthG, zu Abs. 3, 11/2007, Nr. 3.3; Hailbronner, Ausländerrecht, Kommentar, 56. Aktualisierung, Heidelberg Februar 2008, § 25 AufenthG, Rdnr. 69; Burr in: GK-AufenthG, 23. Aktualisierung, Köln Februar 2008, § 25 AufenthG, Rdnr. 50; VG Stuttgart, Urt. v. 07. Oktober 2005 - 9 K 2107/04 -, InfAuslR 2006, 78 (79)).

Es sind auch schwerwiegende Gründe für die Annahme vorhanden, dass der Kläger die Straftat begangen hat. Dieses Erfordernis bezieht sich auf die Qualität der Indizien für die Begehung eines Ausschlusstatbestands. Als schwerwiegend können nur solche Indizien angesehen werden, die von erheblichem Gewicht sind und die somit nicht die bloße Möglichkeit oder den Verdacht der Begehung einer der genannten Handlungen begründen, sondern von solchem Gewicht sind, dass das Vorliegen eines Ausschlussgrunds wahrscheinlich ist. Erforderlich ist dabei weder die strafrechtliche Verurteilung noch die Durchführung eines Ermittlungsverfahrens. Beides kann aber Indizien für die Beurteilung liefern. Ausreichend ist das Vorliegen von Indizien, die auch im Falle des Vorliegens eines strafrechtlichen Tatbestands einen hinreichenden Tatverdacht begründen würden (vgl. Hailbronner, Ausländerrecht, Kommentar, 56. Aktualisierung, Heidelberg Februar 2008, § 25 AufenthG, Rdnr. 73; Marx, ZAR 2004, 275 (280); Zimmermann, DVBl. 2006, 1478 (1481)).

Hat der Kläger eine Straftat von erheblicher Bedeutung begangen, erfordert § 25 Abs. 3 Satz 2 lit. b AufenthG nicht eine weiterhin vorliegende Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung. Dass diese zusätzliche Voraussetzung aus verfassungsrechtlichen Gründen notwendig sei, wurde in der Rechtsprechung und Literatur teilweise zur Vorschrift des § 51 Abs. 3 Satz 2 AuslG vertreten, die sich ebenfalls auf Art. 1 F der GFK stützte. So sollte die Regelung nicht allein auf der Schutzunwürdigkeit des Ausländers beruhen, sondern auch die Bevölkerung des Aufnahmelands vor der Gefahr schützen, die mit der Aufnahme eines Flüchtlings entstehen könnte, der ein schweres Verbrechen begangen hat; es sollte darauf ankommen, ob der kriminelle Charakter des Betroffenen immer noch vorherrscht, d.h. es müßten weiterhin Gefahren von ihm ausgehen, wie sie sich in seinem früheren Verhalten manifestiert hätten (OVG Koblenz, Urt. v. 06. Dezember 2002 - 10 A 10089/02 -, InfAuslR 2003, 254 zu § 51 Abs. 3 Satz 2 AuslG; UNHCR, Handbuch, Nr. 151 und 157; zu § 25 Abs. 3 Satz 2 AufenthG Marx, ZAR 2004, 275 (280), der wohl auch aus Gründen der konkreten Gefährlichkeit die Sperrwirkung der Ausschlussgründe generell befristen will).

Die Auffassung lässt sich auf § 25 Abs. 3 Satz 2 lit. b AufenthG nicht übertragen. § 51 Abs. 3 Satz 2 AuslG regelte den Ausschluss des Abschiebungsschutzes nach § 51 Abs. 1 AuslG und entspricht demnach dem heutigen § 60 Abs. 8 Satz 2 AufenthG i.V.m. § 3 Abs. 2 Satz 1 AsylVfG. Insofern kann offen bleiben, ob der heutige Ausschluss der Flüchtlingseigenschaft sich außer auf die Schutzunwürdigkeit des Flüchtlings auch auf die Abwehr von Gefahren für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland bzw. der Allgemeinheit gründet (gegen die Einbeziehung einer Gefahrenprognose VG Köln, Urt. v. 18. Mai 2006 - 20 K 9038/03.A).

§ 25 Abs. 3 Satz 2 AufenthG betrifft im Unterschied dazu die Frage der Legalisierung des Aufenthalts des Ausländers bei bestehendem - im Falle des hier vorliegenden § 60 Abs. 3 AufenthG - absoluten Abschiebungsverbot. Die Abwehr von Gefahren für die Bundesrepublik kann auf dieser Ebene - anders als bei § 51 Abs. 3 Satz 2 AuslG - nicht mehr Zweck der Regelung in § 25 Abs. 3 Satz 2 AufenthG sein, da der Aufenthalt des Klägers - auch bei Versagung der Aufenthaltserlaubnis - trotzdem geduldet wird und der Kläger damit im Bundesgebiet bleibt. Es verbleibt vielmehr bei dem oben bereits genannten Zweck, einen Ausgleich zwischen dem Interesse an der Legalisierung des Aufenthalts und dem Gerechtigkeitsempfinden zu finden; sicherheitspolitische Aspekte kommen in dieser Abwägung nicht mehr vor.

II. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus § 104 a Abs. 1 Satz 1 AufenthG.

Der Kläger, der sich zum Stichtag seit über acht Jahren mit einer Duldung oder Aufenthaltsbewilligung im Bundesgebiet aufhält, erfüllt die Voraussetzungen der Norm. Insbesondere liegt die negative Voraussetzung des § 104 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 AufenthG vor, weil die Vorschrift nur die Verurteilung wegen einer im Bundesgebiet begangenen Straftat erfasst, der Kläger das Tötungsdelikt aber im Ausland begangen hat.

Der Kläger erfüllt aber nicht die allgemeine Erteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG. § 104 a Abs. 1 Satz 1 AufenthG suspendiert nach seinem Wortlaut von § 5 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 AufenthG, nicht aber von der allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG. Gem. § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG setzt die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis in der Regel voraus, dass kein Ausweisungsgrund vorliegt. Gem. § 55 Abs. 2 Nr. 2 2. Fall AufenthG kann ein Ausländer insbesondere ausgewiesen werden, wenn er außerhalb des Bundesgebiets eine Straftat begangen hat, die im Bundesgebiet als vorsätzliche Straftat anzusehen ist. Die Voraussetzungen dieses Ausweisungsgrunds sind erfüllt. Der Kläger hat einen Totschlag bzw. Mord außerhalb des Bundesgebiets, nämlich im Libanon begangen.

Diese Frage kann letztlich aber unentschieden bleiben, denn auch wenn § 104 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 AufenthG den Ausweisungsgrund des § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG verdrängt, ist zu beachten, dass nach § 104 a Abs. 1 Satz 1 AufenthG die Aufenthaltserlaubnis bei Vorliegen der Voraussetzungen erteilt werden soll. Eine Berücksichtigung der Straftat bleibt als Ausnahme vom Regelfall bei der Rechtsfolge des § 104 a Abs. 1 Satz 1 AufenthG möglich, wenn nach Art und Weise der Straftat eine Erteilung der Aufenthaltserlaubnis grob unbillig erscheint (vgl. Hailbronner, Ausländerrecht, Kommentar, 56. Aktualisierung, Heidelberg Februar 2008, § 104 a AufenthG, Rdnr. 14 f.).

Da es sich vorliegend um eine besonders schwere Straftat gegen das hohe Rechtsgut Leben handelt, ist ein Ausnahmefall gegeben. Es wäre grob unbillig, die Begehung eines Tötungsdeliktes allein wegen der Regelung des § 104 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 AufenthG unberücksichtigt zu lassen. Außerdem muss ein Wertungswiderspruch zu § 25 Abs. 3 AufenthG vermieden werden. Wenn nach dem Sinn und Zweck des Ausschlussgrunds des § 25 Abs. 3 Satz 2 lit. b AufenthG bei Vorliegen von dessen Voraussetzungen der Ausländer für unwürdig erachtet wird, seinen Aufenthalt legalisieren zu lassen, weil das Vertrauen in die Rechtsordnung und das Gerechtigkeitsempfinden überwiegen, muss dies in gleicher Weise für einen Anspruch aus § 104 a Abs. 1 Satz 1 AufenthG gelten. Sowohl § 25 Abs. 3 AufenthG als auch § 104 a Abs. 1 Satz 1 AufenthG gewähren ein humanitäres Aufenthaltsrecht. Bei Annahme des Ausschlussgrunds des § 25 Abs. 3 Satz 2 AufenthG wäre es angesichts der Schwere der Straftat unbillig, dem Kläger über § 104 a Abs. 1 Satz 1 AufenthG dennoch das begehrte Aufenthaltsrecht zu verschaffen.

IV. Schließlich hat der Kläger auch keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus § 25 Abs. 5 AufenthG.

Im Rahmen eines Anspruchs aus § 25 Abs. 5 AufenthG muss in der Regel die allgemeine Erteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG erfüllt sein. Daran fehlt es hier, da ein Ausweisungsgrund gem. § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG besteht.